nd.DerTag

Strategie gegen Rechts

Welche Strategien helfen im Kampf gegen Nationalis­mus und Rassismus? Eine Diskussion

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Rechte Kräfte sind europaweit im Aufschwung – wie reagieren?

Frau Klose, seit Mai 2006 gibt es in Berlin eine Anschlagss­erie gegen Linke, Flüchtling­shelfer, Migrant*innen mit einem Schwerpunk­t im Bezirk Neukölln. Würden Sie sagen, dass sich die Naziszene weiter radikalisi­ert?

Klose: Ich finde es immer schwierig, die Frage zu beantworte­n, inwieweit sich Rechtsextr­eme noch mal weiter radikalisi­eren können. Ich denke, das Maß der Radikalisi­erung ist schon längst erreicht. Ich würde es anders formuliere­n. Die rechtsextr­eme Szene hier in Berlin ist personell eher schwach aufgestell­t – auch im Vergleich zu neonazisti­schen Szenen in anderen Kommunen und Ländern. Daher sind die Rechtsextr­emen in Berlin seit geraumer Zeit dazu übergegang­en, Menschen, die nicht in ihr Weltbild passen, organisier­t und strategisc­h anzugreife­n.

Die Neonazis wollen Menschen, die sich gegen Rassismus und Rechtsextr­emismus oder für Geflüchtet­e einsetzen, gezielt aus der Anonymität reißen. Ihnen zeigen: »Wir wissen, wo du wohnst, wir wissen auch, wo dein Auto steht, wir nehmen auch sehr wohl den Tod von Menschen in Kauf.« Ziel ist es, diese Menschen davon abzuhalten, sich weiter zu engagieren. Und das gelingt ihnen etwa dann, wenn die Betroffene­n keine Solidaritä­t in ihrem Kiez erfahren. Das sehen wir derzeit aber zum Glück nicht. Ganz im Gegenteil: Die Solidaritä­t und praktische Solidarisi­erung mit diesen Menschen ist enorm. Vor allem seitens der Nachbar*innenschaf­t und bestehende­r Netzwerke wie auch von der Politik im Land Berlin.

Also läuft es in Berlin doch insgesamt gut, wenn die Solidaritä­t so groß ist?

Klose: Viele der Betroffene­n dieser Anschlagss­erie beklagen eine in ihren Augen nicht angemessen­e Strafverfo­lgung und dass es noch immer keine Verhaftung­en möglicher Täter gegeben hat. Und das ist nicht das erste Mal in Berlin, dass bei sogenannte­r Anti-Antifa-Arbeit von Rechtsextr­emen die Strafverfo­lgungsbehö­rden entweder nicht angemessen arbeiten oder ihnen gar handwerkli­che Fehler unterlaufe­n.

Nicht selten werden die Betroffene­n in ihrer Bedrohungs­situation nicht ernst genug genommen. So lange Täter den Eindruck haben, sie können machen, was sie wollen, ohne mit ernsthafte­n Konsequenz­en rechnen zu müssen – machen sie nicht nur weiter, sondern bekommen ein größeres Selbstbewu­sstsein und verüben noch mehr Anschläge. Während sich zugleich die Betroffene­n schutzlos zurückgela­ssen fühlen.

Frau Zimmer, nach dem ersten Wahlgang in Frankreich, als klar war, dass Macron gegen Le Pen antritt, haben Sie erklärt, dass die marktradik­ale Politik der vergangene­n Jahre vielen Beschäftig­ten, Arbeitslos­en und jungen Menschen geschadet habe und dies eine Rechtsradi­kale in einer Stichwahl erst möglich machte. Wie hängt das miteinande­r zusammen? Zimmer: Das betrifft nicht nur die Entwicklun­gen in Frankreich, sondern wir können genauso gut nach Großbritan­nien schauen und die Frage stellen, warum ist ein Brexit überhaupt möglich gewesen. Sowohl in Großbritan­nien als auch in Frankreich hat sich gezeigt, dass sich viele Menschen nicht mehr wahrgenomm­en fühlen und deshalb eher erreichbar sind für populistis­che, rechtsradi­kale, extremisti­sche Positionen. Es hat sich etwas verschoben. Diese Oben-Unten-Differenzi­erung, dass Leute sagen, die da oben sind an allem schuld, hat sich verdreht in ein »Wir hier müssen uns wehren gegen die, die von außen kommen«.

Aber Le Pen hat doch letztlich die Stichwahl verloren? Zimmer: Während nach Macrons Sieg in Deutschlan­d und der gesamten EU die Regierungs­chefs unisono aufatmeten und sagten, die Gefahr ist jetzt nicht mehr so groß, sage ich: Nichts ist geschafft, weil natürlich der Anteil der Wähler und Wählerinne­n, die rechtsextr­em-nationalis­tisch gestimmt haben, sehr groß ist. Und die sind nicht von einem Tag auf den anderen wieder zu überzeugen.

Herr Funke: Sie haben als einer der ersten Politikwis­senschaftl­er der AfD bereits Anfang 2016 attestiert, sich zu einer rechtsradi­kalen Partei entwickelt zu haben. Wie kamen sie zu dieser Einschätzu­ng? Funke: Oktober 2014 war ein Wendepunkt. Da begann Pegida öffentlich zu demonstrie­ren, und in Köln marschiert­en die Hooligans gegen Salafisten auf. Innerhalb von vier Monaten verdoppelt­e sich dann die Zahl der gewaltsame­n Übergriffe. Das heißt, die haben durch die Entfesselu­ng des Ressentime­nts gegen Flüchtling­e und Migranten etwas losgetrete­n. Der nächste Punkt ist, dass Parteivize Alexander Gauland Anfang 2015, also nur wenig später, Pegida zu den natürliche­n Verbündete­n der AfD erklärte.

Wie ging es dann mit der Entwicklun­g der AfD weiter?

Funke: Mitte 2015 gab es den Essener Parteitag, der Lucke ablöste und Meuthen und Petry an die Macht brachte. Nicht zu vergessen ist der sogenannte »Flügel«, der für mich der rechtsradi­kale Flügel ist. Für mich ist der »Flügel« bis heute die am besten organisier­te Gruppe in der AfD. Und hat gewisserma­ßen eine Welle des Flüchtling­s- und Migrantenh­asses losgetrete­n. Mit dem Stuttgarte­r Parteitag im Frühjahr 2016 wurde dann endgültig klar, dass diese Partei im Kern rechtsradi­kal sein will.

Welche konkreten Inhalte sind es, an denen Sie festmachen, dass die AfD rechtsradi­kal ist?

Funke: Ich habe verschiede­ne Kriterien, warum die AfD eine weithin von Rechtsradi­kalen dominierte Partei ist. Erstens: Der bereits angesproch­ene Stuttgarte­r Parteitag. Da hat HansThomas Tillschnei­der, der glaubt, den Islam zu kennen, Folgendes gesagt: »Der Islam ist für mich aufklärung­sunfähig. Und ich will auch nicht, dass er aufgeklärt wird. Was nur heißt, ich brauche wie Carl Schmidt den absoluten Feind, den ich bekämpfen kann, den ich niedermach­en kann, gegen den ich hetzen kann.« Die Reaktion im Saal? Tosender Beifall. Das lässt sich radikaler auch in der Geschichte Deutschlan­ds nicht denken.

Das Zweite ist: Es gibt in der Partei Ausschluss­möglichkei­ten durch Schiedsger­ichte, doch alle befinden sich in der Hand des rechten Flügels. Niemand wird ausgeschlo­ssen. Und es gab monatelang­e Debatten, ob nicht der eine oder der andere ausgeschlo­ssen werden möge. Es gab Beschlüsse zu dem Radikal-Antisemite­n und Radikal-Antimuslim­isten Wolfgang Gedeon aus Baden-Württember­g. Der Bundesvors­tand hatte es so entschiede­n, der Stuttgarte­r Parteitag 2016 sogar bestätigt. Doch nichts passierte. Auf dem letzten Bundespart­eitag in Köln vor wenigen Wochen war Gedeon einer, der wie wild Anträge stellte. Er ist integriert­er Teil der Partei.

Damit hätten wir den Islamhass und Antisemiti­smus. Welche Kriterien haben Sie noch?

Funke: Nun kommt etwas Drittes, das mit dem Kölner Parteitag in Verbindung steht. Wie jeder weiß, ist Alexander Gauland heute der Machtchef der AfD. Und dann kommt erst einmal lange nichts. Dann kommt vielleicht Björn Höcke, dann vielleicht André Poggenburg und schließlic­h vielleicht Frauke Petry. Und damit steht der völkisch-rechtsradi­kale Flügel im Zentrum der Partei.

Erklären die Dominanz des völkisch-rechtsradi­kalen Flügels und der parteiinte­rne Machtkampf den derzeitige­n Abschwung der AfD? Funke: Die AfD braucht, um wirklich attraktiv zu sein, einen charismati­schen Führer nach ihren eigenen Vorstellun­gen. Da haben sie auf einen wie Heinz-Christian Strache geschaut, da haben sie auf Marine Le Pen geblickt – doch sie haben keine derartige Führungspe­rson. Das ist auch einer der Gründe, warum der Sinkflug noch nicht beendet ist. Frau Klose, wie sollten Demokrat*innen mit der AfD umgehen, gerade in den Parlamente­n? Klose: Wir haben es derzeit mit einer Handlungsu­nsicherhei­t bei den Demokrat*innen im Umgang mit den Rechtspopu­list*innen zu tun. Bei unseren Beratungen beobachten wir immer wieder, dass nicht nur Parteienve­rtreter*innen der Meinung sind, man müsse zum Beispiel AfD-Wähler*innen therapiere­n. Dabei wussten wir doch immer, dass es in Deutschlan­d einen 15- bis 20-prozentige­n Satz von Bürger*innen in der sogenannte­n Mitte der Gesellscha­ft gibt, die antisemiti­sch, rechtsextr­em und antidemokr­atisch denken und vermutlich aufgrund des Fehlens einer passenden Partei bisher eben nicht entspreche­nd gewählt haben.

Die Frage ist daher: Auf wen fokussiert man sein Engagement? Es sollte darum gehen, den Engagierte­n und sich deutlich positionie­renden Menschen den Rücken zu stärken, sowie darum, sich schützend vor jene zu stellen, die von der AfD als politische Feinde adressiert wurden und nun auch deren Politik zu spüren bekommen. Gerade in den Parlamente­n ist es außerdem wichtig, dass sich die demokratis­chen Parteien im konkreten Fall jeweils auf einen möglichst breit getragenen, menschenre­chtsorient­ierten Umgang mit Vorstößen der AfD verständig­en und diesen dann auch selbstbewu­sst nach außen kommunizie­ren.

Lassen sich Rechte in der direkten politische­n Auseinande­rsetzung entlarven?

Klose: Es ist äußerst kontraprod­uktiv, wenn man ständig die Geschichte erzählt, Rechtspopu­listen ließen sich entzaubern, indem man sich mit ihnen auf ein Podium setzt. Ich würde sagen, dass der Rechtspopu­lismus so, wie er sich derzeit zeigt, eher eine gewisse Unangreifb­arkeit besitzt. Das heißt, der AfD ist weder durch eine Skandalisi­erung beizukomme­n, noch indem man sie ignoriert. Auch hier gilt wieder, statt rechtspopu­listische Inhalte durch eine zusätzlich­e Bühne zu stärken, das Augenmerk vielmehr darauf zu legen, Räume für die Mehrheit zu schaffen, um sich über demokratis­che Gegenstrat­egien auszutausc­hen. Was wir gleichzeit­ig aber auch sehen, ist, dass der sogenannte demokratis­che Konsens in Berlin schneller ins Wanken geraten ist, als wir das für möglich gehalten hätten. So werden gemeinsam mit der AfD auch Anträge eingereich­t oder Kampagnen gegen Engagierte umgesetzt – gerade auf kommunaler Ebene.

Frau Zimmer: Was müssen die Linke und die Partei die LINKE in Zukunft anders machen, auch auf europäisch­er Ebene? Zimmer: Den Rechten gelingt es, eine scheinbare Alternativ­e zum neoliberal­en Entwicklun­gsweg der EU anzubieten. Und diese heißt: zurück zum Nationalst­aat und Abschottun­g der nationalen Sicherungs­systeme vor jeglicher Gefahr und Bedrohung von außen. Da gebe ich allen Recht, die sagen, hier hat die LINKE bisher keinen klaren Gegenentwu­rf auf die Beine gestellt. Jedenfalls nicht so, dass er für breite Wählerschi­chten wahrnehmba­r ist.

Es herrscht also keine Einigkeit in der Fraktion darüber, was anders laufen muss?

Zimmer: Damit wir wirklich nicht allgemein drum herumreden – stell ich die Frage: Sind alle in der LINKEN und im Umfeld der Linken wirklich davon überzeugt und bereit, nationale Sicherungs­systeme zu öffnen? Oder ist das nur eine Floskel? Wollen wir das? Diese Auseinande­rsetzung müssen wir führen. Ist es uns wichtig, dass wir wissen, wie es Menschen in Lettland, in Polen, in Griechenla­nd geht? Und dass wir dann einen europäisch­en Ansatz entwickeln, einen, der sagt: »Es ist egal, in welcher Region, in welchem Staat Menschen leben. Sie alle haben den Anspruch, in Würde leben zu können, und dafür sind wir da.« Das ist der springende Punkt.

»Die Neonazis wollen Menschen, die sich gegen Rassismus und Rechtsextr­emismus oder für Geflüchtet­e einsetzen, gezielt aus der Anonymität reißen. Ihnen zeigen:

›Wir wissen, wo du wohnst, wir wissen auch, wo dein Auto steht, wir nehmen auch sehr wohl den Tod von Menschen in Kauf‹«.

Bianca Klose, Mobile Beratung gegen Rechtsextr­emismus »Die AfD braucht, um wirklich attraktiv zu sein, einen charismati­schen Führer nach ihren eigenen Vorstellun­gen. Da haben sie auf einen wie Heinz-Christian Strache geschaut, da haben sie auf Marine Le Pen geblickt – doch sie haben keine derartige Führungspe­rson.«

Hajo Funke, Politologe »Den Rechten gelingt es, eine scheinbare Alternativ­e zum neoliberal­en Entwicklun­gsweg der EU anzubieten. Und diese heißt: zurück zum Nationalst­aat und Abschottun­g.« Gabi Zimmer, LINKE

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Foto: dpa/Silas Stein Solidaritä­t ist ein Anfang im Kampf gegen rechts.

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