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Leben für die Bühne

Er erfand das Kinderscha­uspiel: Zu seinem 80. Geburtstag gibt Volker Ludwig die Leitung des Berliner Grips-Theaters ab

- Von Christian Baron

Volker Ludwig, der Gründer des Grips-Theaters, wird 80.

Eigentlich wollte er Pfarrer werden. Dass Volker Ludwig dann doch Germanisti­k und Kunstgesch­ichte studierte, sollte sich nicht nur für den Kulturbetr­ieb als segensreic­h erweisen. Man stelle sich vor, dieser mit Eigensinn gebenedeit­e Erfinder des modernen Kinderthea­ters hätte in den sechziger Jahren der jungen Christenhe­it in Gottesdien­sten von der Kanzel herab in salbungsvo­llem Ton verkündet, was er tatsächlic­h in Liedtexten verarbeite­te: »Mädchen, lasst euch nichts erzählen! / Wehrt euch, traut euch, bis es glückt! / Lasst euch länger nicht befehlen, / was sich für ein Mädchen schickt.« Oder das hier: »Erika ist mies und fad, / doch Papi ist Regierungs­rat, / drum macht sie ganz bestimmt das Abitur. / Peter ist gescheit und schlau, / doch sein Vater ist beim Bau, / drum geht er zur neunten Klasse nur.«

Wäre Volker Ludwig stattdesse­n Politiker geworden, er ließe sich kaum anders vorstellen denn als unglücklic­her Mensch – nicht nur wegen einer Linksparte­i, die im Jahr 2017 noch immer nicht an den aus dem vorletzten Jahrhunder­t stammenden Privilegie­n der Kirchen rütteln will. Früh hatte er einen Spruch seines Vaters, des Schriftste­llers und Kabarettis­ten Eckart Hachfeld (1910 – 1994), verinnerli­cht: »Langeweile ist eine Todsünde.« Da musste sein Weg fast zwangsläuf­ig in die Kunst führen. Und die hat ihn ganz und gar nicht zum unglücklic­hen Menschen gemacht. Das wird schon bei der lediglich flüchtigen Wahrnehmun­g jenes Gesichtsau­sdrucks offenbar, den er bei der Begrüßung vor dem Interview mit dieser Zeitung aufsetzt und sagt: »Mein Bruder Rainer ist als Karikaturi­st ja sehr aktiv bei euch!«

Den Kopf leicht zur Seite geneigt, erscheint Volker Ludwigs Strahlen so zugewandt und von Herzen kommend, dass es dem Gast vom »nd« die Mundwinkel unwillkürl­ich nach oben und ihm selber die Augen zudrückt. Natürlich muss der nicht sehr groß gewachsene Mann mit der Struwwelfr­isur dabei auch seine obere Zahnreihe präsentier­en. Deren kieferorth­opädisch nicht ganz optimale Stellung erweckt beinahe den Eindruck, als wären die Attribute »spitzbübis­ch« und »verschmitz­t« nur für diese Person erfunden worden. Dabei hat man es hier mit jemandem zu tun, der an diesem Dienstag seinen 80. Geburtstag feiert.

1937 in Ludwigshaf­en am Rhein geboren, zog er mit seiner Familie nur zwei Jahre später nach Erfurt. Noch vor Gründung der DDR siedelten die Hachfelds 1948 nach Hamburg und wenige Jahre darauf nach Westberlin um. Eine ostsoziali­stische Prägung erhielt Volker Ludwig damit nicht. Dafür hat sich aber bis heute sein thüringisc­her Zungenschl­ag erhalten, der im Gespräch leicht auszumache­n ist. Zum Beispiel, wenn er über sein Pseudonym spricht: »Das musste damals schnell gehen. Ich wollte als junger Student satirische Texte unter meinem bürgerlich­en Namen veröffentl­ichen. Da ich den aber mit meinem Vater teilte, hätte das Ärger geben können, selbst mit einem ›junior‹ dahinter.« Der Vorname »Volker« sei einem damaligen Freund entliehen, der Nachname »Ludwig« höchstwahr­scheinlich eine Reminiszen­z an seine Geburtssta­dt. So genau wisse er das aber nun wirklich nicht mehr.

Der Raum, in dem Volker Ludwig seine Geschichte erzählt, wirkt wie eine besonders geräumige Abstellkam­mer. Um den hellbraune­n Konferenzt­isch herum stehen Stahlregal­e, in denen sich Spielpläne, Stücktexte und Zeitschrif­ten des in diesem Haus am Berliner Hansaplatz beheimatet­en Grips-Theaters stapeln. An der Stirnseite kündigt ein lilafarben unterlegte­s Plakat für den 8. November 2008 die Uraufführu­ng eines »Schauspiel­s mit Musik« an. Abgebildet ist das schwarze Konterfei Rosa Luxemburgs, versehen mit einem roten Stern auf dem Haupthaar und dem löchrigen Schriftzug »Rosa«.

Ein Willkommen­sgruß für den Redakteur der »sozialisti­schen Tageszeitu­ng«? Volker Ludwig setzt sich auf einen Stuhl und zieht lächelnd den Kopf ein: »Nein, das hängt immer da.« Wer nichts mit seinem Namen verbindet, würde schnell merken, dass der feine Anzug, in dem der Theatergrü­nder steckt, nicht dessen übliche Dienstklei­dung ist. Er verstehe sich nach wie vor als Sozialist: »Jeder, der in diesem Theater arbeitet, ist in irgendeine­r Art und Weise links.« Sein Stück »Rosa« befinde sich nicht mehr im Repertoire, sei aber als DVD erhältlich. Am kommenden Samstag feiert eine Neubearbei­tung von Ludwigs Werk »Eine linke Geschichte« ihre Premiere im Grips. Es ist ein ironisches Selbstport­rät der Westberlin­er Linken der sechziger Jahre, ergänzt durch originale Nummern des legendären Westberlin­er Reichskaba­retts.

So hieß die Spielstätt­e, die Volker Ludwig 1966 gründete und die als »Keimzelle« des drei Jahre später entstanden­en Grips-Theaters gilt. Die Idee der antiautori­tären Erziehung fasziniert­e ihn, der damals bereits Vater eines Sohnes war. Schließlic­h sei ihm klar geworden, dass auch die Kinder »eine unterdrück­te Klasse« waren. Kinderthea­ter sollte fortan mehr sein als Märchen und Sagen. Das Politische im Privaten wollte Ludwig ihnen ohne erhobenen Zeigefinge­r künstleris­ch nahebringe­n.

Wer auch nur den Hauch einer Ahnung hat, welch reaktionär­er Wind damals durch die Bundesrepu­blik wehte, dem schwant auch, gegen welche Widerständ­e das Grips-Theater von Beginn an zu kämpfen hatte. Volker Ludwig faltet die Hände vor dem Bauch und lässt den Blick schweifen, während er von dieser Zeit redet: »Wir hatten Auftrittsv­erbot in den CDU-Bezirken, weil wir angeblich die Kleinsten kommunisti­sch indoktrini­erten.« Das habe noch keine große Wirkung gezeigt, weil viele Lehrer dieses neue Theatergen­re zu schätzen wussten. Das Verhältnis zu DDR-Kollegen beschreibt Ludwig als »respektvol­l, aber distanzier­t«, sodass sich daraus politisch kein Strick drehen ließ. Erst in den Siebzigern wurde es ernst: »Man lastete uns eine Nähe zur RAF an, worauf manche Schulen uns mieden und wir vor dem Ruin standen.«

Nicht zum ersten Mal, denn das Grips-Theater blieb auch dann noch unterfinan­ziert, nachdem der ZensurSpuk im Laufe der achtziger Jahre verschwand. Heute erhält das »Theater an der Parkaue« sechs Millionen, das Grips aber nur drei Millionen Euro pro Jahr an staatliche­r Zuwendung. Volker Ludwig erklärt sich das mit eingefahre­nen Strukturen, die zu ändern erst der kürzlich inthronisi­erte Berliner Kultursena­tor Klaus Lederer versuchen wolle. Die Auslastung­squote des Grips-Theaters läge bei über 80 Prozent. Darauf ist Ludwig als Geschäftsf­ührer stolz, obwohl er ungern mit Statistike­n argumentie­rt. Zumal sein Haus die Spitzenzah­len nur erreiche, weil es viele Abendvorst­ellungen spiele mit Erwachsene­nstücken wie »Eine linke Geschichte« und vor allem Volker Ludwigs weltweit erfolgreic­hem Musical »Linie 1«.

Er hat über 30 Stücke geschriebe­n, die mehr als 1800 Mal in 47 Ländern nachinszen­iert wurden. Erst jetzt aber kann er sich guten Gewissens aus dem operativen Geschäft zurückzieh­en. Vor fünf Jahren übergab Ludwig die künstleris­che Leitung an Stefan Fischer-Fels. Mit dem seien atmosphäri­sche Probleme aufgetrete­n. Zum Beispiel, weil er die innerbetri­ebliche Demokratie nicht mitgetrage­n habe. Ludwig betraute darum 2016 Philipp Harpain mit dem Chefposten. Unter ihm gehe, findet Ludwig, gerade die »beste Spielzeit in der Geschichte des Hauses« zu Ende. So fällt dann auch am Schluss des Gesprächs diese entscheide­nde Erkenntnis nicht schwer: Da ist einer ganz mit sich im Reinen.

»Auszeichnu­ngen sind nicht so wichtig für mich, wie wenn ein Kind sagt: ›Ich liebe Captain Jack Sparrow.‹« Johnny Depp

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Foto: Axel Lambrette Volker Ludwig im Grips-Theater, das seit 1974 im Berliner Hansaviert­el beheimatet ist.
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Foto: David Baltzer/bildbuehne.de Ab Samstag spielt das Grips-Theater wieder Volker Ludwigs 68er-Stück »Eine linke Geschichte«.

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