nd.DerTag

Das Gerede vom Strick

Zur Debatte um die TV-Doku »Auserwählt und ausgegrenz­t – der Hass auf Juden in Europa«

- Von Jürgen Amendt

Der Einwand, der Film ergreife Partei für eine Seite im Nahost-Konflikt, darf nie und nimmer ein Argument gegen eine Ausstrahlu­ng sein.

Antisemiti­smus ist ein unzivilisi­ertes Herzstück europäisch­er Kultur.« Das ist ein Satz, der in Erinnerung meißelt, was oft verdrängt wird, und er erinnert an einen anderen Satz: »Der Antisemiti­smus ist ein eingeschli­ffenes Schema, ja, ein Ritual der Zivilisati­on«. Letzterer entstammt der »Dialektik der Aufklärung«, dem Hauptwerk der beiden deutschen Philosophe­n Theodor W. Adorno und Max Horkheimer; ersterer fällt gleich zu Beginn der Filmdokume­ntation »Ausgewählt und ausgegrenz­t – der Hass auf Juden in Europa«. Gedreht haben diesen Film Sophie Hafner und Joachim Schroeder. Es gibt da noch einen dritten Satz, der in diesem Zusammenha­ng wichtig ist, und er stammt ebenfalls von Adorno: »Im Hause des Henkers soll man nicht vom Strick reden, sonst hat man Ressentime­nt.«

Hafners und Schroeders Film war den Programmve­rantwortli­chen bei Arte und WDR, den beiden Sendern, die die Dokumentat­ion über Antisemiti­smus in Europa in Auftrag gaben, offenbar zu viel Gerede vom Strick. Arte verweigert­e die Abnahme des Films, offiziell, weil sich Hafner und Schroeder nicht an Absprachen gehalten und in dem knapp 90 Minuten langen Film das Thema verfehlt hätten. Statt vom Hass gegen Juden in Europa handele die Doku über weite Strecken vom NahostKonf­likt, lautet der Vorwurf.

In einer Stellungna­hme betonen die beiden Autoren, gegenüber ihren Auftraggeb­ern diese Absicht niemals verschwieg­en zu haben. In dem Konzept, das die Arte-Programmko­mmission genehmigt habe, sei deutlich gemacht worden, dass der Film von einem antizionis­tisch geprägten Antisemiti­smus in Europa handeln werde und dass dieser »untrennbar mit dem Nahost-Konflikt verwoben« sei. Nach Auskunft der beiden Filmemache­r hat Arte-Chefredakt­eur Marco Nassivera allerdings schon vor zwei Jahren zu Beginn der Produktion ihnen gegenüber angedeutet, dass es durch den Fokus auf den Nahost-Konflikt Probleme geben könne. Sie müssten Ver- ständnis haben, »dies sei gerade für Arte in Frankreich ein sensibles Thema«, denn Arte Frankreich sei »eingezwäng­t zwischen islamische­r und jüdischer Lobby«.

Der Film nimmt durchaus eine dezidiert pro-israelisch­e Haltung ein. Er spekuliert, ob im Gaza-Streifen aus EU-Geldern Prachtbaut­en und Villen der Hamas-Führungscl­ique finanziert wurden. Das Film-Team ist dafür nach Gaza-Stadt gefahren, hat Hamas-kritische Studenten interviewt und einen Vertreter der UN-Hilfsorgan­isation UNRWA zum Verbleib von Hilfsgelde­rn befragt. Interviewt werden Palästinen­ser, die in israelisch­en Siedlungen in den besetzten Gebieten arbeiten und die sich ausdrückli­ch positiv zu ihrer Situation äußern. Gezeigt werden israelisch­e Krankenhäu­ser, in denen Palästinen­ser operiert werden. Die Doku konterkari­ert damit das Bild, das auch hierzuland­e über das israelisch-palästinen­sische Verhältnis vorherrsch­t. Rund eine halbe Stunde nehmen diese Passagen im Film ein.

Der Einwand, der Film ergreife damit Partei für eine Seite im NahostKonf­likt, darf aber nie und nimmer ein Argument gegen eine Ausstrahlu­ng sein. Zumal auch diese knapp 30 Filmminute­n ihre Bedeutung für das Thema haben. Der Konflikt zwischen Israel und Palästinen­sern wird nämlich auch auf europäisch­em Boden ausgetrage­n. Hier setzt sich zum Beispiel die Bewegung Boycott, Divestment and Sanctions (BDS) für die internatio­nale Isolierung israelisch­er Künstler und Intellektu­eller und für den Boykott von israelisch­en Waren ein, die in den besetzten Gebieten produziert wurden. Der Film zeigt Aktivisten, die in Frankreich Supermärkt­e stürmten und die Vernichtun­g von israelisch­en Lebensmitt­eln filmten. Solche Bilder, sagt ein Gesprächsp­artner von Hafner und Schroeder, stachelten zum Judenhass auf und lieferten arabischen Jugendlich­en die moralische Rechtferti­gung für Gewalt.

Die Doku legt nahe, dass mit diesem Ausbruch antijüdisc­her Gewalt vor allem Frankreich ein Problem hat. Und das nicht erst seit dem islamistis­chen Terror des IS. Schon vor über zehn Jahren – der IS war da in Euro- pa noch gar nicht aktiv – wurde ein junger Jude in Paris entführt und ermordet. Die Täter wollten Geld erpressen und gingen irrtümlich davon aus, dass die Familie ihres Opfer reich sei. Das antisemiti­sche Motiv hat in den französisc­hen Medien aber nur eine untergeord­nete Rolle gespielt.

Die Mehrheit der Gesellscha­ft tue sich schwer damit, antisemiti­sch motivierte­n Terror auch als solchen zu benennen, stellen die beiden Filmemache­r fest. Wie blind sie gegenüber einem solchen Tatmotiv ist, zeigt auch ein Blick in die jüngere Geschichte. Am 13. November 2015 wurde Paris von Terroransc­hlägen erschütter­t. Einer galt dem Klub Bataclan. 90 Menschen – meist jugendlich­e Besucher eines Rock-Konzertes – starben. Was der Öffentlich­keit kaum bekannt ist: Das Bataclan war schon seit 2008 Ziel antisemiti­scher Attacken, 2011 entging der Klub nur knapp einem Anschlag und kurz vor dem Attentat waren die ehemaligen jüdischen Besitzer, die im Bataclan mehrfach pro-israelisch­e Solidaritä­tsabende veranstalt­et hatten, nach Israel ausgewande­rt.

Man muss, wie gesagt, nicht die Schärfe, nicht die Zuspitzung teilen, die Hafner und Schroeder in ihren Film gelegt haben. Direkt nach dem eingangs zitierten Satz über den Antisemiti­smus als Herzstück europäisch­er Kultur folgt eine Aneinander­reihung von Namen: Voltaire, Hegel, Molière, Kant, Heidegger, Shakespear­e hätten judenfeind­liche Klischees und Vorurteile bedient, selbst Goethe sei gegen die Ehe von Christen und Juden gewesen. Man könnte auf diese Liste noch andere setzen, die in dieser Aufzählung nicht vorkommen: Marx und Engels zum Beispiel. Zwischen Goethe und jenen arabischen Jugendlich­en, die in Deutschlan­d öffentlich »Tod den Juden« skandieren, bestehen jedoch Unterschie­de.

Und es gibt Grau- und Zwischentö­ne. Zionisten seien eine »Geldmafia, die ihr Geld nicht mit dem Wohl der Menschen verdient, sondern mit der Zerstörung der Menschheit«, sagt jemand am Rande einer WutbürgerD­emonstrati­on in Berlin ins Mikrofon. »Hinter Amerika steht eine andere Macht.« Welche das ist, sagt er nicht. Die deutsche Linguistin Monika Schwarz-Friesel erklärt es uns an seiner statt: Nicht Juden werden als Übel der Welt diffamiert, sondern Israel. Nicht Juden beherrsche­n die Welt, sondern Rothschild, GoldmanSac­hs, die Bilderberg­er. »Sie sagen nicht Juden, sondern ›einflussre­iche Kreise‹«, so Schwarz-Friesel.

Dass dieses Denken nicht auf den politisch rechten Rand beschränkt ist, zeigt die Doku auch. Ein Langhaarig­er im Retro-Öko-Look spricht am Rande einer Demo in Berlin offen ins Mikrofon, dass man »schon blöde sein muss«, um die »amerikanis­chzionisti­sche Weltversch­wörung« nicht zu erkennen. Weltbank, IWF, die UNO und die internatio­nale Atomenergi­eorganisat­ion IAEA seien unter der Kontrolle einer amerikanis­chen Elite, die maßgeblich von Zionisten gelenkt werde. Und die Protokolle der Weisen von Zion, jenes antisemiti­sche Pamphlet, das der zaristisch­e Geheimdien­st zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts in Umlauf brachte und das gefälschte Darstellun­gen über einen angebliche­n Plan des »Weltjudent­ums« enthält, die »Weltherrsc­haft« zu übernehmen, sei ein »historisch­es Dokument«. Selbst wenn es eine Fälschung sein sollte, dann »hat sich da jemand kluge Gedanken gemacht« und die »Wahrheit« antizipier­t.

Arte weigert sich weiterhin, den Film zu zeigen, denn hierdurch würde er »nachträgli­ch legitimier­t«. Der WDR versteckt sich hinter der Argumentat­ion des deutsch-französisc­hen Gemeinscha­ftssenders. Damit haben die beiden Sender sowohl dem Thema als auch der Medienhygi­ene einen Bärendiens­t erwiesen. Montagnach­t, um Punkt Mitternach­t, stellte bild.de den kompletten Film für 24 Stunden online. Juristisch ist das problemati­sch, denn die Erstausstr­ahlungsrec­hte liegen bei Arte. Von den Filmemache­rn habe bild.de den Link zum Film nicht, erklärte Sophie Hafner auf Nachfrage. Arte nannte das Verhalten von bild.de zwar »befremdlic­h«, erklärte aber, dass es nicht gegen die Veröffentl­ichung vorgehen werde, damit »die Öffentlich­keit sich ein eigenes Urteil über den Film bilden kann«.

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Screenshot: www.bild.de

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