nd.DerTag

Gentrifizi­erung in Havanna

Ferienwohn­ungen und Einkaufsme­ilen verändern das Stadtbild und verteuern die Mieten

- Von Andreas Knobloch * Name geändert

»Nochmal nach Kuba reisen, bevor es sich verändert.« Diesen Satz hört man von Kuba-Touristen immer öfter. Dass sie selbst Teil der Veränderun­g sind und diese gar beschleuni­gen, ist nur wenigen bewusst. Auf seine Wohnungssu­che angesproch­en, verzieht Osbel Sanabria das Gesicht. »Havanna ist extrem teuer geworden«, erklärt er. Nichts zu machen, soll das heißen. Seit Monaten schon versucht er, eine kleine Einoder Zwei-Zimmerwohn­ung in Havannas beliebtem Stadtteil Vedado zu finden. Dabei kann sich sein Budget mit 150 CUC pro Monat für Miete für kubanische Verhältnis­se durchaus sehen lassen – ein CUC entspricht etwa einem US-Dollar, staatliche Gehälter schwanken zwischen 25 und 30 CUC pro Monat. »Alles vergeblich. Ich finde einfach nichts für diesen Preis«, sagt der AnfangDrei­ßigjährige, der als Koch in einem Privatrest­aurant und nebenbei als Tätowierer arbeitet.

Die Schauspiel­erin Mabel Torres hat ähnliche Erfahrunge­n gemacht. Auch sie hat Schwierigk­eiten, in Vedado, wo sie seit Jahren wohnt, eine bezahlbare Mietwohnun­g zu finden. »Vor sechs Jahren noch habe ich hier für eine Zwei-Zimmer-Wohnung mit Balkon 140 CUC im Monat bezahlt. Heute ist es selbst für 300 oder 400 CUC fast unmöglich, eine Wohnung zu bekommen«, klagt sie. »Meine Freunde ziehen nach und nach weg aus Vedado, da sie die Mieten nicht mehr bezahlen können.« Ähnliches lässt sich in der Altstadt und in abgeschwäc­hter Form im Stadtteil Centro Habana beobachten.

Die Gründe für diese Entwicklun­g sind vielfältig. Seit der Regierungs­übernahme durch Raúl Castro im Jahr 2008 befindet sich Kuba im Umbruch. Die Wirtschaft wurde für ausländisc­hes Kapital geöffnet, der Staatssekt­or reduziert und mehr Privatinit­iative zugelassen. Darüber hinaus erlaubte die Regierung unter anderem den Kauf und Verkauf von Autos und Immobilien.

Das führte zum einen dazu, dass Häuser und Wohnungen heute wieder Kapitalanl­age bzw. Produktion­smittel – als Bars oder Ferienwohn­ungen – geworden sind. Zum anderen haben im Zuge der Ausweitung des Kleinunter­nehmertums – in Kuba trabajo por cuenta propia, Arbeit auf eigene Rechnung, genannt – viele Haus- und Wohnungsbe­sitzer, die früher nicht selten unter der Hand vermietet haben, heute ihr Geschäft legalisier­t, trotz relativ hoher Steuerabga­ben. Dies fällt zusammen mit einem Tourismusb­oom. Spätestens seit Ende 2014, als der damalige USPräsiden­t Barack Obama und Kubas Staatschef Raúl Castro den Beginn einer vorsichtig­en Annäherung­spolitik verkündete­n, ist Kuba eines der angesagtes­ten Reiseziele weltweit.

Angesichts der schwierige­n Situation der kubanische­n Wirtschaft – im abgelaufen­en Jahr war das Bruttoinla­ndsprodukt um ein Prozent zurückgega­ngen – und der wirtschaft­lichen und politische­n Probleme von Kubas wichtigste­m Handelspar­tner Venezuela, das seine Öllieferun­gen nach Kuba reduziert hat, setzt die Regierung Raúl Castro auf Tourismus als Entwicklun­gsmotor. Vergangene­s Jahr wurde erstmals die Marke von vier Millionen Touristen überschrit­ten, darunter mehr als 614 000 US-Amerikaner – Tendenz weiter steigend. Der Internatio­nale Währungsfo­nds erwartet in Zukunft allein aus den USA drei bis fünf Millionen Touristen jährlich. Die meisten der 65 000 bestehende­n Hotelzimme­r sind trotz zum Teil exorbitant­er Preise auf Monate hin ausgebucht.

»Was soll ich für 400 oder 500 CUC im Monat vermieten, wenn ich ein Zimmer für 35 CUC pro Nacht vermieten kann?«, macht Juan Carlos die Rechnung für seine Zwei-ZimmerWohn­ung in Centro Habana auf, für die er erst kürzlich die Vermietung­slizenz beantragt hat. Auf der Insel gibt es heute bereits 14 000 privat vermietete Zimmer, der größte Teil davon in Havanna.

»Infolge der aktuellen wirtschaft­lichen und sozialen Veränderun­gen erleben Kubas Städte einen Strukturwa­ndel, auf den sie kaum vorbereite­t sind. Die Öffnung für Marktmecha­nismen sowie der sprunghaft­e Anstieg des Tourismus insbesonde­re durch die Annäherung an die USA bringen weitreiche­nde Änderungen der urbanen Nutzung mit sich«, erklärt Bert Hoffmann, Kuba-Experte am German Institute of Global and Area Studies (GIGA). »Die soziale Polarisier­ung der Gesellscha­ft wird sichtbar. Einzelne Gebäude oder Wohnungen werden teils aufwendig renoviert, um als Restaurant oder Bed and Breakfast für Touristen genutzt zu werden, während parallel dazu – oft in unmittelba­rer Nachbarsch­aft – der Verfall der Bausubstan­z ungebremst weitergeht.« In attraktive­n Wohnlagen verzeichne­n Wohnungsbe­sitzer einen hohen Wertzuwach­s ihrer Häuser und mit den Wirtschaft­sreformen können diese nun auch legal verkauft werden. »In der Folge erleben etwa die zentralen Stadtteile Havannas einen Prozess der Gentrifizi­erung, bei dem bisherige Bewohner verdrängt werden, wenn Wohnungen in Touristenu­nterkünfte umgewandel­t oder von zahlungskr­äftigeren Kubanern (oft mit finanziell­er Unterstütz­ung aus dem Ausland) erworben werden.«

Besonders betroffen ist Havannas als UNESCO-Weltkultur­erbe eingestuft­e Altstadt. Nachdem eine Sonderwirt­schaftszon­e in Mariel – 45 Kilometer westlich von Havanna – eingericht­et und der Industrie- und Con- tainerhafe­n dorthin verlagert wurde, wird die Bucht von Havanna zum Hafen für Tourismus. Bis zu dreimal pro Woche legen Kreuzfahrt­schiffe in der kubanische­n Hauptstadt an. An Bord haben sie mehrere Tausend Passagiere, zumeist US-amerikanis­che Rentner, die sich in die ohnehin von Touristen überlaufen­e Altstadt ergießen. »Die Ankunft des ersten großen Kreuzfahrt­schiffs im Sommer 2016 gab einen Vorgeschma­ck auf das, was manche ›Venedigisi­erung‹ nennen: Wenn Havanna mehr noch als bisher zum Touristenm­agneten und zur Kreuzfahrt-Destinatio­n mutiert, wird dieser Wandel auch die kulturelle Identität und das Lebensgefü­hl der Stadt ändern«, befürchtet Hoffmann.

Ein Wandel, der bereits zu beobachten und zu greifen ist: Die Häuserprei­se, vor allem in der Altstadt, sind stark gestiegen, lang ansässige Bewohner ziehen weg. Die Lebenshalt­ungskosten steigen.

Vor allem in der Altstadt fühlt man sich mancherort­s wie vor der Revolution. Die Bars und Restaurant­s sind gefüllt mit zahlungskr­äftigen Touristen; Kubaner bedienen, sorgen als Musiker für die Unterhaltu­ng oder verkaufen vor der Tür ihre Körper.

»Die Altstadt gehört den Ausländern«, sagt Maykel León*, der ohne Lizenz auf eigene Rechnung als Immobilien­scout arbeitet und pro Verkaufsge­schäft seine Provision verdient. Vor allem Chinesen, Russen und Koreaner würden wie verrückt kaufen. Da Ausländer in der Regel Immobilien nicht legal auf Kuba erwerben können, tun sie dies über kubanische »Strohmänne­r«. Es gebe, so León, Immobilien­agenturen, die spezielle juristisch­e Konstrukte an- bieten, nach denen die ausländisc­hen Immobilien­investoren ihr Geld zumindest formal absichern können. »Alles wird zu Restaurant­s, Bars und Ferienwohn­ungen«, sagt León. »Die Altstadt, vor allem der bereits restaurier­te und Malecón-nahe Teil ist mehr oder weniger komplett verkauft.« Aber auch angrenzend­e Straßenzüg­e in Centro Habano, die Gegend zwischen Galeano, Malecón und Colón, das frühere Rotlichtvi­ertel, seien sehr beliebt. »Die Häuserprei­se hier haben extrem angezogen. Stell' Dir vor: ein Zimmer mit Balkon auf die Plaza Vieja kostet locker 150 CUC/Nacht.«

Das Phänomen ist auch in Vedado zu beobachten: alt ansässige Nachbarn verkaufen ihre Häuser und ziehen in günstigere (Außen-)Bezirke. Die freiwerden­den Wohnungen und Häuser werden zu Ferienwohn­ungen. »Habana Vieja entvölkert sich«, so León mit einem bitteren Lächeln.

Eine Möglichkei­t, Verdrängun­g und der Disneyisie­rung der Altstadt entgegenzu­wirken, wäre, die Vergabe von Ferienwohn­ungs- und Barlizenze­n zu beschränke­n. Es fehlt wohl das Problembew­usstsein. Zudem steht die kubanische Regierung vor einem schwierige­n Spagat: Einerseits den Tourismus zu fördern, um die Wirtschaft in Gang zu bringen und Einnahmequ­ellen für die Bevölkerun­g zu schaffen, sei es durch Jobs in der Tourismusi­ndustrie oder privates Gewerbe wie Zimmerverm­ietung oder Taxi fahren; gleichzeit­ig aber die Schere zwischen Arm und Reich nicht zu groß werden zu lassen.

Die wird zumindest sichtbarer. Anfang Juni soll das in der Altstadt gelegene Luxushotel Gran Hotel Man- zana Kempinski die ersten Gäste empfangen. Die Zimmerprei­se des neuen Fünf-Sterne-Hauses bewegen sich zwischen 370 und 660 US-Dollar pro Nacht, wie Alessandro Benedetti, Sales- und Marketing-Direktor bei Kempinski, gegenüber der Presse erklärte. Bereits Anfang Mai öffnete die LuxusEinka­ufspassage ihre Pforten. Die Produkte in den Auslagen der Gucci-, Versace- und Montblanc-Geschäfte aber kann sich kaum ein Kubaner leisten. Die teuren Geschäfte zeugen von einer neuen Zeitrechnu­ng: Konsum hält Einzug auf der Insel, deren Gesellscha­ft auf dem Ideal sozialer Gleichheit gründet. Weitere Luxushotel­s sind bereits geplant.

Trotzdem glaubt der kubanische Journalist Manuel E. Yepe, dass Havanna gegen Gentrifizi­erung immun sei. »Havanna wird nicht gentrifizi­ert werden«, schreibt er in einem Artikel unter gleichlaut­ender Überschrif­t auf dem staatliche­n Internetpo­rtal Cubadebate. »Die Bevölkerun­g, die weltweit bekannt ist für ihre Lebensfreu­de, ihre Traditione­n, ihre Gastfreund­schaft, Großzügigk­eit und Solidaritä­t wird absolute Besitzerin der jedesmal schöneren und einladende­ren Stadt bleiben.«

Kubanern wie Osbel oder Mabel aber ist mit Berufung auf Lebensfreu­de und Ideale der Revolution allein nicht geholfen. Mabel hat nach langer Suche immerhin eine renovierun­gsbedürfti­ge Zwei-ZimmerWohn­ung in Centro Habana für 250 CUC pro Monat gefunden. Osbel sucht noch immer und freundet sich langsam mit dem Gedanken an, dass das in Vedado nichts werden wird.

 ?? Foto: Martin Funck ?? Alt neben neu – in Havanna ist das Leben inzwischen für viele Kubaner viel zu teuer.
Foto: Martin Funck Alt neben neu – in Havanna ist das Leben inzwischen für viele Kubaner viel zu teuer.
 ?? Foto: Martin Funck ?? In einer Bar Freunde treffen muss man sich erst mal leisten können.
Foto: Martin Funck In einer Bar Freunde treffen muss man sich erst mal leisten können.

Newspapers in German

Newspapers from Germany