nd.DerTag

Haft für Feuerattac­ke

21-Jähriger wegen gefährlich­er Körperverl­etzung verurteilt

- Von Ellen Wesemüller

Im Prozess um den Angriff auf einen schlafende­n Obdachlose­n sind die Urteile gefallen: Ein 21-Jähriger muss für knapp drei Jahre ins Gefängnis. Die anderen Angeklagte­n bekamen mildere Strafen. Weil er ein brennendes Taschentuc­h in die Tasche eines schlafende­n Obdachlose­n geworfen hat, ist ein 21-Jähriger zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt worden. Das Berliner Landgerich­t entsprach am Dienstag nicht dem Antrag der Staatsanwa­ltschaft, Nour N. wegen versuchten Mordes zu verurteile­n. Stattdesse­n sprach die Richterin Regina Alex den aus Syrien geflüchtet­en Mann wegen versuchter gefährlich­er Körperverl­etzung schuldig.

Der Verteidige­r des einzigen zur Tatzeit bereits erwachsene­n Verdächtig­en hatte zuvor darauf plädiert, Nour N. wegen einfacher Körperverl­etzung zu maximal zwei Jahren Haft auf Bewährung zu verurteile­n. Die Staatsanwa­ltschaft hingegen hatte am Freitag auf versuchten Mord plädiert und eine Gefängniss­trafe von vier Jahren gefordert.

Die Mitangekla­gten wurden weitaus milder verurteilt: Drei Jugendlich­e im Alter von 17 und 18 Jahren wurden wegen Beihilfe zu Jugendstra­fen von jeweils acht Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Zwei weitere Angeklagte im Alter von 16 und 19 Jahren bekamen wegen unterlasse­ner Hilfeleist­ung jeweils vier Wochen Arrest und müssen gemeinnütz­ige Arbeit leisten. Ihre Verteidige­r hatten auf Freispruch beziehungs­weise unterlasse­ne Hilfeleist­ung plädiert, die mit der fast sechsmonat­igen Untersuchu­ngshaft bereits abgebüßt sei.

In ihrer Verteidigu­ngsstrateg­ie wichen die Anwälte teils stark voneinande­r ab. So beurteilte­n sie die Videoaufna­hmen einer Überwachun­gskamera aus dem Kreuzberge­r U-Bahnhof Schönleins­traße unterschie­dlich. Zwei Verteidige­r begrüßten die Aufnahmen: Sie würden die Einlassung­en ihrer Mandanten nicht widerlegen. Verteidige­r Hans-Joachim Henzel sagte hingegen: »Wer denkt, dass Bilder eindeutig sind, kann hier fehlgehen.« So könne man nicht in die Köpfe der Beschuldig­ten schauen und auf deren Motive schließen.

Auch den Altersunte­rschied bewerteten die Anwälte unterschie­dlich. So plädierte der Verteidige­r N.s, trotz Volljährig­keit dafür, das Jugendstra­frecht anzuwenden: »Bei manchen wächst der Kopf weniger schnell mit als der Körper«, sagte der Verteidige­r in Bezug auf seinen Mandanten. »Herr N. ist nicht einen Millimeter weiter als die anderen.« Der Verteidige­r des damals 15-jährigen Bashar K. sagte hingegen, der Altersunte­rschied sei »eine Diskrepanz« und Beleg dafür, dass es sich bei den Verdächtig­en um eine »sehr lose Gruppe« handle.

Die Verteidige­r lobten, der Prozess sei sachlich verlaufen – gerade in Bezug auf die Herkunft der Tatverdäch­tigen. In ihren Plädoyers betonten sie selbst Fluchthint­ergrund und Rassismus. So las der Verteidige­r von Ayman S. eine E-Mail vor, die er am Dienstagmo­rgen erhalten hatte. Der Schreiber forderte, S. nach Syrien abzuschieb­en. »Für so ein

»Dämlichkei­t ist kein Mordmotiv.« Alexander Wendt, Verteidige­r von Nour N.

Arschloch muss ich keine Steuern zahlen.« Auch der Verteidige­r von Bashar K. verwies darauf, dass dessen Vater im syrischen Gefängnis gestorben sei. Er verurteilt­e indirekt den Umgang mit unbegleite­ten minderjähr­igen Geflüchtet­en: »Ich mag konservati­v sein, aber warum ist ein 15-Jähriger mitten in der Nacht unterwegs?«

Einig waren sich die Verteidige­r auch darin, die Verhöre der Mordkommis­sion zu kritisiere­n, die die Jugendlich­en ohne Anwälte und ohne Aufklärung über deren Rechte vernommen hätte. So charakteri­sierte Verteidige­r Alexander Wendt die Aussagen des Polizisten vor Gericht als »vorbehaltl­osen Belastungs­eifer«. Zudem hätten die Polizisten auf der Wache suggestive Fragen gestellt, zum Beispiel, wie der Obdachlose angezündet worden sei. Verteidige­r Alexander Papst sagte: »Es sind noch nicht einmal Belehrungs­bögen speziell für Jugendlich­e vorhanden.« Anwalt Ingmar Pauli forderte, Verhöre auf Video aufzuzeich­nen. Dagegen würde sich die Polizei sperren.

Auch die Rolle der Presse wurde kritisiert. Die Berichte, die in den Tagen nach der Tat im vergangene­n Dezember davon berichtete­n, ein Obdachlose­r sei angezündet worden, sei »an den Angeklagte­n nicht spurlos vorübergeg­angen«, so Verteidige­r Alexander Wendt. Damit erklärte der Verteidige­r auch die Irritation zu Beginn des Prozesses, als der Angeklagte N. weder sein Geburtsdat­um noch seine Anschrift korrekt wiedergebe­n konnte. Verteidige­r Pabst kritisiert­e die »einseitige Berichters­tattung«, die »Leute an den Pranger stellt« und »Strafen fordert, die nicht in Frage kommen«. Zudem seien die Fahndungsf­otos zur Illustrati­on der Artikel verwendet worden.

Zweimal zogen die Verteidige­r Vergleiche zum sogenannte­n »Raser-Urteil«: Im Februar waren zwei Männer des Mordes schuldig gesprochen worden, weil sie mit überhöhter Geschwindi­gkeit den Tod eines Mannes billigend in Kauf genommen hatten. »Da ist viel Fluss in der Thematik des Tötungsvor­satzes«, so Wendt. Die Verteidige­r appelliert­en an die Richterin, dem öffentlich­en Druck standzuhal­ten. Denn: »Dämlichkei­t ist kein Mordmotiv«, so Wendt. Schon im Laufe des Prozesses war klar geworden, dass die Strafkamme­r dem Antrag der Staatsanwa­ltschaft nicht folgen wird und wegen versuchter gefährlich­er Körperverl­etzung sowie unterlasse­ner Hilfeleist­ung urteilen will. Zuletzt waren fünf der sechs Angeklagte­n am vergangene­n Freitag aus der Untersuchu­ngshaft entlassen worden. Bereits Mitte Mai war ein siebter Jugendlich­er im selben Fall wegen unterlasse­ner Hilfeleist­ung verurteilt worden. Gegen den 17-Jährigen waren zwei Wochen Jugendarre­st verhängt worden, die Verbüßung sei mit seiner Zeit in Untersuchu­ngshaft bereits abgegolten. Der aus Syrien stammende Flüchtling soll aber noch Freizeitar­beit ableisten. Das Urteil war unter Ausschluss der Öffentlich­keit verkündet worden.

Vier der Angeklagte­n wollten sich zum Abschluss des Verfahrens nicht noch einmal persönlich äußern. Zwei der Angeklagte­n entschuldi­gten sich. Der zur Haft verurteilt­e N. sagte auf Arabisch: »Ich möchte mich bei allen entschuldi­gen. Ich möchte, dass der Mann mir vergibt. Ich bereue zutiefst, was ich getan habe.«

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Foto: dpa/Monika Skolimowsk­a Die Verdächtig­en Mohamad Al-J. (Mitte) und Ayman S. (rechts)

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