Triumphator Macron
Französischer Präsident kann mit absoluter Mehrheit in Parlament rechnen
Berlin. Vor drei Jahren kannte ihn noch niemand, jetzt aber fragte ein TV-Moderator, ob der französische Präsident Emmanuel Macron über Wasser laufen kann. Der Anlass: der haushohe Sieg seiner Bewegung »La République en Marche« im ersten Wahlgang bei den Parlamentswahlen. Dabei hätte das noch vor wenigen Wochen kaum einer für möglich gehalten. Wie sollten die Kandidaten von Macrons Bewegung – häufig vollkommen unerfahrene Quereinsteiger – gegen die in ihren Wahlkreisen fest verankerten Politiker anderer Parteien gewinnen? Nun erlitten insbesondere die französischen Sozialdemokraten ein beispielloses Debakel – und müssen ihre Wunden lecken. Schon warnen Gegner Macrons vor einer zu großen Mehrheit für dessen Partei. Der frühere konservative Premierminister Jean-Pierre Raffarin sprach gar von einer »Einheitspartei« – die Franzosen drohten dem Präsidenten eine Machtfülle wie einem »Kaiser« zu geben. Sozialistenchef JeanChristophe Cambadélis warnte: »Zu viel Macht tötet die Macht.«
Der Durchmarsch des selbst ernannten Mitte-Lagers von Präsident Macron bei der Parlamentswahl wird hingegen in Deutschland und Europa begrüßt. »Starkes Votum für Re- formen«, ließ Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Nacht zum Montag über Regierungssprecher mitteilen. Sie gratulierte Macron zum »großen Erfolg seiner Partei« im ersten Wahlgang. SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz teilte über Twitter mit: »Freue mich über das gute Ergebnis für Emmanuel Macron.«
Macrons Partei gewann am Sonntag aus dem Stand 32,3 Prozent der Stimmen und steuert im zweiten Wahlgang am kommenden Sonntag auf eine absolute Mehrheit in der Nationalversammlung zu. Die Beteiligung im ersten Wahlgang war jedoch gering; sie lag unter 50 Prozent.
Die »Macronmania« hält auch in der ersten Runde der Parlamentswahlen an. Kritiker befürchten eine Demokratie ohne Opposition. Einen Monat nach Emmanuel Macrons Einzug ins Präsidentenpalais Elysée bescherte die erste Runde der Parlamentswahl am Sonntag seiner Bewegung La République en marche (LRM) einen überwältigenden Erfolg. Damit stehen die Aussichten für Macron auf eine sichere Mehrheit gut. Die LRM-Kandidaten erhielten im Landesschnitt 32,3 Prozent der Stimmen und sind somit in einer Erfolg versprechenden Position für die Stichwahl am kommenden Sonntag. Sie können mit bis zu 455 der 577 Sitze in der Nationalversammlung rechnen – weit mehr als die absolute Mehrheit von 289 Sitzen.
Macron hat damit Kommentatoren zufolge »die traditionelle Parteienlandschaft dynamitisiert« und sowohl die konservativen Republikaner (LR) als auch die Sozialisten (PS) an den Rand gedrängt. Die LR und die mit ihr verbündete Zentrumspartei UDI erhielten zusammen 21,6 Prozent, die rechtsextreme FN 13,2 Prozent, Mélenchons linke Bewegung La France insoumise (FI) 11 und die PS 9,5 Prozent. Die Kommunisten (PCF) und die Partei der Grünen kommen auf je 3,3 Prozent. Die rechte Opposition aus LR und UDI kann in der neuen Nationalversammlung nur noch mit 70 bis 130 Sitzen rechnen, während die Sozialisten auf gerade einmal 15 bis 35 Sitze abstürzen. KP und FI zusammen könnten knapp die Mindestzahl von 15 Sitzen für die Bildung einer Fraktion erreichen.
Neben dem hohen Sieg der erst vor 15 Monaten von Macron gebildeten Bewegung En marche ist das zweite markante Ergebnis dieser Wahl die Stimmenthaltung von 51,3 Prozent der wahlberechtigten Franzosen. Das ist ein Negativrekord in der Geschichte der 1958 gegründeten Fünften Republik. Umfragen zufolge blieben zwei Drittel der unter 30-Jährigen der Wahl fern, ebenso überdurchschnittlich viele Arbeiter und kleine Angestellte. Viele Wähler verweigerten sich auch, weil sie das Ergebnis schon im Voraus für absehbar hielten. Die meisten hatten noch einen anderen Grund: Überdruss wegen des einschließlich der Vorwahlen schon ein Jahr andauernden Wahlkampfs.
Die Parteien von Marine Le Pen und Jean-Luc Mélenchon haben im Vergleich zur Präsidentschaftswahl vor vier Wochen etwa die Hälfte ihrer Wähler verloren. Zwar ist Le Pen im Wahlkreis Hénin-Beaumont in aussichtsreicher Position, aber ihre Partei kann nur mit einer Handvoll Parlamentssitze rechnen. Damit dürfte sie nicht einmal eine Fraktion bilden können. Mélenchon hat gute Chancen, sich in seinem Wahlkreis in Marseille durchzusetzen, wo er bereits den bis- herigen PS-Abgeordneten Patrick Mennucci aus dem Rennen geworfen hat.
Premierminister Edouard Philippe hat in einer ersten Stellungnahme am Wahlabend gesagt, das Stimmergebnis zeuge von »einem massiven Rückhalt für das Projekt der Erneuerung, das Präsident Emmanuel Macron verkörpert«. Fünf der sechs Minister sei- ner Regierung, die sich den Wählern gestellt haben und dabei ihre Posten aufs Spiel setzten, sind für den zweiten Wahlgang in aussichtsreicher Position. Unter ihnen auch Richard Ferrand, der wegen fragwürdiger Geschäfte zugunsten seiner Frau in die Kritik geraten war. Sollte die Überseeministerin Annick Girardin am kommenden Sonntag verlieren, müsste sie ihren Platz in der Regierung räumen.
Konservative wie sozialistische Politiker warnen angesichts des überwältigenden Wahlergebnisses für Macrons Bewegung vor einer »Einheitspartei« und sehen die Demokra- tie in Gefahr, wenn das Gegengewicht einer starken Opposition fehlt und die Regierungsmehrheit im Parlament jedes Gesetz »durchwinken« kann.
Mélenchon ist überzeugt, dass das Wahlergebnis täuscht, weil Macron wegen der vielen Stimmenthaltungen nur etwa 15 Prozent der Wähler hinter sich hat. »Damit kann er sich nicht auf die Mehrheit berufen, wenn er das Arbeitsrecht zerstören, die Bürgerrechte einschränken, einen ökologisch unverantwortlichen Kurs einschlagen und die Reichen begünstigen will – alles, was er sich mit seinem Programm vorgenommen hat.« Die Bewegung La France insoumise wolle die Zeit bis zum zweiten Wahlgang nutzen, so Mélenchon, um die Wähler gegen die drohende »Alleinherrschaft des Präsidenten« zu mobilisieren. Gleichzeitig müsse überall, wo die Gefahr besteht, der Sieg von FN-Kandidaten verhindert werden.
Auch der Nationalsekretär der Kommunisten, Pierre Laurent, sieht das parlamentarische System und damit die Demokratie in Gefahr. Er fordert die Ersetzung des Mehrheitsdurch das Verhältniswahlrecht auf allen Ebenen. »Das Wahlergebnis zeigt das Risiko einer erdrückenden Mehrheit der Partei von Macron im Parlament auf, die in keinem Verhältnis zum tatsächlichen Einfluss im Land steht. Dadurch hat Macron freie Hand für die Umsetzung seiner neoliberalen Politik.«
Durchmarsch für Emmanuel Macron: Seine Bewegung steht vor der absoluten Mehrheit in der Nationalversammlung. Die Sozialisten streiten derweil über Ursachen ihres Wahldebakels.
»Macron hat freie Hand für die Umsetzung seiner neoliberalen Politik.« Pierre Laurent, PCF-Nationalsekretär