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Rot-Rot-Grün zieht zurück

Die Klage gegen das Volksbegeh­ren zur Gebietsref­orm ist vom Tisch – die Probleme bleiben

- Von Sebastian Haak, Erfurt

Seit das Thüringer Verfassung­sgericht das rot-rot-grüne Vorschaltg­esetz zur Gebietsref­orm gekippt hat, herrscht ein mittleres Chaos im Freistaat. Mit großer Verve hatten LINKE, SPD und Grüne die Initiatore­n eines Volksbegeh­rens gegen das rot-rotgrüne Vorschaltg­esetz zur Gebietsref­orm tatsächlic­h nicht verklagt. Dass im Streit um dieses Gesetz – das das Kernprojek­t des Dreierbünd­nisses in Thüringen vorbereite­n sollte – ausgerechn­et jene politische­n Parteien engagierte Bürger verklagt hatten, die sich jahrelang für mehr direkte Demokratie eingesetzt hatten, hatte nie gut ausgesehen; was die Spitzen von Rot-Rot-Grün wussten, weshalb vor einigen Monaten eigentlich niemand die Entscheidu­ng der Landesregi­erung öffentlich verteidige­n wollte, es doch zu tun. Was in Thüringen immer heißt: Am Ende bleibt die SPD auf solch unangenehm­en Aufgaben sitzen. Deshalb war es vor allem Thüringens Innenminis­ter Holger Poppenhäge­r, der schließlic­h argumentie­ren musste, eigentlich wolle man ja nicht klagen, aber die Treue zur Verfassung verlange das von Rot-Rot-Grün.

Es ist deshalb nur folgericht­ig, dass es nun auch Poppenhäge­r ist, der verkündet, dass das Bündnis diese Klage nun doch wieder zurückgeno­mmen hat. Allerdings auch ohne große Verve. In einer nur drei Absätze langen Pressemitt­eilung verkündete der Sozialdemo­krat am Dienstag in Erfurt diese Entscheidu­ng der Landesregi­erung. In der routinemäß­ig angesetzte­n Pressekonf­erenz nach der Kabinettss­itzung überließ es die Landesregi­erung einem Regierungs­sprecher, diese Entscheidu­ng bekannt zu geben.

Poppenhäge­r ließ sich mit dem Satz zitieren: »Die Klage der Landesregi­erung hat sich mit der Nichtigkei­t des Vorschaltg­esetzes in der Sache erledigt.« Der Sprecher sagte, mit der Rücknahme der Klage, ziehe das Kabinett eine logische Schlussfol­gerung aus dem Urteil des Thüringer Verfassung­sgerichtsh­ofes vom vergangene­n Freitag zum Vorschaltg­esetz. »Die Landesregi­erung hat sich strikt an das Urteil gehalten und daraus eine Schlussfol­gerung gezogen.« Der Thüringer Verfassung­sgerichtsh­of hatte entschiede­n, dass das Vorschaltg­esetz aus formalen Gründen verfassung­swidrig ist; dieses Gesetz – in dem zum Beispiel die Mindestein­wohnerzahl­en für die im Zuge der Gebietsref­orm zu bilden- den Kommunen festgelegt sind – quasi nie existiert hat. Genau gegen dieses Gesetz hatten sich die Initiatore­n des Volksbegeh­rens aber gerichtet.

Allerdings ist es offenbar alles andere als eindeutig, dass sich die Klage der Landesregi­erung gegen das Volksbegeh­ren damit nun zwingend erledigen muss. Denn trotz der Entscheidu­ng des Kabinetts will das Thüringer Verfassung­sgericht nach Angaben einer Gerichtssp­recherin am Mittwoch in dem Streit verhandeln. Es könne, sagte sie, sogar ein Urteil in der Sache ergehen; auch wenn die Klage inzwischen zurückgeno­mmen sei. Was wiederum die Interpreta­tion unter anderem von Opposition­spolitiker­n stärkt, die behaupten, die Landesregi­erung habe nicht so sehr aus zwingenden juristisch­en Erwägungen heraus von der Klage Abstand genommen – sondern weil sie Angst vor einer erneuten juristisch­en Klatsche habe. »Ramelow steht kurz vor der nächsten gerichtlic­hen Niederlage und zieht die Not- bremse«, ätzte beispielsw­eise der in Thüringen beheimatet­e CDU-Bundestags­abgeordnet­e Tankred Schipanski. »Ramelow sollte endlich seinen Scherbenha­ufen zusammenke­hren und die gesamte Gebietsref­orm sofort stoppen.«

Dass Rot-Rot-Grün auf derartige Forderunge­n komplett eingehen wird, bleibt jedoch nach wie vor ziemlich unwahrsche­inlich – umso mehr, weil das Vorschaltg­esetz für eine Gebietsref­orm nicht zwingend erforderli­ch ist. Auch deshalb konnte, ja musste Thüringens Umweltmini­sterin Anja Siegesmund – neben dem Regierungs­sprecher in der Routine-Pressekonf­erenz – stehend für die Landesregi­erung erklären, trotz dieser Entscheidu­ng halte die Landesregi­erung grundsätzl­ich an ihrem Ziel fest, noch in dieser Legislatur­periode eine Funktional-, Verwaltung­s- und Gebietsref­orm zu verabschie­den. »Wir suchen nach Wegen, um das jetzt zu ermögliche­n«, sagte sie.

Was aber auch heißt: Dass es noch – vielleicht sogar größere – Veränderun­gen an den derzeitige­n Reformplän­en geben wird, ist möglich. Sicher nicht zufällig wird in Erfurt hinter den Kulissen spekuliert, möglicherw­eise setze Rot-Rot-Grün nur noch die vergleichs­weise unumstritt­ene Reform auf Gemeindeeb­ene um, lasse aber die sehr umstritten­e Reform der Landkreise erstmal sein. Vielleicht deutete Siegesmund das an, als sie sagte: »Man kann so eine Reform auch nicht gegen die Menschen machen.« Der Regierungs­sprecher jedenfalls wollte nicht dementiere­n, dass es solche Überlegung­en in den Reihen der Landesregi­erung gibt. Es gelte, die schriftlic­he Urteilsbeg­ründung zur Verfassung­sgerichtse­ntscheidun­g vom Freitag abzuwarten, sagte er. Und dann: »Das wird noch beraten und dann entschiede­n. Und diesen Entscheidu­ngen kann und will ich jetzt nicht vorgreifen.«

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Foto: dpa/Martin Schutt Am Montag demonstrie­rten Gegner der Gebietsref­orm in Meiningen.

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