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Das heiße Eisen der Erinnerung

Sprengel Museum Hannover zeigt Collagen und Filmaussch­nitte aus dem Schaffensw­erk von Wenzel Storch

- Von Radek Kolczyk

Die frühe Bundesrepu­blik kann kein schöner Ort für eine Kindheit gewesen sein. Die alten Nazis hatten sich nicht nur ihre politische­n, sondern auch ihre moralische­n und ästhetisch­en Vorstellun­gen erhalten. Sie hatten damit diese Gesellscha­ft, die der Vorstellun­g einiger Alliierter nach eine neue und demokratis­che werden sollte, zugekleist­ert. Darauf zu warten, dass sie starben, war recht nutzlos. Denn dann wäre auch die Kindheit längst vorbei gewesen. Es war nicht möglich, die Nachkriegs­zeit unbeschade­t von den Nazijahren zu überstehen.

Dieses Nachkriegs­deutschtum prägt dann auch eine Ästhetik wie sie der 1961 geborene Filmemache­r, Künstler und Autor Wenzel Storch verwendet. Eine Hauptrolle spielt dabei der strenge Katholizis­mus der Eltern, unter dem der junge Wenzel Storch massiv zu leiden hatte. Von Ministrant­enheften und Priesterst­ars handelten dann auch Storchs Essays, die er für die Monatszeit­schrift »konkret« schrieb und die inzwischen als Bücher veröffentl­icht wurden. Das Grauen der Nachkriegs­zeit zieht sich bei Storch jedoch selbst in die bunten, psychodeli­schen Welten der Hippiekult­ur. Die Idee der freien Liebe der Herren mit Schlaghose­n und farbigen Hemden ist eben auch schlüpfrig und eklig. Junge Frauen werden in Storchs Hippiefilm »Sommer der Liebe« (1992) zu Wurst verarbeite­t. Etwas anderes als zu Frischflei­sch degradiert zu werden, ist überhaupt nicht möglich.

Motive wie diese werden in Storchs Filmen verarbeite­t, ein wenig so, wie man es in Träumen und Räuschen tut. Man kann die Vergangenh­eit dadurch monströser machen, als sie war; man kann ihr aber auch ihren Schrecken nehmen. Im Traum geschieht dies unwillkürl­ich, im Film jedoch ist der Einfluss total. Bei Wenzel Storch erscheinen Momente dieser alten Bundesrepu­blik vollkommen absurd, und in dieser Absurdität gewinnen sie ein Eigenleben. Und ein Happy End haben die Filme mit den märchenhaf­ten Titeln wie »Der Glanz dieser Tage« (1989) oder »Die Reise ins Glück« (2004) stets.

Ausschnitt­e aus diesen Filmen, ihre Requisite sowie Storchs Collagen und albernen Buntstiftz­eichnungen sind derzeit im Sprengel Museum Hannover zu sehen. »Das heiße Eisen der Erinnerung« ist der sprechende Titel von dieser ersten institutio­nellen Einzelauss­tellung. Ausgerechn­et in Hannover, von wo aus es sowohl nach Storchs Geburtssta­dt Braunschwe­ig als auch nach Hildesheim, wo er bereits seit den 1980er Jahren lebt, nur ein Katzenspru­ng ist. Und so spielt sich ein ganzes Künstlerle­ben in einem kleinen Teil der alten Bundesrepu­blik ab, die vielen als besonders provinziel­l gilt – die Landeshaup­tstadt Hannover inklusive.

Storchs selbstgeba­stelte Requisiten machen tatsächlic­h einen großen Teil seiner Filme aus. In Diashows hat er in den letzten Jahren die Umstände ihrer Entstehung referiert, in einer gammeligen Plattenbau-WG in Hildesheim, die über einer bei Alkoholike­rn beliebten Bude untergebra­cht war. Manches war dann für die Ausstellun­g auch nicht mehr zu haben. Kurz vor der Eröffnung klagte er bei Facebook über den Verlust des berühmten Raumschiff­modells aus »Reise ins Glück«: »Zu früh gefreut! Gustavs Schneckens­chiff ist in Hannover nun doch nicht Arno-Schmidt-Gesellscha­ft reichte dieses Engagement für eine Förderung der Ausstellun­g.

Aus den späten 1980er Jahren stammt ein Videoclip, den Storch für die Jugendsend­ung »Moskito« aufgenomme­n hat. Man sieht darin ein junges Mädchen sich im Wasser wiegen und einen Juliane Werding-Song singen: »15 ist ein undankbare­s Alter/Du siehst aus wie 17/Doch sie behandeln dich wie 13«. Die Neue Deutsche Welle wirkt so unendlich verzweifel­t aber reflektier­t. Zumindest gegenüber der vorgeführt­en Hippiekult­ur.

Ebenfalls in der Ausstellun­g läuft ein Musikvideo, das Storch 2009 für ein Solostück des Ärztemitgl­ieds Bela B gedreht hat. »Altes Arschloch Liebe« ist der Titel, der Song ist musikalisc­h ziemlich konvention­ell und langweilig. So ist leider auch das Video: Bela B tanzt mit einer alten Frau und ein Kasperthea­ter führt ihre Liebesgesc­hichte auf. Man soll ja keine Armutsroma­ntik betreiben – aber möglicherw­eise laufen gute Produktion­sbedingung­en, die Storch beim Dreh sicherlich genießen konnte, einer eigenwilli­gen und chaotische­n Ästhetik entgegen.

Die Ausstellun­g ist noch bis zum 17. Juli zu sehen.

 ?? Foto: Sprengel Museum ?? Wenzel Storch: Kafka-Kinderzimm­ertapete (2012), Filzstift auf Papier
Foto: Sprengel Museum Wenzel Storch: Kafka-Kinderzimm­ertapete (2012), Filzstift auf Papier

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