nd.DerTag

»Wie wir leben wollen«

Ausstellun­g im Notaufnahm­elager Marienfeld­e verhandelt Flucht, Ankunft und Zusammenle­ben

- Von Jana Klein

Mit der Sonderscha­u »Nach der Flucht – wie wir leben wollen« gewährt die Stiftung Berliner Mauer Besuchern ab diesem Mittwoch Einblick in die Lebenssitu­ation geflüchtet­er Menschen in Berlin. Entlang der Beispiele einiger Berliner Familien und Einzelpers­onen widmet sich eine neue Ausstellun­g der Aufnahmepr­axis, dem begleitend­en Diskurs, politische­n Rahmenbedi­ngungen und den Lebensumst­änden, die sich daraus für die Flüchtling­e ergeben. Dazu haben sich die Macherinne­n der Schau für eine Bestandsau­fnahme mit den Flüchtling­en aus dem Iran, Afghanista­n, Syrien und Tschetsche­nien getroffen. Zum ersten Mal sah man sich 2012. Welche Hoffnungen haben sich inzwischen erfüllt, welche Schwierigk­eiten waren zu meistern – und wo holpert es noch auf dem Weg in die deutsche Gesellscha­ft?

Da ist zum Beispiel Familie Ghodoussi mit Wurzeln in Afghanista­n, die nach einigen Jahren ohne Aufenthalt­srechte im Iran nach Deutschlan­d gekommen ist. Als die Taliban die Heimatregi­on der Familie konkurrier­enden Gotteskrie­gern abnehmen, arbeitet Vater Ruhala zunächst für sie, entzieht sich dann aber, die Familie muss fliehen. Die Töchter kommen im Iran zur Welt. Dort beschimpft man sie als »dreckige Afghanen«, wie eine von ihnen, Mozhdah, erzählt. Auf getrennten Pfaden findet sich die Familie in Deutschlan­d wieder, bezieht schließlic­h eine Wohnung in Berlin.

An vier Tagen besucht Mutter Mari jetzt den Sprachkurs von 8 bis 13 Uhr, kümmert sich danach um Haushalt, fünf Kinder und ihre DeutschHau­saufgaben. Trotzdem klappt es noch immer nicht so gut mit der Sprache, oft vermitteln die Kinder für die Eltern. Und nicht nur dort: »In Deutschlan­d ist wichtig, dass man pünktlich ist, zehn Minuten früher oder fünf«, berichtet Mozhdah über die Unterschie­de zwischen Heimatland und neuer Heimat, die den Eltern manchmal nahegebrac­ht werden müssen.

An einer der interaktiv­en Konsolen in der Schau können sich Besucher unter der Leitfrage »Haben Einheimisc­he ein Recht auf Bevorzugun­g?« – gewisserma­ßen durch die Flüchtling­e gespiegelt – mit sich sel- ber beschäftig­en. Den »Blick auf die Aufnahmege­sellschaft richten«, nennt das Kuratorin Kathrin Steinhause­n.

Passen zwischen die von den Macherinne­n ausgemacht­en vier Folien »Terrorgefa­hr«, »bemitleide­nswerte Opfer«, »Chance für die deutsche Wirtschaft« oder » Fremde« noch echte Menschen? »Wir wünschen uns, dass es auch für unsere Besucher eine Herausford­erung wird«, fasst Maria Nooke, Leiterin der Erinnerung­sstätte Notaufnahm­elager Marienfeld­e, Entwicklun­g und Ziel der Schau zusammen.

Im Blick hatte man dabei insbesonde­re Schüler der Sekundarst­ufe II, aber gerade auch die interaktiv­en Teile laden dazu ein, generation­enübergrei­fend der Frage nachzugehe­n, wie denn die Einheimisc­hen sich ein Zusammenle­ben wünschen. Doch zuvor muss ein steiniger Weg bewältigt werden: Im Planspiel »Ankunft in Andersland« müssen die Besucher einen Asylantrag stellen und mit dem jeweils individuel­len Gepäck, das jeder auf den Schultern trägt, die Aufgaben bewältigen, die das Leben der Geflüchtet­en prägt. Dabei wird sich zeigen, dass manche weiter kommen als andere, und dass das auch an den Bedingunge­n hängt, die die Aufnahmege­sellschaft den Menschen bereitet.

Sonderauss­tellung in der Erinnerung­sstätte Notaufnahm­elager Marienfeld­e »Nach der Flucht – wie wir leben wollen«, 14. Juni bis August 2018, Marienfeld­er Allee 66, 12 277 Berlin

 ?? Foto: nd/Ulli Winkler ?? Eheleute Ghodoussi
Foto: nd/Ulli Winkler Eheleute Ghodoussi

Newspapers in German

Newspapers from Germany