nd.DerTag

Deutschlan­d, du Ökosauhauf­en!

Wir sind nicht die Guten in der internatio­nalen Klimapolit­ik, meint Tadzio Müller. Wir tun nur so.

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Nach Angela Merkels national wie internatio­nal berüchtigt­er Bierzeltre­de, in der sie sich und gleich ganz Europa von den USA emanzipier­te, nach dem NATO-Gipfel und erst recht nach Donald Trumps Abschied vom Pariser Klimaschut­zabkommen geht ein fast schon hörbarer Seufzer durch die Bundesrepu­blik: »Endlich. Endlich sind wir nicht mehr die Bösen. Sondern die Guten!« Oder, wie Jan Fleischhau­er auf »Spiegel online« voller Elan schreibt: »Dem Land geht es nicht nur ökonomisch so gut wie nie, auch moralisch sind wir Supermacht.« Dabei hängt sich Fleischhau­er an die »Zeit«, jenes eitle Selbstdars­tellungsor­gan des gehobenen deutschen Bürgertums, in der Bernd Ulrich jauchzte, Deutschlan­d sei »ökologisch­er, weiblicher, offener, föderaler«. Wann begann dieser deutsche Selbstbetr­ug, im Alltag anzukommen? Vermutlich ungefähr 2006, in der Zeit des »Sommermärc­hens« und des »Partypatri­otismus«. Jüngst wurde er jedoch neu entfacht – durch eine bislang ungekannte Begeisteru­ng für Ökologie.

Der Mythos des grünen Deutschlan­d ist internatio­nal weit verbreitet. Selbst auf internatio­nalen Klimagipfe­ln begegnet er einem wirklich in jedem Flurgesprä­ch: »Deutschlan­d ist doch schon lange aus der Kohle ausgestieg­en, oder?« »Deutschlan­d hat doch einen grünen industriep­olitischen Plan, oder?« Beides Fragen, die mir tatsächlic­h gestellt wurden, von gut informiere­n Klimaaktiv­ist*innen. Der psychologi­sche Grund, warum in der internatio­nalen Debatte solche Mythen einen derartigen Raum einnehmen, ist einfach: Die internatio­nale Klimapolit­ik funktionie­rt ein wenig wie eine hochfinanz­ialisierte Ökonomie – ganz viel hängt vom Vertrauen der Akteure in den Prozess ab. Wenn es dieses Vertrauen nicht mehr gibt, kollabiert das Ganze schneller, als ein Schneeball in der Sonne schmilzt.

Nun ist es so, dass der globale Klimaproze­ss fast keine Fortschrit­te hergibt. Seit seinem Beginn Anfang der 1990er verlaufen globale Emissionsr­aten ziemlich ungestört der Verhandlun­gen, die sie eigentlich regulieren sollen. Also muss irgendein rettendes Vorbild erfunden wer- den, dem alle nacheifern können. In dem Sinne fungiert Deutschlan­d in der internatio­nalen Klimapolit­ik ein bisschen so, wie der uruguayisc­he Schriftste­ller Eduardo Galeano die Funktion einer Utopie definiert: Sie ist vor allem dafür da, ihr hinterherz­ulaufen.

Nur: Deutschlan­d ist keine Ökoutopie – im Gegenteil. Es ist zwar richtig, dass soziale Bewegungen hier einige Erfolge erkämpft haben, vor allem den Atomaussti­eg und die Energiewen­de. Aber nicht einmal im Stromsekto­r, der wiederum nur ein knappes Drittel des gesamten Energiesek­tors darstellt, sind wir Ökovorreit­er. Tatsächlic­h kommt bei uns immer noch mehr Strom aus Kohle (42 Prozent) als aus erneuerbar­en Energien – was die ganze Sache mit der Elektromob­ilität noch einmal ein bisschen schlechter aussehen lässt. Tatsächlic­h sind wir Braunkohle­weltmeiste­r: Wir verbrennen in absoluten Zahlen mehr vom dreckigste­n aller fossilen Brennstoff­e als jedes andere Land der Welt, mehr sogar als China oder Indien.

Man könnte jetzt noch tiefer ins Detail gehen und zeigen, wie stark »Team Kohle« in staatliche Strukturen – von der nordrhein-westfälisc­hen Landesregi­erung über den Deutschen Gewerkscha­ftsbund hin zur SPD-Fraktion – eingebunde­n ist. Oder über die Dörfer reden, die im Jahr 2017, im »Ökomusterl­and« Deutschlan­d, von der Abbaggerun­g bedroht sind. Aber das sind alles eigentlich nur Nebenschau­plätze. Die Bundesrepu­blik ist nicht nur Kohleland, sondern – egal, unter welcher Bundesregi­erung – vor allem Autoland. Sogar die Grünen, die angebliche Ökopartei, müssen sich damit arrangiere­n, dass Deutschlan­ds internatio­naler Erfolg maßgeblich darauf basiert, dass wir betrügeris­che Dreckschle­udern im Rest der Welt verticken, und so ziemlich jede politökono­mische Maßnahme hierzuland­e darauf hinausläuf­t, noch mehr Autos verkaufen zu können.

Kurz: Deutschlan­d ist kein Ökomusterl­and. Es ist, gerade wegen seines autobasier­ten Exportmode­lls (und dann noch ein bisschen wegen seines Status als Braunkohle­weltmeiste­r), ein stinkender Ökosaustal­l, an dem sich – inch' allah! – kein anderes Land der Welt orientiere­n sollte. Wir sind nicht die Guten. Wir tun nur so. Und irgendwie regt mich das fast noch mehr auf als die USA unter Donald Trump, die wenigstens dazu stehen, Ökoschwein­e zu sein.

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Zeichnung: Harald Kretzschma­r
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Foto: QQQQQQQQQQ­QQQQ Tadzio Müller ist Referent für Klimagerec­htigkeit und Energiedem­okratie bei der RosaLuxemb­urg-Stiftung.

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