»First we take Manhattan...«
Mit der Municipal-Bewegung entern ehemalige Protestler die Rathäuser
»Furchtlose Städte«: Beim Munizipalismustreffen in Barcelona diskutierten am Wochenende PolitikerInnen und AktivistInnen, wie sie Städte und Gemeinschaften umkrempeln können. Aus den Lautsprechern tönt Leonard Cohens Hymne »First we take Manhattan, than we take Berlin«, ein entspanntes Publikum genießt den lauen Frühsommerabend, und auf der Bühne versprühen die Bürgermeisterinnen Ada Colau und Manuela Carmena demonstrativen Optimismus. Gemeinsam eröffnen sie das erste internationale Munizipalismustreffen. »Nur über konkrete Projekte, über eine Politik des Alltags können wir Antworten auf die großen Probleme finden«, sagt Barcelonas Bürgermeisterin Colau; die Amtskollegin aus Madrid setzt nach: »Als Städte können wir die Welt verändern.«
Auf die Reden folgt der Reality Check: Zwei Tage lang diskutieren 700 Aktivisten und Politiker aus 180 Städten munizipalistische Konzepte. Wie können Kommunen gegen Klimawandel, Korruption und Gentrifizierung kämpfen? Denn egal, wie unterschiedlich die Lebensbedingungen in Vancouver und Valparaiso, in Hongkong und Attica auch sein mögen: Die Probleme, denen sich die Städte stellen müssen, sind die gleichen. Das ist zumindest die Ausgangsthese des ersten internationalen Treffens der »fearless cities«, der furchtlosen Städte.
Dass ausgerechnet die »Barcelona en Comú« das Treffen organisiert hat, ist kein Zufall. In Spanien ist die Munizipalbewegung besonders stark. Der Politisierungsschub durch die Empörtenbewegung hat bei den Kommunalwahlen vor zwei Jahren in einem knappen Dutzend großer Städte Sozialaktivisten an die Macht gebracht und so das starre spanische Zwei-Parteien-System aufgebrochen.
In der auf Francos Tod folgenden Zeit der »Transition« war Politik in Amtsstuben und Institutionen delegiert worden, die nicht die Bedürfnisse der Bürger ins Zentrum stellten, so Iago Martínez, Ratsvorsitzender aus dem galizischen A Coruña. »Mit der Krise brachen die Unzulänglichkeiten auf, die Politik der Nähe wurde zur puren Notwendigkeit«, so Martinéz. In seiner Stadt war die Armut unter der Regierung der konservativen Partido Popular um 54 Prozent gestiegen. Doch dann strukturierte die neue Stadtregierung mit einem bewegungsnahen Bürgermeister an der Spitze den Haushalt um, entwickelte eine kommunale Sozialrente und diverse Beschäftigungsinitiativen. Nun ist A Coruña spanienweit die Stadt, die Armut am schnellsten abbaut. »Wir haben einfach andere Prioritäten gesetzt«, so Martínez.
Anderes Beispiel: In Belo Horizonte in Brasilien etwa haben StadträtInnen der Munizipalbewegung Muitas »Verstärkungsgruppen« eingerichtet: In offenen Beiräten entwickeln Betroffene Maßnahmen zu Themen wie Straßenhandel, Wohnungsnot oder indigene Beteiligung, die dann vom Stadtrat in konkrete Politik umgesetzt werden sollen.
Die »furchtlosen Städte« sind immer auch Laboratorien, in denen politische Rezepte ausprobiert werden können. Nur durch solche partizipatorischen Ansätze könne der Einfluss der Privatwirtschaft auf die Lokalpolitik zurückgedrängt werden, so der Tenor der Veranstaltung. Dabei geht es den Munizipalisten nicht allein um simple »Bürgernähe« oder um die – notwendige – Befriedigung essenzieller Bedürfnisse. Die Munizipalisten wollen über partizipative Prozesse kommunale Gemeinschaften zum politischen Subjekt erheben.
Während drinnen Delegierte aus Berlin, Barcelona, Lissabon über Gentrifizierung und den Umgang mit der Online-Plattform Airbnb debattieren, schwenken vor dem Tagungsgebäude 3000 Menschen Plakate gegen den »Ausverkauf Barcelonas«, gegen Massentourismus und steigende Immobilienpreise. Barcelonas Stadträtin Gala Pin ruft zur Teilnahme an der Demonstration auf. Dass sich der Protest zum Teil auch gegen ihre eigene Stadtverwaltung richtet, die sich dem Vorwurf ausgesetzt sieht, nicht hart genug durchzugreifen, nimmt sie in Kauf. Munizipalisten müssen so etwas aushalten.