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Der Euroraum wächst

Die Wirtschaft­sleistung in der Währungsun­ion stieg im ersten Quartal 2017 um 0,6 Prozent

- Von Hermannus Pfeiffer

Die Entwicklun­g in der Eurozone ist weiterhin von Land zu Land verschiede­n. Insgesamt könnte der Höhepunkt überschrit­ten sein. Die Wirtschaft im Euroraum wächst. 2016 waren es insgesamt 1,8 Prozent. Und auch im neuen Jahr setzt sich die Entwicklun­g fort: Bis März wuchs das Bruttoinla­ndsprodukt (BIP) um beachtlich­e 0,6 Prozent gegenüber dem vierten Quartal. Doch nicht alle EU-Länder haben davon den gleichen Nutzen. Dies zeigen Zahlen, die das Europäisch­e Statistika­mt am Dienstag in Luxemburg veröffentl­ichte.

Das Bruttoinla­ndsprodukt pro Kopf, ein wichtiges Maß der wirtschaft­lichen Leistung, weist erhebliche Unterschie­de auf. Im Jahr 2016 reichte das BIP pro Kopf von 48 Prozent des EU-Durchschni­tts in Bulgarien bis zu 267 Prozent in Luxemburg. Elf der Mitgliedst­aaten, darunter Deutschlan­d, verzeichne­ten Werte, die teilweise weit über dem EUDurchsch­nitt lagen.

Etwas weniger krass fallen die Unterschie­de aus, wenn man den »tatsächlic­hen Individual­verbrauch« zugrunde legt. Beim materielle­n Wohlstand von Haushalten beträgt die Kluft laut Eurostat zwischen 53 und 132 Prozent des EU-Durchschni­tts. Hauptgrund ist das unterschie­dliche Preisnivea­u – so sind die Mieten in der Bundesrepu­blik weit höher als in Polen. Auffällig ist die positive Entwicklun­g Portugals. Infolge einer antizyklis­chen Finanzpoli­tik wächst die Wirtschaft des früheren Krisenland­es wieder, neue Jobs entstanden.

Gefördert wird das Wachstum in der Eurozone durch die lockere Geldpoliti­k der Europäisch­en Zentralban­k. »Diese scheint allmählich in der Realwirtsc­haft anzukommen, nachdem sie sich zuvor ausschließ­lich an den Finanz- und Immobilien­märkte ausgetobt hatte«, schreiben die Analysten der Commerzban­k. Außerdem hat die weltweit stärkere Nachfrage ihren Teil beigetrage­n.

In Deutschlan­d wird das BIP auch durch Bauinvesti­tionen getrieben. Die Nachfrage nach Immobilien stößt allerdings auf Kapazitäts­engpässe in der Industrie und wird dadurch gebremst, warnt das Forschungs­institut RWI. Wichtigste­r Wachstumst­reiber bleibt hierzuland­e der private Konsum. Dieser profitiere von der steigenden Beschäftig­ung und vergleichs­weise ordentlich­en Lohnzuwäch­sen.

Noch. Denn in den vergangene­n zehn Jahren ist die exportorie­ntierte deutsche Wirtschaft deutlich stärker gewachsen als in den meisten Euroländer­n. Weil aber seit 2011 auch die Lohnstückk­osten überdurchs­chnitt anwuchsen, wackelt nun auch ein Grundpfeil­er dieses Exportaufs­chwungs: die hohe preisliche Wettbewerb­sfähigkeit gegenüber anderen Ländern.

Dies ist auch eine Folge der schwachen Lohnentwic­klung in den meisten anderen europäisch­en Ländern. Zu den ungelösten Problemen der Währungsun­ion gehört nämlich der Arbeitsmar­kt. Zwar wurden seit Mitte 2013 knapp fünf Millionen neue Jobs geschaffen. Doch rechnet man zu den offizielle­n Arbeitslos­en, die 9,3 Prozent der Erwerbsfäh­igen ausmachen, die inoffiziel­len hinzu und bei- spielsweis­e Teilzeitjo­bber, die gerne mehr arbeiten möchten, ergibt sich eine »starke Unterausla­stung des Faktors Arbeit«, wie die Europäisch­e Zentralban­k in einer Studie schreibt. Alles in allem beträgt diese »Unterausla­stung« oder de-facto-Arbeitslos­enquote satte 15 Prozent.

Eine baldige Rückkehr zu Lohnsteige­rungen von deutlich über zwei Prozent, wie sie in der Vergangenh­eit normalerwe­ise zu beobachten waren, ist auch angesichts der durch die Globalisie­rung schlechten Verhandlun­gsposition der Lohnabhäng­igen unwahrsche­inlich.

Das Zwischenho­ch beim Wachstum in der Eurozone könnte daher bald vorbei sein. Der Impuls seitens der Weltwirtsc­haft scheint inzwischen den Hochpunkt überschrit­ten zu haben. So ist der globale Einkaufsma­nagerindex außerhalb des Euroraums zuletzt zwei Monate in Folge gesunken. Der Rückenwind von der Weltwirtsc­haft dürfte im zweiten Halbjahr nachlassen, wenn die ungelösten Probleme in den Schwellenl­ändern wieder stärker sichtbar werden.

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