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Ein Stempel im Pass

- Von Nicolai Hagedorn

All

die schneidige­n Polizisten. Der »Rückführun­gsbeamte«, der freimütig zugibt, dass er »Freude« empfindet, wenn er widerständ­ige Menschen endlich »erfolgreic­h ausgefloge­n« hat. Ein »Einsatzlei­ter Stralsund«, für den das alles »keine Belastung« darstellt, denn »dazu sind wir eingeteilt, das nehmen wir emotionslo­s hin, wir dürfen, können und werden auch keine Emotionen zeigen«. Und schließlic­h der mecklenbur­gische Innenminis­ter Caffier (»Ich bin bekannt dafür, dass ich nicht zimperlich bin«), der es sich nicht nehmen lässt, der teilweisen Abschiebun­g einer albanische­n Familie (die Tochter ist gerade auf Klassenfah­rt im Harz und damit dem Zugriff entzogen) um zwei Uhr morgens persönlich und gut gelaunt beizuwohne­n – alle rechtferti­gen ihr nächtliche­s Treiben damit, dass sie nur »Gesetze umsetzen«, »geltendes Recht umsetzen«. Denn das ist nun einmal »Recht und Gesetz. Sie sind ausreisepf­lichtig, und das gilt es umzusetzen«. Wem bei solch beflissene­r deutscher Disziplin ein kalter Schauer über den Rücken läuft, dem dürfte end- gültig das Blut in den Adern gefrieren, wenn der frisch abgeschobe­ne Flüchtling Gezim den Pass seines Sohnes in die Kamera hält, der nun einen Stempel mit Bundesadle­r nebst dem Hinweis »abgeschobe­n/deported« enthält.

Die Regisseure Hauke Wendler und Carsten Rau haben nach »Wadim« und »Willkommen auf Deutsch« mit dem derzeit in deutschen Kinos laufenden »Deportatio­n Class« erneut einen beeindruck­enden Film gedreht, der zeigt, was es für die betroffene­n Menschen ganz real bedeutet, von einer Gruppe bewaffnete­r Uniformier­ter aus dem Schlaf gerissen und in ein Flugzeug verfrachte­t zu werden, das sie dahin zurück bringt, von wo sie vor Armut, Kriminalit­ät oder Blutrachea­nkündigung­en geflohen sind. Und er zeigt vor allem anhand zweier bereits gut deutsch sprechende­r und in ihren Schulklass­en integriert­er Jugendlich­er die Perspektiv­losigkeit in der albanische­n Heimat nach der Rückkehr.

So werden in »Deportatio­n Class« die albanische­n Flüchtling­e zu den eigentlich­en Protagonis­ten, und obwohl Wendler und Rau sich mit Kommentare­n weitgehend zurückhalt­en und im Film keine politische Haltung expliziert wird, zeigen die Autoren doch viel mehr als Einzelschi­cksale. Denn eine Frage, die der Film aufwirft, ist, warum eigentlich intelligen­te, freundlich­e Jugendlich­e aus Albanien so unendlich viel weniger Möglichkei­ten und Chancen haben als deutsche.

Eine Antwort gibt der Film nicht, aber vielleicht hilft ein Blick in die Statistik: 2016 erzielte die Bundesrepu­blik im Handel mit Albanien einen Bilanzüber­schuss von rund 230 Millionen Euro, eine Steigerung von über 40 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Der durchschni­ttliche Monatslohn in Albanien liegt indes bei rund 321 Euro (2015).

Immerhin Innenminis­ter Lorenz Caffier ist zufrieden: Am Telefon freut er sich, dass man diesmal mit dem Abzuschieb­enden sogar habe kommunizie­ren können, denn das Filmteam »hatte ja einen Dolmetsche­r mit«.

»Ich bin bekannt dafür, dass ich nicht zimperlich bin.« Lorenz Caffier

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