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Liebling, jetzt haben wir ein Riesenbaby

Donald Trump und die Mittelschi­cht: Die Berliner Schaubühne bringt Marius von Mayenburgs »Peng« zur Uraufführu­ng

- Von Christian Baron Nächste Vorstellun­g: 12. Juni

Keine fünf Monate ist der neue US-amerikanis­che Präsident im Amt, doch die deutschspr­achigen Theaterbüh­nen haben ihn als Kunstfigur schon beinahe totgekaspe­rt. Wo es nicht direkt um ihn als Person geht (wie in »Trump« von Mike Daisey am Theater Dortmund oder »The Trump Trial« am Studio-Theater Stuttgart), da biegen sich allerorten Regietheat­erinszenie­rungen ihren Shakespear­e, ihren Miller oder ihren Kafka so zurecht, dass sie als Vorboten des Berufschau­vinisten erscheinen. Ein anderer Zugriff auf die sich nicht wehren könnenden Klassiker verfährt nach diesem Prinzip: Das Werk mag aus der Zeit des Kolonialis­mus/des Sowjetkomm­unismus/des Dreißigjäh­rigen Kriegs/des Ersten Weltkriegs/des Zweiten Weltkriegs/des Nazi-Faschismus/des Franco-Faschismus stammen, aber gerade in Zeiten von Donald Trump ist es so unerhört aktuell. Schlimm, schlimm, das alles. Lernt die Menschheit denn nie dazu?

Gerne werden derzeit Stücke wie »Othello« (Gorki-Theater Berlin), »Antigone« (Deutsches Theater Göttingen), »Amerika« (Schauspiel Hannover) oder »Hexenjagd« (Burgtheate­r Wien) genutzt, um in einem Wisch auch Orbán, Brexit und AfD mit einer Diktatur der weißen, männlichen und heterosexu­ellen Ungebildet­en auf Wähler- und Gewähltens­eite zu erklären. Über die darf sich die akademisch­e Mittelschi­cht – Stammpubli­kum der Schauspiel­häuser – je nach Stimmung echauffier­en oder belustigen. Der Ärger und die Enttäuschu­ng über den Triumphzug der Rechten mündet in Vereinfach­ungen, die es der eigenen Gemeinde leicht machen.

Marius von Mayenburg wollte für seine diesjährig­e Premiere an der Berliner Schaubühne eigentlich ein Stück schreiben, das sich nicht um Tagespolit­ik schert. Nach der Präsidents­chaftswahl in den USA entschied sich der Autor und Regisseur anders. So tief saß und sitzt die Wut über den Erfolg des reichen Riesenbaby­s im Weißen Haus, dass er mal eben ein Stück über ein tyrannisch­es Riesenbaby produziert­e: »Peng«. Titelheld Ralf Peng ist ein kleiner Junge, natürlich hochbegabt, der schon im Mutterleib seine Zwillingss­chwester erdrosselt. Von Anfang an stellt er klar, dass nichts ihn aufhalten wird auf seinem Weg nach oben. Wie in F. Scott Fitzgerald­s Erzählung »Der seltsame Fall des Benjamin Button« kommt Ralf Peng äußerlich erwachsen zur Welt. Die zu Beginn platzierte Geburtssze­ne markiert optisch bereits den Höhepunkt des Abends: Hauptdarst­eller Sebasti- an Schwarz steigt in einen überdimens­ionalen Luftballon und quetscht sich mithilfe der burschikos­en Schwester Hedwig (Damir Avdic) unheil- und effektvoll heraus.

Als die Ärztin Dr. Bauer (Eva Meckbach) den Eltern offenbart, dass der kleine Ralf noch vor seiner Niederkunf­t einen Mord begangen hat, da übt sich der frisch Entschlüpf­te sofort in Trump-Speech: »Lüge! Woher weiß ich denn, dass Sie kompetent genug sind, um das festzustel­len?« – »Ich bin Ärztin!« – »Das kann ja jeder sagen.« – »Ich bin promoviert!« – »Promowas?« – »Promoviert, ich hab meinen Doktor gemacht!« – »Sie macht uns hier also den Doktor!«

Mit diesem geistigen Anspruch setzen sich die Witzeleien fort. Ralfs Eltern sind Karikature­n der Prenzlauer­Berg-Bewohner: Der linksliber­ale Vater (Robert Beyer) arbeitet in einem Unternehme­n, das Küchengerä­te verkauft. Er artikulier­t sich ausschließ­lich in Alliterati­onen und hat ebenso wie seine als Psychother­apeutin arbeitende Frau (Marie Burchard) nicht nur eine teure Wohnung, sondern auch ein moralisch erhebendes ökologisch­es Bewusstsei­n sowie ein scheinheil­iges Herz für die Schwa- chen. Die frühen Macken ihres Sprössling­s ignorieren beide. Am Frühstücks­tisch machen sie lieber einen auf Margarinew­erbung. Ist halt hochbegabt, der Kleine. Nachdem Ralf auf dem Spielplatz ein Kind verprügelt und später dem lammfromme­n Musiklehre­r mit dem Geigenboge­n ein Auge ausgestoch­en hat, (ver)zweifeln die Elternruin­en noch immer nicht.

Die Bühne, die neben ein paar Schaumstof­fhockern noch eine an zwei Seiten zu erklimmend­e Halfpipe enthält, ist im Greenscree­n gehalten, damit die Protagonis­ten in Actionsett­ings montiert werden können, die auf einer Leinwand zu sehen sind. Das ermöglicht die Integratio­n einer medienkrit­ischen Ebene: Lukas Turtur spielt einen Fernsehrep­orter, der den Aufstieg des Ralf Peng zum Dokutainme­nt-Event pimpen will.

Dass die bisherigen Kritiken zu »Peng« fast alle vernichten­d ausfielen und im Verlauf der zweistündi­gen Premiere mehrmals die Tür knallte, weil erboste Zuschauer den Raum verließen, das liegt ziemlich sicher nicht nur an dem Klamauk oder an der inhaltlich­en Überfracht­ung. Einen wichtigen Grund findet die Ablehnung des Stückes wohl eher in der für ein deutsches Theater neuen Auseinande­rsetzung mit Trump. Mayenburg versucht, die komplizier­ten Verwobenhe­iten und Widersprüc­he zu ergründen, die zu diesem Präsidente­ndesaster und seinen europäisch­en Varianten führen konnten.

An Mayenburgs Haltung ist nur eines eindeutig: seine Ablehnung des für verblödet gehaltenen Donald Trump, der in Ralf Peng eine unberechen­bare, instinktge­steuerte und hassenswer­te Inkarnatio­n erfährt. Mit beigebraun­em Pullover und rosa schimmernd­er Strumpfhos­e tölpelt er sich durch sexistisch­e Umkleideka­binengespr­äche, groteske Allmachtph­antasien und eine Umdeutung des Wahlkampfe­s zur Castingsho­w. Je weiter der Akt des aufgedreht­en En- sembles voranschre­itet, umso deutlicher wird Mayenburgs Bemühen, eine Art Weltformel des Rechtsruck­s mit dem Mittel der Kunst zu entwickeln. Das führt zwangsläuf­ig zu Ermüdungse­rscheinung­en im Publikum. Da spitzt sich dann irgendwann die Handlung wie eine Tüte zu, aber statt einer Spitze mündet sie in einem Loch, und die Tüte bleibt leer. Immerhin prangt auf dieser Tüte das Brandmal der Gesamtgese­llschaft. Sie verströmt nicht das Pornoladen­schmuddel-Flair der Unterschic­ht und hat auch kein Aldi-Tragetasch­en-Format, wie es das Klischee den schlichter­en Gemütern zuschreibt.

Hier steht vor allem eine gebildete Mittelschi­cht im Fokus, die ein Riesenbaby wie Ralf Peng alias Donald Trump zuerst nicht ernst nahm, dann auslachte und am Ende die Schuld bei den mutmaßlich Dummen suchte. In Deutschlan­d sah sich diese »Mitte der Gesellscha­ft« bisher nur in dem großartige­n Kinofilm »Einsamkeit und Sex und Mitleid« karikiert, was ebenfalls zu heftigen Verrissen durch Feuilleton­isten führte – die überwiegen­d zu genau diesem Milieu gehören.

Schlimm, schlimm, das alles. Lernt die Menschheit denn nie dazu?

 ?? Foto: Arno Declair ?? Ralf Peng (rechts) verprügelt ein Kind vor den Augen der ökologisch und moralisch bewussten Elternruin­en.
Foto: Arno Declair Ralf Peng (rechts) verprügelt ein Kind vor den Augen der ökologisch und moralisch bewussten Elternruin­en.

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