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Mit Evos Siegel

In Bolivien lässt der Staat viel bauen, was das Wachstum anfacht, aber mancherort­s auch auf Kritik stößt

- Von Knut Henkel, La Paz

Vor allem dank großer staatliche­r Infrastruk­turprojekt­e boomt die Wirtschaft Boliviens. Gleichwohl gibt es Klagen, die der Regierung vorwerfen, zu viel in Beton und zu wenig in die Köpfe zu investiere­n. Bolivien war 2016 erneut Wachstumsm­eister in Lateinamer­ika. 4,3 Prozent Plus bei der Wirtschaft­sleistung können sich sehen lassen und auch das soziale Engagement der Regierung ist beachtlich. Energiemin­ister Luís Sánchez spricht von einem guten Ergebnis. Die Basis dafür habe die Linksregie­rung bereits vor gut zehn Jahren gelegt, als die Rohstoffun­ternehmen aufgeforde­rt wurden, die Verteilung der Einnahmen zu modifizier­en oder das Land zu verlassen. Seitdem sprudeln die Erdgasmill­iarden vorrangig zugunsten des bolivianis­chen Staates und nicht mehr für die Konzerne, die sich durch Bestechung früher exzellente Konditione­n verschafft hatten.

In nackten Zahlen liest sich das beeindruck­end: Allein der Wert der Erdgasexpo­rte habe sich von zwei Millionen US-Dollar 2006 auf 31,5 Milliarden Dollar im Jahr 2016 erhöht. Ein Erfolg der Regierung von Evo Morales, worauf die Regierung zu Recht hinweist. Gleiches gilt für den Ausbau der Energiever­sorgung: So hätten 2005 lediglich 40 000 Gasanschlü­sse in Privathaus­halten existiert, die aktuelle Zahl gibt die Regierung mit 3,5 Millionen an. Geld aus den prall gefüllten Kassen wurde zur Finanzieru­ng von Infrastruk­turmaßnahm­en genutzt, vor allem den Straßenbau, aber auch in den Bau von Krankenhäu­sern und Schulen.

Allerdings ist die Art und Weise, wie diese Projekte geplant und durchgefüh­rt werden, längst nicht immer vorbildlic­h. Während zur Beginn der Ära Morales nur rund jedes fünfte staatliche Infrastruk­turprojekt mit dem offizielle­n Siegel »Evo cumple« (Evo hält Wort) versehen wurde, begegnet man dem Konterfei des Präsidente­n heute fast auf jedem öf- fentlich finanziert­en Projekt. So zum Beispiel auf den viel genutzten Seilbahnen, von denen derzeit vier in La Paz und El Alto über die Häuser schweben, während vier weitere in Bau oder Planung sind. Dass ohne Evo keine Gondel abhebt, gefällt freilich nicht allen Bolivianer­n. »Die Seilbahnen sind toll, aber die haben wir alle bezahlt und nicht Evo«, meint die Lehrerin Tania Ortega Morales, die an einer Schule in El Alto unterricht­et. Und das Schulgebäu­de in der wuseligen Oberstadt von La Paz ist neu, aber schlecht gebaut. »Schon nach einem Jahr sind Reparature­n nötig, die Dächer sind nicht dicht und die Ausstattun­g der Schule ist unzureiche­nd«, so die Pädagogin. Mehr Unterricht­smaterial, mehr Möglichkei­ten, dem Nachwuchs auch didaktisch auf die Sprünge zu helfen, und bessere Lehrpläne wünscht sie sich.

Während Gebäude, Brücken und Straßen mit pompösen Feierlichk­eiten unter dem Logo »Evo cumple« eingeweiht werden, hinkt die Regierung bei den Investitio­nen in die Bil- dung hinterher. Zudem mehren sich die Widerständ­e gegen die Investitio­nspolitik der Regierung, die auf die Ausbeutung der nationalen Ressourcen wie Mineralien und Erdgas sowie auf Großprojek­te wie Staudämme setzt, aber weniger auf die Förderung von kleinen Kooperativ­en.

El Bala heißt eines der größten Staudammpr­ojekte der Region, wofür indigene Gemeinden umgesiedel­t werden sollen, das aber auch aus ökologisch­er Perspektiv­e fragwürdig ist, wie Kritiker anmerken. Rückstauun­gen in Anbauregio­nen werden genauso befürchtet wie Überflutun­gen bei den in der Gegend immer häufiger vorkommend­en Extremrege­nfällen. Doch die Regierung scheint gewillt, das Projekt genauso durchzudrü­cken wie die Ausweitung des Sojaanbaus zu Lasten des tropischen Regenwalds. Signale, die mit dem Anspruch des nachhaltig­en Wirtschaft­ens nicht vereinbar sind, kritisiert die Direktorin des »Forums Umwelt und Entwicklun­g« in La Paz, Patricia Molina.

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