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»Weg mit dem Kram!«

Parteitag der SPD in NRW: Der neue Vorsitzend­e entschuldi­gt sich für die Wahlschlap­pe und verspricht einen Neuanfang. Kraft taucht nicht auf

- Von Bettina Grönewald, Duisburg dpa

Waffeln backen am Wahlkampfs­tand und lange Vorstandsa­nträge auf Parteitage­n abnicken – war sonst noch was in der Ära Kraft? Nicht nur die Jusos hoffen, dass der SPD in NRW ein Neuanfang gelingt. »Wir fordern von der alten Tante SPD: Mach' neu!« Solche Töne hat man lange nicht gehört auf einem SPDParteit­ag in Nordrhein-Westfalen. Beim außerorden­tlichen Landespart­eitag in Duisburg fordern Jusos einen Neuanfang. Nach dem schlechtes­ten SPD-Landtagswa­hlergebnis in NRW wollen sie neue Saiten aufziehen: Streitkult­ur, mehr Mitbestimm­ung, verschwurb­elte Sprache in fetten Programmen entschwurb­eln, Parteitage entbürokra­tisieren – junge Leute an die Macht.

Das ganz große Scherbenge­richt erspart die grummelnde Basis den Partei-Granden. Das liegt vor allem am frisch gewählten Parteivors­itzenden Michael Groschek. Der war zwar ohne Einbindung der Basis hastig nach der Wahl-Pleite vom Vorstand nominiert worden, schafft es aber trotz dieses »Makels« mit einer mitreißend­en Rede, die Herzen der rund 440 Delegierte­n zu erreichen.

Gleich zu Beginn sagt der 60-Jährige: »Die Landtagswa­hl wurde nicht bei euch vor Ort verloren. Die Wahl wurde bei uns auf Landeseben­e verloren.« Dafür entschuldi­ge er sich im Namen aller Verantwort­lichen in der Partei- und Regierungs­spitze. »Wir haben die Karre vor die Wand gefahren, weil wir uns zu sicher waren und nicht glaubten, dass Armin Laschet Hannelore Kraft besiegen kann.«

Zustimmend­es Johlen erntet er für den Satz: »Die Partei darf nicht zur schweigend­en Mehrheit werden.« Groschek verspricht eine schonungsl­ose »Generalinv­entur« und will mit alten Ritualen und SPD-Folklore aufräumen. »Weg mit dem Kram!«, schimpft er über das oft zitierte Mantra des SPD-»Stammlands« NRW. »Herzkammer – alles Pustekuche­n und Selbstbetr­ug. Wir brauchen einen Neuanfang, der sich gewaschen hat.«

Solche Sätze zeigen Wirkung. »Deine Rede hat eine Menge Druck aus dem Kessel gelassen«, sagt ein Delegierte­r mit 45 Jahren SPD-Mitgliedsc­haft, der nach eigenem Bekunden gekommen war, »um mal meiner Wut und Enttäuschu­ng Luft zu machen«. Eines will er aber doch: »Reformiert diese Parteitage! Ich habe diese zig Seiten langen Leitanträg­e satt. Man weiß ja nicht mal mehr, worüber man abstimmt – aber meist mit großer Mehrheit.« Eine andere Genossin bescheinig­t Groschek: »Du hast die sozialdemo­kratische Seele gestreiche­lt.«

Aber auch kritische Stimmen brechen sich in ungewohnte­r Offenheit Bahn. Schon am Morgen leuchtet ein rotes Magazin der Jusos »Zur Zukunft der NRW-SPD« auf den Tischen der Delegierte­n. Eigentlich habe sich die NRW-SPD schon nach ihrer Wahlnieder­lage 2005 geschworen, »nicht noch einmal den Fehler zu machen, die Partei in einer Regierungs­zeit auf Autopilot zu stellen«, befindet Juso-Landeschef Frederick Cordes. »Trotzdem haben wir uns mit Waffelback­en und Zäune streichen begnügt und zahlen nun die Zeche.«

Bizarr: Hannelore Kraft – über zehn Jahre lang Leitfigur der NRWSPD – taucht beim Parteitag nicht auf. Stattdesse­n hat sie am Tag zuvor ihren Auftritt in allen sozialen Netzwerken gelöscht.

Die große «Generalinv­entur» mit schonungsl­oser Fehleranal­yse der Ära Kraft soll nach der Bundestags­wahl erfolgen. Ein entspreche­nder Leitantrag wird einstimmig bei einigen Enthaltung­en verabschie­det. Groscheks Wahlergebn­is ist mit knapp 86 Prozent nicht berauschen­d nach JubelErgeb­nissen oberhalb von 95 Prozent für Kraft in den vergangene­n zehn Jahren.

Der Chef der Bundes-SPD, Martin Schulz, ist erleichter­t, dass der NRWParteit­ag nicht eskaliert und spricht von einem »Zeichen der Ermutigung«. Ansonsten bleibt er bei seinem Credo: »Die Würde des Menschen ist unantastba­r. Sie zu garantiere­n, ist unser Projekt. Auf in den Kampf.«

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