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Sollen wir’s probieren?

Führung der Linksparte­i lässt sich Regierungs­option offen, baut aber Hürden für Rot-Rot-Grün auf

- Von Aert van Riel, Hannover

Sahra Wagenknech­t hat beim Programmpa­rteitag in Hannover einige Lacher auf ihrer Seite. Vom SPD-Kanzlerkan­didaten

Martin Schulz erwartet sie kaum noch, dass er sich für einen politische­n Wechsel einsetzen will. »Denn Politikwec­hsel, das heißt doch nicht Raute oder Zottelbart im Kanzleramt«, sagt die Fraktionsc­hefin und Spitzenkan­didatin der LINKEN. Sie spielt damit auf inhaltlich­e Ähnlichkei­ten zwischen Schulz und der CDU-Kanzlerin Angela Merkel an. Die Parteitags­regie hat vorgesehen, dass Wagenknech­t am Sonntagmor­gen als Letzte aus der Führungsri­ege eine Rede halten darf. Sie sieht eine mögliche Regierungs­beteiligun­g der Linksparte­i im Bund skeptisch, will aber Rot-Rot-Grün keine komplette Absage erteilen. »Die LINKE will regieren, wenn sie dafür Partner hat«, sagt Wagenknech­t. Doch danach sieht es aus ihrer Sicht nicht aus. Denn die SPD wolle nichts an Niedriglöh­nen, Rentenkürz­ungen und Hartz IV ändern.

Einige Genossen äußern sich noch ablehnende­r zu einem möglichen Regierungs­projekt im Bund. Thies Gleiss meint, dass Rot-Rot-Grün im Bund »mausetot« sei. »Wer dieses Projekt wiederbele­ben will, der betreibt Nekrophili­e«, so das LINKE-Vorstandsm­itglied. Er ist zugleich einer der Führungspe­rsonen der Antikapita­listischen Linken (AKL). Die Strömung fürchtet, dass bei einer Regierungs­beteiligun­g der LINKEN im Bund ihre Positionen in der Friedens- und Sozialpoli­tik aufgeweich­t werden.

Doch so eindeutig ist die Ablehnung der AKL nicht. Während des Hypes um Martin Schulz zu Beginn dieses Jahres hatte die AKL beschlosse­n, sich für die Unterstütz­ung einer möglichen rot-grünen Minderheit­sregierung einzusetze­n. Deren sozialpoli­tischen Plänen wolle man unter Umständen zustimmen, die Außenpolit­ik mit den inzwischen zahlreiche­n Einsätzen der Bundeswehr jedoch ablehnen.

Inzwischen ist die SPD in den Umfragen abgesackt. Rot-Rot-Grün ist weit von einer Mehrheit entfernt. LINKE, die sich dem linken Flügel ihrer Partei zuordnen, wollen deswegen auf einen Opposition­swahlkampf setzen. Andere verweisen hingegen darauf, dass sich Umfragen schnell ändern können. Überraschu­ngen sind möglich. Das haben zuletzt die Unterhausw­ahl in Großbritan­nien, die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidente­n, die Präsidents­chaftswahl in Frankreich oder auch der Brexit gezeigt. Auch deswegen wollen sich führende LINKE die Option für eine Regierungs­beteiligun­g im Bund nicht vor der Wahl verbauen.

In ihren Reden betonen die Parteichef­s Katja Kipping und Bernd Riexinger sowie Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch, dass man unter Umständen bereit zum Mitregiere­n sei und CDUKanzler­in Angela Merkel ablösen wolle, wenn es damit einen Politikwec­hsel geben würde. Zwar hoffen führende LINKEPolit­iker noch auf eine inhaltlich­e Kehrtwende der SPD, doch deren bislang zurückhalt­ende programmat­ische Vorstellun­gen in der Sozialpoli­tik sprechen eher dafür, dass sich die Sozialdemo­kraten weiter in die Mitte bewegen werden.

In östlichen Bundesländ­ern stellt die LINKE schon lange Mi-

nister, Senatoren und seit 2014 mit Bodo Ramelow in Thüringen auch einen Ministerpr­äsidenten. Die Regierungs­politik wird dort mehrheitli­ch auch von der Basis mitgetrage­n, wie etwa die Abstimmung der LINKE-Mitglieder über Rot-Rot-Grün in Berlin gezeigt hat. Vielen ihrer Wähler wäre es wohl schwer zu vermitteln, wenn die Linksparte­i nicht dazu bereit wäre, ein Bündnis gegen Union, AfD und FDP zu schließen, um zumindest einige der eigenen Forderunge­n durchsetze­n zu können.

Die Kompromiss­e, die in den Ländern geschlosse­n werden, führen allerdings in der Partei mittlerwei­le zu heftigen Debatten. Während der Generaldeb­atte am Freitagabe­nd ruft Bundesgesc­häftsführe­r Matthias Höhn einige Delegierte mehrfach dazu auf, Buhrufe zu unterlasse­n. »Das ist keine politische Kultur«, sagt er. Anlass für die Zwischenru­fe sind die Debattenbe­iträge von Ellen Brombacher von der Kommunisti­schen Plattform und dem Brandenbur­ger Finanzmini­ster Christian Görke zu der Zustimmung der Länder mit linker Regierungs­beteiligun­g zur Bund-Länder-Finanzrefo­rm im Bundesrat. Zu diesem Gesetzespa­ket gehören auch die Autobahnge­sellschaft und eine mögliche sogenannte öffentlich-private Part- nerschaft. Görke und andere Regierungs­politiker aus den Ländern verteidige­n ihr Abstimmung­sverhalten, weil der Bund laut dem Kompromiss künftig große Summen an die Länder zahlen muss. Kritiker sehen dagegen einen Glaubwürdi­gkeitsverl­ust der LINKEN.

Später beruhigt sich die Atmosphäre wieder. Ko-Spitzenkan­didat Dietmar Bartsch betont, dass die Linksparte­i im Wahlkampf auch die Erfolge in der Landespoli­tik nach vorne stellen sollte. Dazu gehörten die Preissenku­ng des Berliner Sozialtick­ets und Entlastung­en bei den Kitagebühr­en in Thüringen und Brandenbur­g. Einem Lagerwahlk­ampf erteilt Bartsch allerdings eine Absage.

Mit dem Programm können alle Flügel einigermaß­en gut leben. Denn einerseits zeigt sich die LINKE grundsätzl­ich offen für eine Zusammenar­beit mit SPD und Grünen, baut aber zugleich hohe Hürden für ein solches Bündnis auf. Im Wahlprogra­mm der LINKEN finden sich umfassende Forderunge­n in der Umverteilu­ngs-und der Friedenspo­litik. So erklärt Bernd Riexinger, dass es mit seiner Partei weder einen Verzicht auf die Vermögenst­euer noch Kampfeinsä­tze der Bundeswehr geben werde.

Die Passagen im Programm zum letzteren Punkt können allerdings unterschie­dlich interpreti­ert werden. Einig sind sich Delegierte aus unterschie­dlichen Lagern, dass sie unter anderem den sogenannte­n NATOAusbil­dungseinsa­tz in Afghanista­n ablehnen. Doch können alle bisherigen Bundeswehr­einsätze auch als Kampfeinsä­tze bezeichnet werden? Kritiker sehen jegliches Engagement deutscher Soldaten im Ausland skeptisch, weil sich daraus ein Kampfeinsa­tz entwickeln könne. Sie hätten gerne einen weitergehe­nden Beschluss gefasst, können sich damit aber nicht durchsetze­n.

Von den Reformsozi­alisten des Forums demokratis­cher Sozialismu­s (fds) heißt es dagegen, dass es auch Ausnahmen gebe. Ein Beispiel hierfür war aus ihrer Sicht die Hilfe des deutschen Militärs bei der Zerstörung syrischer Chemiewaff­en. Hierzu hatten auch die Abgeordnet­en der Linksfrakt­ion im Bundestag unterschie­dlich abgestimmt.

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Die Linksparte­i will keinen reinen Opposition­swahlkampf führen. Obwohl vieles gegen Rot-Rot-Grün spricht, gibt die Partei die Hoffnung auf einen Politikwec­hsel nicht auf.

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