Liebling, jetzt haben wir ein Riesenbaby
Donald Trump und die Mittelschicht: Die Berliner Schaubühne bringt Marius von Mayenburgs »Peng« zur Uraufführung
Keine fünf Monate ist der neue US-amerikanische Präsident im Amt, doch die deutschsprachigen Theaterbühnen haben ihn als Kunstfigur schon beinahe totgekaspert. Wo es nicht direkt um ihn als Person geht (wie in »Trump« von Mike Daisey am Theater Dortmund oder »The Trump Trial« am Studio-Theater Stuttgart), da biegen sich allerorten Regietheaterinszenierungen ihren Shakespeare, ihren Miller oder ihren Kafka so zurecht, dass sie als Vorboten des Berufschauvinisten erscheinen. Ein anderer Zugriff auf die sich nicht wehren könnenden Klassiker verfährt nach diesem Prinzip: Das Werk mag aus der Zeit des Kolonialismus/des Sowjetkommunismus/des Dreißigjährigen Kriegs/des Ersten Weltkriegs/des Zweiten Weltkriegs/des Nazi-Faschismus/des Franco-Faschismus stammen, aber gerade in Zeiten von Donald Trump ist es so unerhört aktuell. Schlimm, schlimm, das alles. Lernt die Menschheit denn nie dazu?
Gerne werden derzeit Stücke wie »Othello« (Gorki-Theater Berlin), »Antigone« (Deutsches Theater Göttingen), »Amerika« (Schauspiel Hannover) oder »Hexenjagd« (Burgtheater Wien) genutzt, um in einem Wisch auch Orbán, Brexit und AfD mit einer Diktatur der weißen, männlichen und heterosexuellen Ungebildeten auf Wähler- und Gewähltenseite zu erklären. Über die darf sich die akademische Mittelschicht – Stammpublikum der Schauspielhäuser – je nach Stimmung echauffieren oder belustigen. Der Ärger und die Enttäuschung über den Triumphzug der Rechten mündet in Vereinfachungen, die es der eigenen Gemeinde leicht machen.
Marius von Mayenburg wollte für seine diesjährige Premiere an der Berliner Schaubühne eigentlich ein Stück schreiben, das sich nicht um Tagespolitik schert. Nach der Präsidentschaftswahl in den USA entschied sich der Autor und Regisseur anders. So tief saß und sitzt die Wut über den Erfolg des reichen Riesenbabys im Weißen Haus, dass er mal eben ein Stück über ein tyrannisches Riesenbaby produzierte: »Peng«. Titelheld Ralf Peng ist ein kleiner Junge, natürlich hochbegabt, der schon im Mutterleib seine Zwillingsschwester erdrosselt. Von Anfang an stellt er klar, dass nichts ihn aufhalten wird auf seinem Weg nach oben. Wie in F. Scott Fitzgeralds Erzählung »Der seltsame Fall des Benjamin Button« kommt Ralf Peng äußerlich erwachsen zur Welt. Die zu Beginn platzierte Geburtsszene markiert optisch bereits den Höhepunkt des Abends: Hauptdarsteller Sebasti- an Schwarz steigt in einen überdimensionalen Luftballon und quetscht sich mithilfe der burschikosen Schwester Hedwig (Damir Avdic) unheil- und effektvoll heraus.
Als die Ärztin Dr. Bauer (Eva Meckbach) den Eltern offenbart, dass der kleine Ralf noch vor seiner Niederkunft einen Mord begangen hat, da übt sich der frisch Entschlüpfte sofort in Trump-Speech: »Lüge! Woher weiß ich denn, dass Sie kompetent genug sind, um das festzustellen?« – »Ich bin Ärztin!« – »Das kann ja jeder sagen.« – »Ich bin promoviert!« – »Promowas?« – »Promoviert, ich hab meinen Doktor gemacht!« – »Sie macht uns hier also den Doktor!«
Mit diesem geistigen Anspruch setzen sich die Witzeleien fort. Ralfs Eltern sind Karikaturen der PrenzlauerBerg-Bewohner: Der linksliberale Vater (Robert Beyer) arbeitet in einem Unternehmen, das Küchengeräte verkauft. Er artikuliert sich ausschließlich in Alliterationen und hat ebenso wie seine als Psychotherapeutin arbeitende Frau (Marie Burchard) nicht nur eine teure Wohnung, sondern auch ein moralisch erhebendes ökologisches Bewusstsein sowie ein scheinheiliges Herz für die Schwa- chen. Die frühen Macken ihres Sprösslings ignorieren beide. Am Frühstückstisch machen sie lieber einen auf Margarinewerbung. Ist halt hochbegabt, der Kleine. Nachdem Ralf auf dem Spielplatz ein Kind verprügelt und später dem lammfrommen Musiklehrer mit dem Geigenbogen ein Auge ausgestochen hat, (ver)zweifeln die Elternruinen noch immer nicht.
Die Bühne, die neben ein paar Schaumstoffhockern noch eine an zwei Seiten zu erklimmende Halfpipe enthält, ist im Greenscreen gehalten, damit die Protagonisten in Actionsettings montiert werden können, die auf einer Leinwand zu sehen sind. Das ermöglicht die Integration einer medienkritischen Ebene: Lukas Turtur spielt einen Fernsehreporter, der den Aufstieg des Ralf Peng zum Dokutainment-Event pimpen will.
Dass die bisherigen Kritiken zu »Peng« fast alle vernichtend ausfielen und im Verlauf der zweistündigen Premiere mehrmals die Tür knallte, weil erboste Zuschauer den Raum verließen, das liegt ziemlich sicher nicht nur an dem Klamauk oder an der inhaltlichen Überfrachtung. Einen wichtigen Grund findet die Ablehnung des Stückes wohl eher in der für ein deutsches Theater neuen Auseinandersetzung mit Trump. Mayenburg versucht, die komplizierten Verwobenheiten und Widersprüche zu ergründen, die zu diesem Präsidentendesaster und seinen europäischen Varianten führen konnten.
An Mayenburgs Haltung ist nur eines eindeutig: seine Ablehnung des für verblödet gehaltenen Donald Trump, der in Ralf Peng eine unberechenbare, instinktgesteuerte und hassenswerte Inkarnation erfährt. Mit beigebraunem Pullover und rosa schimmernder Strumpfhose tölpelt er sich durch sexistische Umkleidekabinengespräche, groteske Allmachtphantasien und eine Umdeutung des Wahlkampfes zur Castingshow. Je weiter der Akt des aufgedrehten En- sembles voranschreitet, umso deutlicher wird Mayenburgs Bemühen, eine Art Weltformel des Rechtsrucks mit dem Mittel der Kunst zu entwickeln. Das führt zwangsläufig zu Ermüdungserscheinungen im Publikum. Da spitzt sich dann irgendwann die Handlung wie eine Tüte zu, aber statt einer Spitze mündet sie in einem Loch, und die Tüte bleibt leer. Immerhin prangt auf dieser Tüte das Brandmal der Gesamtgesellschaft. Sie verströmt nicht das Pornoladenschmuddel-Flair der Unterschicht und hat auch kein Aldi-Tragetaschen-Format, wie es das Klischee den schlichteren Gemütern zuschreibt.
Hier steht vor allem eine gebildete Mittelschicht im Fokus, die ein Riesenbaby wie Ralf Peng alias Donald Trump zuerst nicht ernst nahm, dann auslachte und am Ende die Schuld bei den mutmaßlich Dummen suchte. In Deutschland sah sich diese »Mitte der Gesellschaft« bisher nur in dem großartigen Kinofilm »Einsamkeit und Sex und Mitleid« karikiert, was ebenfalls zu heftigen Verrissen durch Feuilletonisten führte – die überwiegend zu genau diesem Milieu gehören.
Schlimm, schlimm, das alles. Lernt die Menschheit denn nie dazu?