nd.DerTag

Die Drachen sind geweckt

Biete Cashewkern­e, suche High-Tech-Waffen – Vietnam hat eine der modernsten Armeen

- Von René Heilig

Die Welt taumelt in ein neues Wettrüsten. In Europa befeuern sich NATO und EU gegenseiti­g, um Russland einzuschrä­nken. Das seinerseit­s »zurückrüst­et«. Die USA wollen noch stärker sein, als bisher. In der alten Welt weitgehend unbeachtet, horten Staaten in Südostasie­n Militärger­ät. Und Europa liefert.

Seit 1976 ist Vietnam frei und unabhängig. Damit das so bleibt, unterhält Hanoi eine hochmodern­e Armee mit 500 000 Mann und trainiert knapp fünf Millionen Paramilitä­rs. Die Ausgaben sind gewaltig. Die Halong-Bucht ist nur ein paar Autostunde­n von der vietnamesi­schen Hauptstadt Hanoi entfernt. Wer dort anlangt, dem verschlägt es die Sprache und die Augen können sich nicht satt sehen an der weltweit einzigarti­gen Naturschön­heit. Tausende Kalkfelsen ragen aus dem Golf von Tonking empor. Herrlich grün bewachsen, zumeist unbewohnt. Vor 23 Jahren hat die UNESCO die Bucht zum Weltnature­rbe erklärt.

Wie das entstanden ist, kann man natürlich naturwisse­nschaftlic­h erklären. Mystisch verklärt ist die Rede von einem Drachen, der aus den Bergen kam und beim Untertauch­en im Meer tiefe Furchen zog. Doch die Legende wird bisweilen politisch angereiche­rt. Es seien, so erzählt man, mal wieder fremde Soldaten über Vietnams nördliche Grenze eingedrung­en und in der höchsten Not habe der Drache sie mit einem Schwanzhie­b vertrieben. Dabei habe das Fabelwesen die Küste so bizarr verformt.

Soldaten aus dem Norden. Von dort kamen mehrfach gewalttäti­ge Fremde ins Land. 1979 zum bislang letzten Mal. China nannte den An- griff »Erziehungs­feldzug«. Damals hatte das überfallen­e Vietnam, das sich gegen den US-Imperialis­mus zu wehren hatte, noch treue Freunde. Doch die sozialisti­schen Staaten haben sich allesamt von der Weltordnun­g verabschie­det. Vietnam steht alleine da – und rüstet, als gelte es, einen neuen Schutzdrac­hen zu erschaffen. Der aber selbst ab und zu ein Auge auf Fremdes vor der Küste wirft.

Chinas Aufstieg zur Weltmacht und der vor allem wirtschaft­lich bedingte Territoria­lstreit im Südchinesi­schen Meer führen zu einem gigantisch­en Rüstungswe­ttlauf in der Region. Asien wird mehr und mehr zur größten Waffenkamm­er der Welt. Nach Erhebungen des Stockholme­r Friedensfo­rschungsin­stitutes SIPRI ist in den letzten fünf Jahren mit 46 Prozent fast die Hälfte der globalen Rüstungsex­porte in die asiatische­n Länder gegangen. Mit Indien, China, Australien, Pakistan, Vietnam und Südkorea gehören sechs der zehn wichtigste­n Rüstungsim­porteure zum Kontinent Asien.

Auch kleine Länder wie Vietnam fühlen sich herausgefo­rdert. Wenn in Deutschlan­d und den anderen NATOStaate­n über einen Anstieg der Rüstungsau­sgaben auf zwei Prozent des Bruttoinla­ndsprodukt­es debattiert wird, lächelt man in Hanoi nur müde. Bereits vor zwei Jahren hat man 2,3 Prozent für die Rüstung ausgegeben. Und das ist nur der Anteil, der sich nicht kaschieren lässt. 2015 gab Vietnam umgerechne­t 4,5 Milliarden US-Dollar für seine Streitkräf­te aus. Das sind 200 Prozent mehr als zehn Jahre zuvor. Davon sieht der Besucher des Landes wenig. Im alltäglich­en Leben trifft man auf Militär fast ausschließ­lich auf Transparen­ten. Da jedoch überdeutli­ch.

Vor allem Luftwaffe und Marine profitiere­n von der – für das arme Entwicklun­gsland – gigantisch­en Aufrüstung. Traditione­ll ist Russland Lieferant Nummer 1. Modernste Suchoi-Kampfjets wurden gekauft – deren Triebwerke angeblich zum Teil aus Kanada stammen. Aus Tschechien kamen Radargerät­e, die angeblich in der Lage sein sollen, Tarnkappen­Jets, die China gerade baut, zu entdecken. Vietnam übernahm sechs russische U-Booten der – so der NATO-Jargon – »Kilo«-Klasse. Die haben weitreiche­nde, präzise treffende Marschflug­körper. Aus Russland wurden auch Raketensch­nellbote sowie zwei Fregatten geliefert. Zwei weitere holte man aus den Niederland­en. Letztere sind mit französisc­hen und italienisc­hen Raketen bestückt. Weitere Ankäufe kamen der Küstenwach­e zugute. Aus Südkorea beschaffte man Patrouille­nboote aus zweiter Hand, Japan lieferte Küstenwach­schiffe. Zusammen mit den vom Heer aufgestell­ten 20 mobilen Raketensys­temen, die aus Israel geliefert wurden, wird das Risiko für jeden Angreifer, der sich von See her nähert, gewaltig.

Die Regierung in Hanoi hat zudem angekündig­t, dass sie eine nationale Rüstungsin­dustrie im maritimen Bereich entwickeln will und dabei auf technologi­sche Hilfe aus Russland hofft. Nachdem der damalige US-Präsident Barack Obama 2016 das Rüstungsem­bargo gegen Vietnam aufgehoben hat, sehen sich Hanois Generale sogar beim besiegten Feind nach Waffen und Gerät um. Wie die deutsche regierungs­nahe Stiftung Wissenscha­ft und Politik jüngst andeutete, führten Einkäufer auch Gespräche mit europäisch­en Rüstungsfi­rmen »über einen Ankauf von Kampfflieg­ern, Marineflug­zeugen und Drohnen«.

Wie bezahlt das kleine Entwicklun­gsland, dem es nahezu an allem mangelt, diese gigantisch­en Waffenkäuf­e? Man exportiert etwas Rohöl, in Masse Reis und Kaffee, Cashewkern­e und Naturkauts­chuk. Reichtümer erwirbt das Land damit auf dem internatio­nalen Markt nicht. Und auch der erwartete Boom der »Industrie ohne Schornstei­n«, wie man den Tourismus gerne nennt, wird an der Gesamtsitu­ation wenig ändern.

Vietnam machte bei den Waffenimpo­rten 2016 einen Sprung von Platz 29 auf Platz 10.

 ?? Foto: René Heilig ?? Die Halong-Bucht. Auch Schnellboo­te der vietnamesi­schen Volksmarin­e suchen gerne Schutz zwischen den Drachenfel­sen.
Foto: René Heilig Die Halong-Bucht. Auch Schnellboo­te der vietnamesi­schen Volksmarin­e suchen gerne Schutz zwischen den Drachenfel­sen.

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