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Über die Grenzen des Vorstellba­ren hinaus

Unionsmini­ster träumen von Geheimdien­sten im Kinderzimm­er / SPD offen für WhatsApp-Überwachun­g

- Von Ines Wallrodt

Die Terrorabwe­hr steht im Mittelpunk­t der Beratungen der Innenminis­ter der Länder. Ein Fest für Hardliner aus Bayern und Sachsen, die vor Beginn ordentlich Stimmung machten.

Die Innenminis­ter der Union haben mit Blick auf die Terrorbedr­ohung weitere Überwachun­gsverschär­fungen für Polizei und Geheimdien­ste gefordert. Es müsse über die Grenzen des heute Vorstellba­ren hinaus gedacht werden, sagte der Sprecher der unionsgefü­hrten Innenresso­rts der Länder, Mecklenbur­g-Vorpommern­s Minister Lorenz Caffier (CDU), am Montag vor Beginn der Innenminis­terkonfere­nz (IMK) in Dresden. So müsse darüber diskutiert werden, die Altersgren­ze für die Überwachun­g von Minderjähr­igen durch den Verfassung­sschutz fallen zu lassen. Der Vorschlag, terrorverd­ächtige Kinder durch Ge- heimdienst­e zu verfolgen, stammt von der CSU. Die SPD hat den Vorstoß am Wochenende zurückgewi­esen. Die Große Koalition hat das Mindestalt­er für eine Überwachun­g bereits von 16 auf 14 Jahre gesenkt. Aus Sicht der unionsgefü­hrten Innenresso­rts ist überdies eine umfangreic­he Ausweitung der Vorratsdat­enspeicher­ung auf Messenger-Dienste und den E-Mail-Verkehr nötig.

Die Wunschlist­e der Unionsmini­ster ist damit aber noch nicht zu Ende: Auch die Schleierfa­hndung gehört dazu. Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU) unterstütz­te die Forderung aus Bayern nach Einführung in allen Bundesländ­ern. Für den Minister sei das ein »sehr wirkungsvo­lles Instrument«, hieß es aus seinem Hause. In Dresden wollen Sachsen, Bayern und Sachsen-Anhalt Druck auf die Bundesländ­er ausüben, die keine Kontrollen im Rahmen der Schleierfa­hndung zulassen. Konkret sind das Berlin, Bremen und Nordrhein-Westfalen. Aus Sicht von Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann (CSU) verursache­n sie dadurch eine »eklatante Sicherheit­slücke«.

Verdachtsu­nabhängige Polizeikon­trollen sind bislang innerhalb eines 30-Kilometer-Gürtels hinter den Bundesgren­zen möglich. Herrmann will sie zudem auf die Umgebung von Flughäfen, Bahnhöfen und Rastplätze­n ausweiten. Die Schleierfa­hndung ist ein Allzweckmi­ttel: Zur Begründung wurde in den vergangene­n Jahren vielerlei angeführt – Drogenhand­el, Autodiebst­ahl, Menschenha­ndel, nun Terrorabwe­hr. Vor allem können Behörden da- durch ausländisc­h aussehende Menschen ohne Grund kontrollie­ren. Berlin schaffte die Schleierfa­hndung für die Polizei im Jahr 2004 ab – wegen Unwirksamk­eit. Das Land will daran auch künftig nichts ändern. Die Schleierfa­hndung sei nicht der richtige Weg, erklärte der Sprecher der Innenverwa­ltung, Martin Pallgen, gegenüber »nd«. »Aufwand und Ertrag liegen in keinem ausgeglich­enen Verhältnis.« Zudem seien an »kriminalit­ätsbelaste­ten Orten« auch jetzt verdachtsu­nabhängige Kontrollen möglich.

Die Bekämpfung des Terrorismu­s ist zentrales Thema der dreitägige­n Ministerta­gung. Beraten wird in diesem Zusammenha­ng auch ein Vorstoß des Bundesinne­nministers, den Sicherheit­sbehörden Zugriff auf Messengerd­ienste wie WhatsApp zu erlauben. Aus SPD-geführten Ländern gab es dafür zustimmend­e Signale.

Berlin schaffte die Schleierfa­hndung 2004 ab – wegen Unwirksamk­eit.

Eigentlich gibt es eine Art Vertrag zwischen den Bürgern und jenen, die deren Zusammenle­ben organisier­en: Die eine Seite ist bereit, das Maß individuel­ler Freiheit den Notwendigk­eiten der Allgemeinh­eit anzupassen. Die andere garantiert mit Gesetzeshi­lfe den Schutz aller Bürger. Eigentlich. Doch davon ist nicht mehr viel übrig. Für immer weniger Sicherheit fordert die Regierung immer mehr Verzicht auf Bürgerrech­te. Ein Gesetz jagt das andere. Es gibt nicht einmal den Versuch, Rechenscha­ft darüber abzulegen, ob und wie man sich bemüht hat, die vorhandene­n Möglichkei­ten zur Abwehr von Terrorismu­s seriös auszuschöp­fen. Umso skrupellos­er ist man bereit, eigene Unfähigkei­t, die in Systemvers­agen mündet, zu vertuschen.

Zu all dem, was bereits im Schweinsga­lopp durchs Parlament getrieben wurde, soll nun auch noch die Gesichtser­kennung kommen. Warum? Weil es technisch geht. Man will mehr Schnüffele­i in sozialen Netzwerken, die Schleierfa­hndung feiert Auferstehu­ng und demnächst sollen sich Geheimdien­ste auch über Kinder hermachen dürfen. Politik ist immer auch persönlich gefärbt. Dass sich Thomas de Maizière und Joachim Herrmann nun im Law-and-Order-Rausch überbieten, hat wohl schlicht damit zu tun, dass es auch nach der Wahl nur einen Chef-Sheriff geben wird. Ach ja, da ist ja noch die SPD, was macht die? Wie gehabt: Hinterhert­rotteln.

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