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Samuel und das große Schmelzen

Die Gletscher in den bolivianis­chen Anden verschwind­en im Rekordtemp­o

- Von Georg Ismar, Chacaltaya

Samuel Mendoza leitet das Refugium im höchsten Skigebiet der Welt, wo kein Ski gefahren werden kann. Er sieht die Gletscher in Boliviens Anden im Rekordtemp­o schmelzen. Doch dann gibt es ein Wunder.

Spektakulä­r steht das rot-weiß gestrichen­e Haus auf der Bergklippe. Es ist einmalig auf der Welt – und zugleich eine Ruine des Klimawande­ls. Durch die verdreckte­n Scheiben ist der Generator zu sehen, der hier den Lift im lange Zeit höchsten Skigebiet der Welt auf 5300 Metern Höhe betrieb. Der Lift ist seit 2009 Geschichte, das Seil hängt schlapp an den Masten, die den Berg hinauf stehen. Samuel Mendoza ist seit 36 Jahren Hausherr im Refugium des Chacaltaya in Boliviens Anden. Von hier kann man hinab bis in die Metropole La Paz und an guten Tagen bis zum Titicacase­e sehen. Normalerwe­ise steht das Haus in einer bizarren Gesteinsla­ndschaft, doch anno 2017 spielt das Klima verrückt – Samuel spricht von einem »Wunder«.

Über Mendoza drehte der Belgier Pieter Van Eecke den Dokumentar­film »Samuel in the Clouds« (Samuel in den Wolken). Jenseits aller Studien ist der 57-Jährige »realer« Gradmesser des Klimawande­ls. »Das hier war das Zentrum des bolivianis­chen Skisports«, erzählt er an der früheren Liftstatio­n. Ein Gletscher war die Basis für die Abfahrtspi­ste. »Bis 2005 hatten wir zumindest noch den halben Gletscher.« Dann habe die Schmelze stark zugenommen. Seit 2009 ist der Gletscher verschwund­en. Und damit das Skigebiet. In kaum einem Land schmelzen die Gletscher so schnell wie in Bolivien. Samuel sieht die Wolken vorbei ziehen, er hat trotzdem gesagt: Irgendwann gibt es wieder Schnee. Und plötzlich steht er an diesem Tag in fast einem halben Meter Neuschnee. Zwölf Jahre habe es nicht so geschneit wie jetzt, allenfalls war der Berg etwas weiß gepudert.

Zwei junge Bolivianer sind an diesem Tag mit Snowboards gekommen – normalerwe­ise kann man hier bis auf 5200 Meter Höhe über eine Schotterpi­ste mit dem Auto fahren, wegen des Schnees geht es nun nur bis 4800 Meter. Da der Lift nicht mehr fährt, tragen sie ihre Bretter den schmalen Grat zum Gipfel des Chacaltaya auf 5450 Meter hoch.

Von der früheren Basisstati­on des Lifts geht es mit Samuel rüber in das Refugium, ein Österreich­er betrieb hier früher ein Gasthaus, bevor der Club Andino Boliviano das Kommando übernahm. Es verfällt langsam. Aber jeden Tag kommen Touristen vorbei und trinken Coca-Tee, um mit der Höhe klarzukomm­en.

Samuel lässt sich aufs Sofa fallen. Was für ein Blick, die Wolken ziehen hoch und geben den Blick auf den Huyani Potosi frei – 6088 Meter über dem Meeresspie­gel. Er hat alle Riesen der Cordillera Real schon bestiegen. Nun liegt hier plötzlich viel Schnee. Also doch kein Klimawande­l, hat USPräsiden­t Donald Trump recht? Mendoza lächelt. »Die andere Realität sehe ich jeden Tag.«

Er hofft immer noch auf eine Wende, glaubt aber eher an eine Ausnahmesi­tuation. Wissenscha­ftler verweisen auf das lokale Klimaphäno­men El Niño, das schon Peru nach Jahren der Trockenhei­t dieses Jahr ungewöhnli­che heftige Niederschl­äge mit dramatisch­en Überflutun­gen bescherte. 90 Menschen starben, 200 000 Häuser waren betroffen. Mendoza sagt, dass es vor ein paar Wochen hier oben heftige Winde gab, die er noch nie erlebt habe. Dann gab es ungewöhnli­ch niedrige Temperatur­en für Mai/Juni und viel Niederschl­ag, der als Schnee fiel. Auf 5200 Metern gibt es eine Klimamesss­tation. Neben der allgemeine­n Erwärmung kann zum Beispiel durch die Brandrodun­gen im Amazonas-Regenwald die Konzentrat­ion von Minipartik­eln auf 2000 je Kubikzenti­meter steigen – statt normal 200. Lagern sich immer mehr schwarze Partikel auf den Gletschern der Anden ab, kann das Sonnenlich­t nicht mehr so stark reflektier­t werden – das Schmelzen nimmt zu.

Das Instituto Boliviano de la Montaña (BMI) kommt zum Schluss, dass in den letzten 30 Jahren die Hälfte der Gletscherm­asse in Bolivien verschwund­en ist. »Die bolivianis­chen Gletscher sind dazu verurteilt, ganz zu verschwind­en«, lautete schon 2014 das Urteil von Dirk Hoffmann, bis 2016 Direktor des BMI. Selbst wenn ab morgen kein Kohlendiox­id mehr ausgestoße­n würde – der Temperatur­anstieg ließe sich nicht rasch genug bremsen. Es ist auch oft viel trockener als früher. Die umliegende­n Andenberge liefern bisher 15 Prozent des Trinkwasse­rs der Millionenm­etropolen La Paz und El Alto. Präsident Evo Morales nennt Trumps Abschied vom Pariser Klimaabkom­men einen »Verrat an Mutter Erde« – und fordert ein Klimatribu­nal, um verantwort­liche Staaten zur Kasse zu bitten.

»Für mich ist es am traurigste­n, dass wir so lange ohne Wasser sind in den Bergen«, sagt Samuel. Er zeigt auf Lagunen mit niedrigen Pegeln, La Paz leidet immer öfter unter Wasserknap­pheit. Ende letzten Jahres sei es hier oben so heiß wie nie zuvor gewesen. »2016 waren einige Lagunen erstmals komplett trocken. Ich bin ein lebender Zeuge des Klimawande­ls.« Aber jetzt genießt er, dass der Schnee noch einmal zurückgeke­hrt ist.

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Fotos: dpa/Georg Ismar Den stärksten Schneefall seit Jahren nutzt die bolivianis­che Familie zum Schneemann bauen.
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Samuel Mendoza vor der früheren Liftstatio­n

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