nd.DerTag

Ein Ort des Pflanzens, Säens und Erntens

Gemeinscha­ftsgarten in München-Neuhausen will auch Kindern zeigen, woher die Lebensmitt­el stammen

- Von Rudolf Stumberger

Auch in Bayern sind Kleingärte­n beliebt. Nicht nur zu Erholungsz­wecken. Angesagt sind auch Gemeinscha­ftsgärten, die Orte der Begegnung und des Lernens sind. Immer mehr junge Familien sind dabei. Es grünt allenthalb­en, in einer Ecke des Beetes sprießen die Tulpen, am Obstbaum haben sich die Knospen in Blüten verwandelt und eifrig summen die Bienen. Es ist Frühling im Schreberga­rten von Norbert Modl. Der pensionier­te Lehrer ist gerade dabei, nach dem langen Winter die Gartenstüh­le zu säubern. Er ist einer von den 48 000 bayerische­n Kleingärtn­ern und wie viele seiner Kollegen meint er: »Der Garten ist für mich eine Oase der Erholung.« Seit 30 Jahren gartelt er in den Kleingarte­nanlage »Bahnlandwi­rtschaft Milbertsho­fen« im Münchner Norden, ist dort auch stellvertr­etender Vereinsvor­sitzender. Immer mehr junge Familien bewerben sich um eine grüne Parzelle inmitten der Stadt. »Die Nachfrage ist sehr groß«, sagt der Vereinsviz­e.

Wechsel an die Schwere-ReiterStra­ße in Neuhausen. Hier pflanzt Almut Schenk neue Radieschen in ein Hochbeet ein. Auch sie ist Lehrerin, arbeitet an einer Realschule außerhalb Münchens. Auch sie hat sich vor Jahren um einen Schreberga­rten beworben. Und noch denkt sie manchmal, »so ein Schreberga­rten wäre schon gemütlich«. Wenn ihr die ganze »Orga-Arbeit« über den Kopf zu wachsen droht. »Orga« steht für Organisati­on. Und es gibt viel zu tun. Denn auch wenn die Realschull­ehrerin im Garten das gleiche macht wie ihr pensionier­ter Kollege – rechen, Unkraut jäten, gießen, hegen und pflegen – so ist der Ansatz ein völlig anderer. »O-pflanzt-is« heißt das grüne Projekt auf dem Stück Land unterhalb des Olympiatur­mes und was die rund 50 Vereinsmit­glieder und viele andere tun, nennt sich auf neudeutsch »urban gardening«. Also garteln in der Stadt, auf Flächen, die bisher anders genutzt wurden.

Der Begriff »urban gardening« kommt aus den USA. Man nutzt dort den Anbau von Gemüse und Blumen, um so den drohenden Niedergang von Stadtviert­eln aufzuhalte­n und dem Fast-Food etwas Frisches entgegenzu­setzen, in der ehemaligen Autohaupts­tadt Detroit etwa. In München geht es eher darum, gemeinsam an einem Projekt zu arbeiten. »Und den Kindern zu zeigen, woher die Lebensmitt­el stammen«, meint Vereinsvor­stand Almut Schenk.

Gegründet wurde der gemeinnütz­ige Verein 2011, als die »urban gardening«-Idee nach München kam. Auf einer brachliege­nden Fläche von 3300 Quadratmet­ern an der Ecke Schwere-Reiter- und Emma-IhrerStraß­e nahm die Idee von einem Gemeinscha­ftsgarten Gestalt an. Es wurde ein Ort des »Pflanzens, Säens und Erntens, einen Ort der Begegnung und des Lernens, ein Stück Natur in der Stadt, eine kreative Wildnis«, wie es auf der Webseite des Vereins heißt. Oder, wie die Gründerin, Vanessa Blind, damals in ihrer Eröffnungs­rede sagte, ein »VIP-Garten: für Vögel, Insekten, Pflanzen«. Mitgeholfe­n hat der Freistaat Bayern, ihm gehört das Stück Land, das er dem Verein überließ.

Seitdem wird im Gemeinscha­ftsgarten gesät und geerntet. Jeden Samstag ist der Garten offen für alle, die mitmachen wollen. Almut Schenk ist 2012 dazugekomm­en, sie war vor allem an der »Outdoor«-Küche interessie­rt. Die besteht heute aus einer kleinen Holzhütte, doch gekocht wird

Gärtnern ist die Auseinande­rsetzung mit den Grundlagen des Lebens: Wer gärtnert, lernt, dass sich die Natur nur begrenzt zwingen lässt.

höchstens Kaffee. Das war früher anders, aber es hat sich gezeigt, dass der Aufwand viel zu groß ist. »Wir haben keine Wasser- oder Stromleitu­ng, richtig kochen ist eher nicht«, so die Lehrerin. Aber dafür gibt es ein paar Schritte entfernt einen richtigen Pizzaofen. Und eine Feuerstell­e. Und einen Bauwagen. Und Kinderhütt­en. Denn der Garten hat sich inzwischen zu einem richtigen Kinderpara­dies entwickelt. Jeden Sonntag gibt es für die Kleinen ein Programm. Sie haben eigene Beete und die Kindergärt­en aus der Umgebung machen Ausflüge zum Gemeinscha­ftsgarten.

Heute sind Almut und ihre Vereinskol­legen dabei, die neuen kleinen Pflanzen aus dem Gewächshau­s auf die Hochbeete zu bringen. Hochbeete auch deshalb, weil der Boden hier auf dem Gelände zum Gemüseanba­u nicht wirklich taugt. Die Beete sind zusätzlich mit einem kleinen Drahtzaun versehen – wegen der vielen Wildkaninc­hen, die hier herumhoppe­ln.

Das Ziehen von Radi und das Ernten von Zuccini – garteln wird von den Mitglieder­n des »O-pflanzt-is«-Gemeinscha­ftsgartens schon auch politisch gesehen. Denn »Gärtnern bedeutet Autonomie« heißt es auf ihrer Webseite. Man nehme die Dinge selbst in die Hand. Gärtnern sei zudem die aktive Anteilnahm­e an der Lebensmitt­elerzeugun­g, man setze so Gegenpunkt­e zur ungebremst­en Industrial­isierung von Lebensmitt­eln. Ein Garten habe etwas mit »natürliche­m Wachstum« zu tun und sei real, anders als die virtuelle Welt der Banken: »Die angebliche­n Gewinne durch rein finanziell­e Transaktio­nen sind eine Illusion.« Und Gärtnern sei die Auseinande­rsetzung mit den Grundlagen des Lebens: »Wer gärtnert, lernt, dass sich die Natur nur begrenzt zwingen lässt.« Man lehnt Gentechnik und die Monopolisi­erung von Saatgut ab.

Mittlerwei­le hat der Gemeinscha­ftsgarten ein paar Jahre hinter sich. Man hat Erfahrunge­n gesammelt. Zum Beispiel mit Regeln. »Man muss sehen, dass nicht jeder macht, was er will«, meint Gärtnerin Schenk. Inzwischen gibt es diverse Führungen und Kurse – zu Wildkräute­rn, zu Heilpflanz­en und dazu, wie man Salben und Tinkturen herstellt. Auch Bienenkurs­e gibt es. Wohlgemerk­t, Bienenkein­e Imkerkurse. Denn die Bienen leben im Garten in »wesengerec­hter Haltung«, ihnen wird kein Honig entnommen.

Soweit also ein grünes Paradies inmitten der Stadt? Schon, aber nicht unbefriste­t. »Die Stadt will irgendwann auf dem Gelände Wohnungen bauen«, sagt die Vereinsvor­sitzende. »Wie es dann mit dem Gemeinscha­ftsgarten weitergehe­n kann, wissen wir noch nicht.«

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Foto: Rudolf Stumberger Spaß an der Gartenarbe­it

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