Potenzial für neue Massenopposition
Callum Cant über die Auswirkungen des britischen Wahlergebnisses für die außerparlamentarische Linke
Die Tories bleiben stärkste Kraft, aber Labour feiert. Was ist passiert?
Der politische Status quo hat sich in der Wahlnacht spektakulär in Luft aufgelöst. Labour hat 30 Sitze hinzugewonnen, die Tories haben 13 verloren – und damit ihre parlamentarische Mehrheit. Die britische Wählerschaft hat der Austerität als politischen Normalvollzug eine klare Absage erteilt. Dem ersten Eindruck nach haben sich vor allem junge Wähler an die Urnen aufgemacht und eine links aufgestellte Labour-Partei zu neuem Leben verholfen. Die angestrebte Kooperation von Tories und den nordirischen Unionisten (DUP) ist mit nur einem Sitz über der Mehrheitsgrenze sehr brüchig, Neuwahlen scheinen nicht unwahrscheinlich. Mays Kampagne drehte sich um zwei Parolen. Erstens wollte sie eine »starke und stabile Führung« verkörpern und zweitens warnte sie, dass Corbyn nur als Spitze einer »Koalition des Chaos« Premierminister werden könne. Nun bildet sie die Koalition des Chaos selbst.
Was bedeutet die Koalition für die Politik Großbritanniens?
Bei der DUP handelt es sich um eine ultrarechte Unionspartei in Nordirland. Sie vertritt beispielsweise sehr reaktionäre Positionen gegenüber LGBT-Rechten und zur Abtreibungsfrage, die mit der Mehrheitsmeinung auf der Insel nicht vereinbar sind. Außerdem haben sie historische Verbindungen zu loyalistischen Paramilitärs. In vielerlei Hinsicht ist die DUP deutlich rechter als die United Kingdom Independence Party, die gegenüber ihren zwölf Prozent bei der Wahl 2015 dieses Mal fast irrelevant geworden ist. Die Unionisten haben nun vermutlich Zugriff auf die Regierung; es bleibt abzuwarten, inwiefern sie ihren Einfluss geltend machen können. Jeglicher Druck auf die hauchdünne Regierungsmehrheit könnte diese schnell in eine Krise stürzen.
Corbyn trat ausgerechnet mit den Sozialdemokraten an, um eine »Po- litik für die Vielen« zu machen. Ist ihm das gelungen?
Als die Labour-Partei Corbyn 2015 zum Parteivorsitzenden wählte und damit eine Linkswende eintrat, etablierte sich in den Medien schnell der Konsens der Unwählbarkeit Corbyns. Dieser Common Sense wurde nun komplett umgedreht. Corbyn hat die meisten Sitze für Labour seit 2005 und ein Stimmenplus von zehn Prozent geholt. Dieser Wahlerfolg ist der größte seit dem dramatischen »New Labour«-Erdrutschsieg von Tony Blair 1997. Während sozialdemokratische Politik in Europa kollabiert, ist Labour in die Offensive gegangen. Das britische Mehrheitswahlsystem bringt immense Nachteile für kleine Parteien mit sich. Daher war die Entste- hung eines Pendants zu SYRIZA und Podemos links von Labour nie eine wirkliche Option. Was stattdessen stattfand war eine interne Transformation der klassischen sozialdemokratischen Partei zu einem neuen, linkspopulistischen Projekt.
Aber viele Abgeordnete sind doch noch gegen Corbyn eingestellt? Diese Transformation birgt natürlich nach wie vor Spannungen. Viele der gewählten Labour-Parlamentarier stellen sich gegen die Linkswende und haben diese von vornherein versucht zu sabotieren. Aber Corbyns Erfolg sollte zunächst einmal jegliche Vorstandsdebatte im Keim ersticken. Diese »neue Politik« des linken Populismus hat schließlich nicht nur zum Wahlerfolg geführt, sondern die Linkswende der Partei konsolidiert.
Welche Auswirkung haben die Wahlen hinsichtlich der Brexit-Verhandlungen?
Hauptanliegen der Tories zur Ausrufung der Neuwahlen war der Ausbau ihrer dünnen parlamentarischen Mehrheit aus der Wahl 2015. May versprach sich ein starkes Mandat für die Verhandlungen mit der EU. Allerdings ist das Gegenteil eingetreten. Beim Aufeinandertreffen mit den EUStaatschefs weiß sie keineswegs die Unterstützung des Parlaments, ge- schweige denn der Wählerschaft hinter sich. Der ganze Brexit-Prozess scheint nun außer Kontrolle zu geraten.
Corbyn ist erfolgreich, aber die DUP erlangt Macht. Wird sich etwas auf den Straßen regen?
Eine entscheidende Frage ist die Entwicklung in Irland. Der Friedensprozess ist nun in Gefahr. Der Brexit könnte die Wiedereinführung einer harten Grenze zwischen Nord und Süd bedeuten. Nicht zu vergessen die potenzielle starke Rolle der DUP innerhalb der Regierung Großbritanniens. Das Wahlergebnis wird sicher den Konflikt zwischen Republikanern und Unionisten befeuern. Auf der gesamten Insel dürfte dieses Schockergebnis hingegen Chancen für außerparlamentarische Initiativen bieten. 40 Prozent der Wählerschaft haben sich für linkssozialdemokratische/sozialistische Ideen ausgesprochen. Soziale Bewegungen, die zwischen 2010 und 2012 explodierten, dann aber wieder einschliefen, könnten erneut erstarken. Kämpfe rund um die Themen Austerität, Stadtpolitik, Migration und Lohnarbeit könnten Anknüpfungspunkte für die Organisierung sein. Insgesamt liefert das Ergebnis ein großartiges Potenzial für die Entwicklung einer progressiven Massenopposition.