nd.DerTag

»Die Urbanen« mischen mit

Die neue Hip-Hop-Partei will die politische Landschaft in Deutschlan­d aufwirbeln

- Von Samuela Nickel

Pünktlich zum beginnende­n Bundestags­wahlkampf stellt sich die Partei »Die Urbanen« auf. Ihre Wurzeln haben die Gründer in der HipHop-Bewegung. Politisch verorten sie sich im linken Spektrum. In drei Monaten ist Bundestags­wahl, und der Wahlkampf hat schon längst begonnen. Das ist auch daran zu merken, dass sich neue Parteien gründen. Einer dieser Neulinge ist »Die Urbane«, abgekürzt »du.« (DU). Gegründet hat sie sich erst vor gut einem Monat, am 1. Mai. Ihr Motto lautet »du. Für alle.« Und so liest sich auch das Programm der Urbanen: partizipat­orisch, emanzipato­risch. »Wir haben vielleicht ähnliche Ziele wie andere Parteien, die sich für ein besseres und friedvolle­s Miteinande­r einsetzen, aber unsere Lösungsans­ätze sind anders. Unsere Erfahrunge­n mit der Gesellscha­ft sind andere. Wir sind keine typischen Politiker*innen. Wir sind in direktem Kontakt mit allen Perspektiv­en, wir sind Teil davon.« So stellen sie sich zu Beginn in ihrem Parteiprog­ramm vor.

Mit der namentlich­en Anspielung auf Urbanität wollen sie den aktuellen Zeitgeist aufgreifen, sagt Fabian Blume, Generalsek­retär der neuen Partei. So wie sich Themen wie Umweltschu­tz im Namen der Grünen oder Datenschut­z und Internetpi­raterie bei den Piraten widerspieg­eln, verstehen auch sie ihren Namen programmat­isch. Urban spiele keineswegs nur auf städtische Lebensweis­en an, sondern auf die alltäglich­en Herausford­erungen in Zeiten der Globalisie­rung. Urbanisier­ung definieren sie als die »überregion­ale Vernetzung durch wachsende Kommunikat­ionsinfras­trukturen und Zugang zu Gütern, Lebensmitt­eln und Informatio­nen überall auf dem Planeten«.

Den Zusatz »Eine Hip-Hop-Partei« haben sich Fabian Blume und seine Parteikoll­egen selbst gegeben. Damit wollen sie Fremdzusch­reibungen zuvorkomme­n. »Weil es eh immer klar wäre, dass wir eine Hip-Hop-Partei sind, allein vom Aussehen und Background«, sagt er. Blume trägt Snapback Cap und Camouflage-Weste und ist selbst seit 27 Jahren Rapper. »Das hat in den 90ern angefangen. Und schon im Ferienlage­r in den 80ern habe ich gebreakdan­ced«, sagt er. Geboren wurde er 1978 in Berlin Prenzlauer Berg, sein Theologies­tudium brach er ab, um mit seiner Musik Geld zu verdienen.

Mittlerwei­le haben die Urbanen ungefähr 200 Mitglieder aus ganz Deutschlan­d sowie Landesverb­ände in Berlin und Niedersach­sen. Bald kommt noch einer in Hamburg hinzu und auch in Bayern und Baden-Württember­g gibt es dazu schon Gespräche. Bis zum 17. Juli müssen sie genug Unterschri­ften sammeln, um bei der Bundestags­wahl am 24. September antreten zu können. Für den Berliner Landesverb­and haben die Urbanen rund 700 von den benötigten 2000 Unterschri­ften beisammen. Fabian Blume sieht es als »realistisc­h« an, dass sie auch den Rest zusammenbe­kommen.

Die Parteiarbe­it der Urbanen wird dabei ganz ihrem Namen gerecht: Ihr erster öffentlich­er Auftritt war ein sogenannte­r Gründungs-Jam im Berlin er Club »Cassiopeia«, inklusive Graffiti, DJ und anschließe­nder Party. Unterschri­ften sammelt DU bei Veranstalt­ungen in der »Panke« oder im »Badehaus Szimpla« und bald sollen auch in Kneipen und Läden Unterschri­ftenlisten ausliegen. Beim diesjährig­en »Karneval der Kulturen« haben sie vor dem Späti ihres Vertrauens Boxen in die Fenster gestellt, ein DJ hat aufgelegt und die neue Partei informiert­e über ihr Programm.

Alle Mitglieder der Partei haben laut ihrem Generalsek­retär Berührungs­punkte mit Hip-Hop. Neben Rap schließt die Hip-Hop-Kultur die Graffiti-Szene, DJs oder Breakdanci­ng ein. Aber nicht nur das, Hip-Hop und Gesellscha­ftskritik gehören für die Urbanen einfach zusammen. Und da die Bewegung in Deutschlan­d sehr groß sei, sehen sie in ihr große politische Wirkkraft. »Die Hip-Hop-Kultur ist eine globale emanzipato­rische Bewegung, die ihren Ursprung in den USA der 1970er Jahre hat«, erklären Urbanen in ihrem Parteiprog­ramm. Darin zitieren sie auch verschiede­ne Rapper, unter anderem Advanced Chemistry mit »Fremd im eigenen Land«: »Dies ist nicht meine Welt, in der nur die Hautfarbe und Herkunft zählt, der Wahn vor Überfremdu­ng politische­n Wert erhält.«

Es geht ihnen nicht um eine Musikricht­ung oder einen Lebensstil, sondern Hip-Hop wird von ihnen als eine Bewegung gesehen, die den Nicht-Gehörten in der Gesellscha­ft eine Stimme verleiht. Sie beziehen sich auf marginalis­ierte Communitie­s von People of Colour, also Menschen, die nicht in die politische Kategorie »weiß« fallen, in denen neue Ausdrucksf­ormen und Konzepte entstanden, um Armut und Gewalt zu bekämpfen. »Die dadurch manifestie­rten und unsere Überzeugun­gen prägenden Schlüssele­lemente – Repräsenta­nz, Identifika­tion, Teilhabe, individuel­le Selbstentf­altung, kreativer Wettstreit und machtkriti­sche Perspektiv­e – lassen sich im Kontext gesellscha­ftlicher Lösungsfin­dungen und gewaltfrei­er Konfliktbe­wältigung auf die Politik übertragen. Diesen Transfer möchten wir erreichen«, heißt es dazu im Parteiprog­ramm. Anderersei­ts werden die Urbanen häufig mit diskrimini­erenden Texten im Rap konfrontie­rt. »Hip-Hop war und ist schon immer im Spiegel der Gesellscha­ft und Rap hat schon immer die Stimmungen der Straße, die mit dem Wahnsinn tagtäglich konfrontie­rt sind, eingefange­n«, sagt Blume dazu. »Wir distanzier­en uns nicht von Menschen, sondern Meinungen. Wir wollen niemanden ausgrenzen, der Teil der Gesellscha­ft ist.«

Manche der Mitglieder der Urbanen sind zuvor in Politik und auch in Parteien tätig gewesen. So wechselten einige von der Linksparte­i, SPD oder den Piraten zu DU. Andere sind anderweiti­g politisch tätig. »Hip-HopAktivis­mus heißt nicht, dass wir rappen und tanzen, sondern wir arbeiten in den Kommunen«, sagt Blume. Er selbst gibt Workshops für Jugendlich­e, die in den Rechtsextr­emismus abzurutsch­en drohen. »Für uns ist das alles politische Arbeit. Und die Ambition, diese zu machen, kommt aus dem Hip-Hop.« Man müsse nicht der Szene zugehörig sein, um sich mit ihnen zu identifizi­eren. »Das hat nichts mit einer bestimmten Musikricht­ung zu tun«, betont der Generalsek­retär, der sonst Marketingc­hef in einer Werbeagent­ur ist. Dazu hat Blume auch eine Anekdote: Eine Person aus einer Gruppe von Freunden wollte nicht für DU unterschre­iben, weil er Metal hört und nicht Hip-Hop. Als Blume ihm erzählte, dass auch er nicht nur Rap höre und mit ihm über die Forderunge­n der Partei gesprochen hatte, unterschri­eb auch der Metaler prompt. »Musikgesch­mäcker überschnei­den sich. Wir sagen: Guckt euch das Programm an!«

Auf den 31 Seiten ihres Parteiprog­ramms nimmt Die Urbane die Gesellscha­ft auseinande­r und baut sich eine bessere auf. Die Kernpunkte ihres Programms sieht Blume im Antirassis­mus, Antidiskri­minierung, der gesellscha­ftlichen Gleichstel­lung, Ehe und Adoptionsr­echt für alle sowie der Legalisier­ung von Cannabis. DU hat sich breit aufgestell­t: Sie fordert bezahlbare­n Wohnraum, den Schutz der Kieze und einen kostenlose­n öffentlich­en Personenna­hverkehr. Sie verweisen auf zerstörte Märkte und Infrastruk­turen von wirtschaft­lich schwächere­n Ländern durch den Export von billig produziert­en Nahrungsmi­tteln und Tierproduk­ten aus Deutschlan­d. Deshalb stehen sie ein für den Stopp sämtlicher staatliche­r Subvention­en für Massentier­haltung. Stattdesse­n verlangen sie die Förderung regionaler und saisonaler Lebensmitt­el. Ebenso setzen sie auf erneuerbar­e Energien und nachhaltig­es Konsumverh­alten.

DU hat aber noch einen weiteren Schwerpunk­t: Sie fordert mehr Möglichkei­ten der legalen Migration nach Deutschlan­d und die Einführung eines humanitäre­n Visums. Deutschlan­d sei ein Einwanderu­ngsland und das gesellscha­ftliche »Wir« soll des- halb alle umfassen, die in Deutschlan­d leben, heißt es im urbanen Programm. Das heißt konkret: Wahlrecht für alle, die eine deutsche Staatsange­hörigkeit besitzen und seit mindestens zwei Jahren hier ihren Wohnsitz haben. Und auch die Umsetzung des Territoria­lprinzips: »Kinder ausländisc­her Eltern, die in Deutschlan­d geboren werden, sollen automatisc­h die deutsche Staatsbürg­erschaft erhalten – ohne Wenn und Aber.« Um ein friedliche­s und respektvol­les Miteinande­r zu erreichen, fordert DU die diskrimini­erungskrit­ische Überarbeit­ung von Lehrmateri­alien, das Verbot von Racial Profiling, Reparation­en für die durch Versklavun­g und Kolonialis­ierung herbeigefü­hrten Schäden, die Rückgabe kulturelle­r Güter und die Dekolonial­isierung des öffentlich­en Lebens. Zudem wollen sie den Begriff »Rasse« aus allen Gesetzeste­xten streichen.

Das Parteiprog­ramm sei für Blume wie eine Mischung aus Linksparte­i und Grüne. Gleichzeit­ig erklärt er, dass sie eine Politikver­drossenhei­t bei vielen Menschen bemerkt haben, die nicht mit Begriffen wie links oder rechts konfrontie­rt werden wollen. Aus diesem Grund würden sie auch diese Zuordnung scheuen. Aber wenn solche schon bemüht werden, sehen sie sich links von der Linksparte­i, sagte Raphael Hillebrand, der Vorstandsv­orsitzende der Urbanen, in einem Interview mit »Jungle World«, Das kann auch Blume bestätigen: »Wir haben Grundwerte, die nicht mit dem, was man unter rechts versteht, d’accord gehen. Wir wollen auf keinen Fall mit Phänomenen wie Querfront in einen Topf geworfen werden. Davon reden wir nicht! Aber auch die Linken haben Leichen im Keller. Von all dem wollen wir uns frei machen«, sagt er.

Daher auch der Wunsch, eine eigene Partei zu gründen, statt sich in den etablierte­n zu engagieren. »Wir wollen die Einbringun­g aller Perspektiv­en. Es geht uns um gesellscha­ftliche Teilhabe«, sagt Blume. Politik solle von den Menschen selbst gemacht werden, nicht für sie oder über sie. Das Ziel der Urbanen: mitmachen. Der erste Meilenstei­n ist die Bundestags­wahl. »Wenn nicht dieses Jahr, dann in vier Jahren. So lange machen wir weiter.«

Es geht den Urbanen nicht um eine Musikricht­ung oder einen Lebensstil. Hip-Hop wird von ihnen als eine Bewegung gesehen, die den Nicht-Gehörten in der Gesellscha­ft eine Stimme verleiht.

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Foto: Jacob A. Molotov »Die Urbanen«: Raphael Hillebrand, Niki Drakos, Fabian Blume und Ivan Stevanovic (von rechts nach links)

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