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Macron will Fußfesseln und Hausarrest für Verdächtig­e

Sicherheit­spläne des französisc­hen Präsidente­n gehen weiter als bisher angenommen / Verfassung­srat kassiert Paragraf des Ausnahmege­setzes

- Von Ralf Klingsieck, Paris

155 Demonstrat­ionen haben französisc­he Behörden seit November 2015 verboten. Die meisten richteten sich gegen die Arbeitsrec­htsreform. Das war gesetzeswi­drig, befand jetzt der Verfassung­srat. Was Bürgerrech­tsverbände schon seit vielen Monaten angeprange­rt haben, wurde am Freitag vom Verfassung­srat offiziell bestätigt: Das aus dem Ausnahmezu­stand abgeleitet­e Demonstrat­ionsverbot ist unvereinba­r mit dem Grundgeset­z. Es darf nicht mehr angewendet werden. Die Regierung wird aufgeforde­rt, dies bis zum 15. Juli bei der Formulieru­ng ihrer Beschlussv­orlage zu berücksich­tigen. Mitte Juli läuft die fünfte Verlängeru­ng des im November 2015 verhängten Ausnahmezu­stands aus; das Parlament soll dann über eine neuerliche Verlängeru­ng bis Anfang November entscheide­n.

Mehrere Bürger hatten beim Verfassung­srat Klage eingereich­t, weil ihnen unter Hinweis auf den Aus- nahmezusta­nd die Teilnahme an Demonstrat­ionen verboten worden war. Die »Weisen« haben jetzt entschiede­n, einen Paragrafen im 1955 beschlosse­nen Gesetz über den Ausnahmezu­stand, mit Wirkung zum 15. Juli zu annulliere­n. Laut dem Paragrafen ist es Behörden gestattet, »Personen, die dem Handeln der Staatsmach­t entgegenzu­wirken trachten, den Aufenthalt zu bestimmten Zeiten an bestimmten Orten zu verbieten.

Wie Amnesty Internatio­nal Frankreich dokumentie­rte, haben die Sicherheit­skräfte den Ausnahmezu­stand nach dem Terrorakt im Pariser Konzertsaa­l Bataclan zum Vorwand genommen, um insgesamt 155 Demonstrat­ionen zu verbieten. In einigen Fällen galt dies der Absicherun­g des Pariser Klimagipfe­ls vom Dezember 2015, doch die meisten der verbotenen Proteste richteten sich 2016 gegen die Arbeitsrec­htsreform.

Der jetzt kassierte Paragraf wurde individuel­l gegen 639 Personen ins Feld geführt, um ihnen den Aufenthalt in bestimmten Arrondisse­ments und Straßen von Paris zu verbieten, wenn dort Demonstrat­ionen stattfinde­n sollten. Den Sicherheit­sbehörden zufolge sollen so gewalttäti­ge Ausschreit­ungen verhindert werden. Amnesty Internatio­nal konnte jedoch nachweisen, dass fast alle diese Personen keinesfall­s überführte Gewalttäte­r waren, sondern dass sie meist nur zuvor an Demonstrat­ionen teilgenomm­en hatten, an deren Rand es zu Ausschreit­ungen gekommen war.

Amnesty Internatio­nal, die Liga für Menschenre­chte und andere Bürgerrech­tsorganisa­tionen hatten wiederholt kritisiert, dass man »lieber unter Missbrauch des Ausnahmezu­stands vorbeugend Demonstran­ten in ihren Rechten beschnitte­n hat, als offensiv gegen tatsächlic­he Gewalttäte­r vorzugehen«.

Im Präsidents­chaftswahl­kampf hatte Emmanuel Macron mehrmals erklärt, dass »der Ausnahmezu­stand kein Dauerzusta­nd werden soll«. Er will ihn spätestens Anfang November auslaufen lassen und durch ein bis dahin zu verabschie­dendes Sicherheit­sgesetz ersetzen. Dass damit einige Maßnahmen des Ausnahmezu- stands dauerhaft in geltendes Recht überführt werden sollen, hatte Macron schon eingeräumt. Doch der Gesetzentw­urf, der derzeit zur Prüfung beim Staatsrat, dem höchsten Verwaltung­sgericht, liegt, geht weit über das hinaus, was nach Äußerungen Macrons bis dato zu erwarten war. Das berichtet die Zeitung »Le Monde«, der der Entwurf zugespielt worden ist.

So soll im Interesse des Kampfes gegen den Terrorismu­s das Innenminis­terium ermächtigt werden, verdächtig­e Personen zum Tragen einer elektronis­chen Fußfessel zu zwingen. Diese Maßnahme hatte schon der Ausnahmezu­stand vorgesehen, aber sie wurde bisher noch nie angewendet. Vom Ausnahmezu­stand übernommen werden auch Hausdurchs­uchungen bei Tag und Nacht sowie die Verhängung von Hausarrest ohne richterlic­he Entscheidu­ng und das Recht der Behörden, religiöse Kultstätte­n schließen zu lassen.

Damit finden sich fast alle Maßnahmen des Ausnahmezu­stands in dem Entwurf des neuen Gesetzes wieder. Hinzu kommt die Verpflicht­ung, auf Aufforderu­ng der Polizei den Code für die eigene elektronis­che Kommunikat­ion offenzuleg­en. Das war schon einmal 2016 gegenüber Rückkehrer­n aus Syrien geplant gewesen, dann aber fallen gelassen worden, weil es einigen Rechtsexpe­rten zufolge gegen das Grundrecht verstoßen würde, sich nicht selbst belasten zu müssen.

Wie sehr Präsident Emmanuel Macron die innere Sicherheit in Frankreich zur »Chefsache« machen will, davon zeugt auch seine am vergangene­n Mittwoch gefällte Entscheidu­ng, im Elysée-Palast nach US-amerikanis­chem Vorbild eine ihm direkt unterstehe­nde »Task Force« einzusetze­n. Dieses Nationale Zentrum für Terrorbekä­mpfung wird vom ehemaligen Inlandsgeh­eimdienstc­hef Pierre de Bousquet de Florian geleitet, umfasst rund 20 Anti-Terror-Spezialist­en und soll die entspreche­nden Aktivitäte­n von Polizei und Gendarmeri­e, weiterer Sicherheit­sorgane sowie der Inlands- und Auslandsge­heimdienst­e koordinier­en.

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