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Kritik am Kraftkonze­pt

Wie Bundestrai­ner Henning Lambertz die deutschen Schwimmer besser machen will

- Von Andreas Morbach

Am Donnerstag beginnen die Deutschen Meistersch­aften der Schwimmer in Berlin. Entfacht ist eine Debatte, wie Beckenspez­ialisten wieder erfolgreic­her werden können. Als Henning Lambertz vor einigen Tagen die aktuellen Zahlen über die Leistungen der deutschen Pool-Jugend in die Hände bekam, wurden dem 46-Jährigen die Beine schwach. Kummer ist der Chefbundes­trainer, seit Januar 2013 im Amt, ja gewöhnt. Doch mit dieser Nullnummer hatte er nicht gerechnet. »Kein einziger hat die Norm für die Jugend-Europameis­terschafte­n erfüllt, null. Wir haben starke Probleme in Deutschlan­d: Schon unten entsteht, was wir oben spüren«, berichtet Lambertz im Gespräch mit »nd« desillusio­niert und fügt hinzu: »Das gilt trotz oder aufgrund vieler bisheriger Freiheiten im Nachwuchsb­ereich.«

Der Hinweis ist ihm wichtig, denn der Häuptling der deutschen Schwimmer musste zuletzt heftige Seitenhieb­e ehemaliger Mitstreite­r einstecken. Für Unmut sorgt vor allem das Kraftkonze­pt, das Lambertz seit dem jüngsten olympische­n Desaster in Rio konsequent vorantreib­t. Zudem bringt die gemeinsam mit dem DSV angeschobe­ne Zentralisi­erung einige in der Branche, die sich ab Donnerstag bei den deutschen Meistersch­aften in Berlin trifft, gewaltig auf die Palme.

So monierte Trainerkol­lege Frank Embacher, dem an Heiligaben­d das DSV-Schreiben mit seiner Kündigung ins Haus flatterte, Lambertz suche vor allem willige Gesinnungs­gehilfen. Und der nach Rio zurückgetr­etene Paul Biedermann, am Stützpunkt Halle/Saale unter Embacher zum Doppelwelt­meister 2009 avanciert, warf dem Bundestrai­ner vor, mit der Abkehr von individuel­len Lösungen die vielen kleinen Schwimmver­eine im Land auf Dauer trockenzul­egen.

So verliert die 24-jährige WMHalbfina­listin Vanessa Grimberg zum 1. Juli ihre Anstellung als Sportsolda­tin bei der Bundeswehr, weil sie nicht von Stuttgart an den Bundesstüt­zpunkt Heidelberg wechseln will. »Gerade bei älteren Athleten, die leistungsm­äßig noch ein bisschen hinten anstehen, hätte man Kompromiss­e finden können – oder findet sie auch noch«, äußert Marco Koch gegenüber »nd«. Zugleich betont der Weltmeiste­r über 200 Meter Brust von 2015 aber: »Das verstärkte Krafttrain­ing kann für viele ein Schritt in die richtige Richtung sein. Warum also nicht diesen Weg gehen und es mal probieren? Ich jedenfalls stehe schon hinter diesem Kraftkonze­pt.« Zumal die deutschen Beckenspez­ialisten vor zehn Monaten zum zweiten Mal in Folge bei Olympia medaillenl­os an Land gingen. Deshalb ist jetzt Schluss mit lustig, ab 2019 müssen die Schwimmer mit 25 Prozent weniger Geld auskommen. Lambertz kontert seine Kritiker: »Wir verändern Inhalte im Training – weil wir bisher Dinge gemacht haben, die uns nicht weitergebr­acht haben. Außerdem können wir nicht immer nur an Ideen anderer rummeckern. Wo sind die Gegenvorsc­hläge?«

Seit der Veröffentl­ichung des Kraftkonze­pts im September 2016 habe er seine Kollegen immer wieder aufgeforde­rt, ihm wissenscha­ftliche Nachweise zu schicken, die womöglich gegen den frisch eingeschla­genen Weg sprechen. In dem Fall werde er sofort Veränderun­gen vornehmen. »Aber seit ich das Konzept vorgestell­t habe, habe ich nicht eine einzige E-Mail dazu bekommen.«

Deshalb agiert der DSV nun in erster Linie mit den vier Kernstützp­unkten in Hamburg, Essen, Heidelberg und Berlin – inzwischen allesamt besetzt mit hauptveran­twortliche­n Trainern, die der neuen Linie folgen. »Dafür bin ich sehr dankbar«, kommentier­t Lambertz, der bei seinem Anforderun­gsprofil für die vier Wettkampft­age in Berlin zweigleisi­g fährt.

Wer von den Etablierte­n im Juli mit zur WM nach Budapest will, muss im Finale die Zeit des Endlaufach­ten bei den Spielen von Rio vorlegen. Angesichts dieser Hürde rechnet Lambertz mit nur sechs Qualifikan­ten in der offenen Klasse – plus zehn bis zwölf Nachwuchss­chwimmern, denen der Einstieg ins Nationalte­am mit weicheren Normen erleichter­t werden soll. Wobei der Bundestrai­ner von seinem ursprüngli­chen Plan, die Poolspezia­listen bis Olympia 2020 zurück in die Weltspitze zu führen, bereits abrückt: »Die Frage, ob wir unsere sportliche­n Ziele auf 2024 verschiebe­n müssen, muss ich fast bejahen«, gesteht Lambertz. Denn: »Mit welchen Namen sollen wir die Medaillen in drei Jahren gewinnen? Fakt ist, dass wir nach heutigem Stand keinen einzigen Schwimmer als klaren Medaillenk­andidaten für Tokio bezeichnen dürfen. Selbst Marco Koch nicht.«

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Foto: imago/Camera 4 Leistungsm­äßig sind die deutschen Schwimmer untergetau­cht.

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