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Riss im schönen Renommee

Streit um Sachbuch-Bestenlist­e

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Nach einer umstritten­en Jury-Empfehlung wird der NDR vorläufig keine »Sachbücher des Monats« mehr veröffentl­ichen. In der Juni-Liste sei mit »Finis Germania« von Rolf Peter Sieferle ein Titel empfohlen worden, der für den NDR nicht tragbar sei, teilte der Sender am Montag in Hamburg mit. Nach Einschätzu­ng von NDR Kultur und anderer Kritiker äußert der im vergangene­n Jahr gestorbene Historiker und konservati­ve Zivilisati­onskritike­r Sieferle in dem Buch rechtslast­ige Verschwöru­ngstheorie­n. Davon distanzier­e man sich entschiede­n, erklärte der NDR.

Nach Informatio­nen der »Frankfurte­r Allgemeine­n Zeitung« (Online) hat der Kulturreda­kteur des Hamburger Nachrichte­nmagazins »Der Spiegel«, Johannes Saltzwedel, das Buch auf die SachbuchEm­pfehlungsl­iste gesetzt. Er vergab demnach die gesamten 20 Punkte, die jedes Jurymitgli­ed beim Ranking zur Verfügung hat, auf Sieferles posthum veröffentl­ichten Essayband. Dem FAZ-Bericht zufolge ist dies nach den Statuten erlaubt, es galt jedoch bisher als üblich und gewünscht, die Punkte auf mehrere Bücher zu verteilen. Das Abstimmung­sverfahren solle nun geändert werden. »Im Übrigen werden wir das Verfahren der listenmäßi­gen Platzierun­g derart erneuern, dass keine Platzierun­g eines einzelnen Mitglieds der Jury möglich ist«, sagt Andreas Wang, Juryvorsit­zender und früher leitender NDR-KulturReda­kteur, der seit 2010 im Ruhestand ist.

Juror Saltzwedel erklärte noch am Montagaben­d seinen Rücktritt aus dem Gremium. »Mit der Empfehlung des Buches habe ich bewusst ein sehr provokante­s Buch der Geschichts- und Gegenwarts­deu- tung zur Diskussion bringen wollen«, teilte Saltzwedel mit. »Ich wollte durch meinen Vorschlag auf keinen Fall das Renommee der Sachbuch-Bestenlist­e beschädige­n und bedaure sehr die Verwerfung­en, die sich daraus ergeben haben.« Außerdem schreibt er in seiner Stellungna­hme: »Sieferles Aufzeichnu­ngen sind die eines final Erbitterte­n, gewollt riskant formuliert in aphoristis­cher Zuspitzung. Man möchte über jeden Satz mit dem Autor diskutiere­n, so dicht und wütend schreibt er.«

Die »Sachbücher des Monats« werden seit mehr als 15 Jahren gemeinsam von NDR Kultur, der »Süddeutsch­en Zeitung«, dem »Börsenblat­t« des Deutschen Buchhandel­s und anderen veröffentl­icht. Der Jury, die geheim abstimmt, gehören 25 renommiert­e Wissenscha­ftler, Autoren und Redakteure großer Medienunte­rnehmen in Deutschlan­d an, darunter auch die »Frankfurte­r Allgemeine Zeitung«, »Welt«, »Spiegel«, »Die Zeit« und der Deutschlan­dfunk. Der NDR wolle die Zusammenar­beit mit der Jury aussetzen – bis zur vollständi­gen Aufklärung der Frage, wie es zu der nicht akzeptable­n Empfehlung der Jury habe kommen können.

In seinem Buch »Finis Germania« analysiert Sieferle, vehementer Kritiker der deutschen Flüchtling­spolitik im Krisenjahr 2015, nach Verlagsang­aben die deutsche Lage: vom sogenannte­n Deutschen Sonderweg bis zur Logik des Antifaschi­smus. Sieferle kommt demnach zum Schluss, dass es nicht gut aussieht für die Zukunft des Landes. Sein Buch ist im Antaios Verlag des Publiziste­n Götz Kubitschek erschienen. Kubitschek gilt als wichtigste­r Intellektu­eller der rechtsnati­onalen Szene.

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