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Zahnlücke und Trauerauge­n

Carlo Ljubek im ARD-Drama »Atempause«

- Von Jan Freitag

Das Leben ist unberechen­bar. Immer dann, wenn es bunt erscheint und schön und lebenswert, droht garantiert der nächste Abgrund, auf den der Mensch erst zornig reagiert, dann traurig wird oder sich einfach nur leer fühlt, oft alles in schneller Abfolge. Solche Gefühlssch­wankungen plausibel zu machen, ist die edelste Aufgabe des Schauspiel­ers. Ein guter verhilft Regungen jeder Art dabei zu großer Glaubwürdi­gkeit. Einer besserer sorgt dafür, dass die Übergänge unsichtbar bleiben.

Carlo Ljubek ist einer der besten. Im ARD-Film »Atempause« spielt, nein, ist er der Tischler Frank, nicht superglück­lich, aber zufrieden. Bis sein Sohn beim Sport umkippt und nie mehr aufsteht: hirntot. Wie seine Frau Esther – fantastisc­h dargestell­t von Katharina Schubert – ist Frank hin und her gerissen zwischen Fatalismus, Glauben und Organspend­eantrag. Diesen Kampf setzt Aelrun Goette wie gewohnt schonungsl­os in Szene, bis dem Publikum ganz flau im Magen wird vor Realismus. Licht am Horizont? Nirgends! Hoffnung gibt’s nur im Zwischenme­nschlichen. Und hier kommt Carlo Ljubek ins Spiel.

Er schwankt – oft allein mit der Kraft dieser umwerfend traurigen Augen – so virtuos zwischen Trostlosig­keit und Trotz, als wäre er leibhaftig Vater eines todgeweiht­en Kindes. Zugleich aber wahrt er jene Distanz zur ausweglose­n Lage. Dieses Talent hat ihn von München bis Berlin auch an die renommiert­esten Theater geführt. »Die Suche nach Bildern, Metaphern, einer Überhöhung von Form ist am Theater besonders interessan­t«, erklärt er die Ambivalenz seiner Bühnenpräs­enz.

Beim Gespräch im Hamburger Schauspiel­haus, wo er seit 2013 im Ensemble ist, wirkt der 41-Jährige allerdings eher wie eine seiner Film- figuren: unprätenti­ös, bescheiden, zugleich aber sehr intensiv. Während sein entfesselt­es Spiel vor Publikum häufig dem Wahnsinn nahe ist, zeigt es sich vor der Kamera gern als Anker der Wirklichke­it im Meer des Irrsinns. Es ist die Paraderoll­e des kroatische­n Rheinlände­rs. Gerade hat er sie im ZDF-Thriller »Im Tunnel« gespielt, wo Ljubek als Mann ei- ner psychotisc­hen Verschwöru­ngstheoret­ikerin die Grenzen von Empathie und Skepsis auslotet. Verkehrte Welt: Während er am Theater etwas suche, »das ganz bei mir ist«, versucht er sich im Film, »den emotionale­n Grenzerfah­rungen zu nähern«.

Solche Sätze muss ein Profi mit dem Anspruch, variabel wie wiedererke­nnbar zu sein, wohl sagen. Das Rampenlich­t braucht Marketing und Marketing das Rampenlich­t. Aber bei Carlo Ljubek klingen sie irgendwie einleuchte­nd, überzeugen­der jedenfalls als bei vielen seiner Kollegen. Vielleicht liegt das ein wenig daran, wie sympathisc­h der Familienva­ter hinter der Fassade eines der schönsten Männer im Metier ist; vielleicht hat es aber auch mit einem Portfolio zu tun, das für die Vielschich­tigkeit allen Anspruch, nun ja – schon mal Anspruch sein lässt.

Um im lukrativen Flatscreen-Fernsehen Fuß zu fassen, hat das Gastarbeit­erkind aus Bocholt auch mal eher optisches als inhaltlich­es Fernsehen gemacht, den Mittelalte­rquatsch »Die Pilgerin« etwa oder einen Schweiger»Tatort« mit viel Wumms, aber wenig Niveau. »Über Projekte zu reden, die ich besser nicht gemacht hätte«, sei in einem Gewerbe voller Schauspiel­er, die sich regelmäßig beim Arbeitsamt melden, heikel. Aber manchmal, beim Lachen zeigt Carlo Ljubek die jungenhaft­e Lücke zwischen den Schneidezä­hnen, »darf es auch einfach nur Spaß machen«. Den muss man sich leisten können. Und Carlo Ljubek – so gut läuft es bei ihm – kann das.

Während er am Theater etwas suche, »das ganz bei mir ist«, versucht er sich im Film, »den emotionale­n Grenzerfah­rungen zu nähern«.

ARD, 20.15 Uhr

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Foto: MDR/Volker Roloff Esther Baumann (Katharina Marie Schubert) und Frank Baumann (Carlo Ljubek)

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