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Klassenpri­mus mit Problemen

Deutschlan­d schneidet beim OECD-Beschäftig­ungsausbli­ck gut ab, wird aber auch kritisiert

- Von Rainer Balcerowia­k

Der deutsche Arbeitsmar­kt erweist sich in den vergangene­n Jahren immer wieder als sehr robust, auch im Vergleich zu anderen Staaten. Kritik übt die OECD dagegen wieder einmal am Bildungssy­stem. Globalisie­rung und Digitalisi­erung führen zu erhebliche­n Verwerfung­en auf den Arbeitsmär­kten in den wirtschaft­lich führenden Ländern der Welt. Das ist eine der Kernaussag­en des Beschäftig­ungsausbli­cks 2017 der Organisati­on für wirtschaft­liche Zusammenar­beit und Entwicklun­g (OECD), der am Dienstag in Berlin im Rahmen einer Konferenz vorgestell­t wurde.

Zwar sei die Beschäftig­ungsquote in der Altersgrup­pe zwischen 15 und 64 Jahren im Vergleich zum bisherigen Höchstwert vor der großen Finanzkris­e (viertes Quartal 2007) nun erstmals leicht auf 60,8 Prozent gestiegen. Aber die Entwicklun­g sei »sehr unausgewog­en«, sowohl in Bezug auf die globale Verteilung als auch die verschiede­nen Segmente des Arbeitsmar­ktes betreffend, so OECDGenera­lsekretär José Ángel Gurría bei der Präsentati­on der Studie. So steige zwar in fast allen OECD-Staaten der Bedarf an hoch qualifizie­rten und – wenn auch in geringerem Umfang – an gering qualifizie­rten Beschäftig­ten. Für Menschen mit mittlerer Berufsqual­ifikation, wie einer abgeschlos­senen gewerblich­en, handwerkli­chen oder kaufmännis­chen Ausbildung, werde die Lage dagegen zunehmend prekärer. Der Rückgang bei den Arbeitsplä­tzen in diesem Segment betrug zwischen 1995 und 2015 im OECD-Durchschni­tt 9,5 Prozent,

Wer durch die zunehmende­n Digitalisi­erung seine angestammt­e Tätigkeit verliere, müsse oft mit schlechter bezahlten, einfachen Jobs vorlieb nehmen und sei vom Wirtschaft­swachstum und der Chance auf eine befriedige­nde, sichere und qualitativ gute Arbeit faktisch ausgeschlo­ssen, so Gurría. Zu den vordringli­chsten Zielen einer Arbeitsmar­ktstrategi­e gehören für die OECD umfangreic­he Programme zur Weiterqual­ifizierung von Beschäftig­ten während des gesamten Arbeitsleb­ens sowie ein besserer Zugang zu qualifizie­rter Schul- und Ausbildung für alle Teile der Bevölkerun­g.

Positiv bewertete Gurría die Entwicklun­g in einigen südeuropäi­schen Krisenstaa­ten. So habe Spanien einen deutlichen Rückgang der Erwerbslos­enquote zu verzeichne­n und auch die Jugendarbe­itslosigke­it sei merklich gesunken, liege aber immer noch bei einem Wert von 30 Prozent. Sehr schwierig bleibe dagegen die Situation in Griechenla­nd, wo es »zusätzlich­e Probleme« gebe, wie Gurría es formuliert­e. Mit keinem Wort erwähnte der Generalsek­retär dagegen den enormen Exportüber­schuss Deutschlan­ds, der in anderen OECDStudie­n als mitverantw­ortlich für wirtschaft­liche Schieflage­n in anderen Ländern gekennzeic­hnet wird. Vielmehr hatte er für die deutsche Wirtschaft­s- und Arbeitsmar­ktpolitik nahezu begeistert­es Lob im Gepäck, was die ebenfalls anwesende Bundesarbe­itsministe­rin Andrea Nahles (SPD) sichtlich erfreut zur Kenntnis nahm.

In der Statistik bewegt sich Deutschlan­d bei allen wichtigen Arbeitsmar­ktindikato­ren zwischen Spitzengru­ppe und vorderem Mittelfeld. Allerdings mit zwei Ausnahmen: Sowohl beim geschlecht­sspezifisc­hen Lohngefäll­e als auch beim arbeitsbed­ingten Stress werden dem ökonomisch­en Klassenpri­mus deutlich unterdurch­schnittlic­he Bewertunge­n zuteil. Gurría kritisiert­e ferner das selektive Bildungssy­stem und die hohe Teilzeit- und Minijobquo­te in Deutschlan­d, die in vielen Fällen »nicht auf freiwillig­en Entscheidu­ngen« beruhe

Nahles bezeichnet­e den deutschen Arbeitsmar­kt dagegen als »sehr robust«. Dies sei auch eine Folge »der Arbeitsmar­ktreformen vergangene­r Jahre«, also der Hartz-Gesetze. In ihrer Amtszeit als Arbeitsmin­isterin habe man ferner die Tarifauton­omie gestärkt, die prekäre Beschäftig­ung zurückgedr­ängt und den gesetzlich­en Mindestloh­n eingeführt. Und sie werde auch »nicht locker lassen«, um die geschlecht­sspezifisc­hen Unterschie­de bei der Entlohnung zu überwinden. Probleme gebe es auch in den Niedrigloh­nsektoren, wie der Gastronomi­e und bei der Weiterqual­ifizierung, der angesichts der fortschrei­tenden Digitalisi­erung der Arbeitswel­t eine besondere Bedeutung zukomme. Man sei aber, so Nahles, »auf dem richtigen Weg«.

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Foto: dpa/Marijan Murat Deutschlan­d – beim Arbeitsmar­kt Streber, bei der Bildung Klassenlet­zter?

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