Visionen eines freien Menschseins
Bei den 40. Dresdner Musikfestspielen konnte sich die sensible Akustik des neuen Konzertsaals im Kulturpalast bewähren
Licht als Leitmotiv der Dresdner Musikfestspiele zieht sich wie ein Cantus firmus durch die rund 60 Veranstaltungen des 40. Jahrgangs. »Licht ist das Lebenselixier der Menschheit, es ist aber auch ein Symbol für Aufklärung, Freiheit, Transparenz und Energie«, begründet Jan Vogler, Intendant des Festivals, die Wahl des Mottos. Wieder einmal ist Dresden zu einem Treffpunkt renommierter Orchester, Dirigenten und Solisten geworden.
Vielversprechend war schon das Eröffnungskonzert mit der Philharmonia Zürich im Mai, das ein Wiedersehen brachte mit Anne-Sophie Mutter und dem früheren Dresdner Generalmusikdirektor Fabio Luisi. Dass die berühmte Geigerin das von lichterfüllten Momenten geprägte
1. Violinkonzert von Max Bruch beseelt gestalten würde, war zu erwarten. Verdienstvoll aber vor allem ihr Engagement für des Japaners Toru Takemitsu (1930 – 1996) Opus »Nostalghia« für Violine und Streichorchester, das er 1987 für den gleichnamigen Film von Andrei Tarkowski geschrieben hat. Wobei Elemente fernöstlicher Musiktradition und solche der europäischen Avantgarde miteinander korrespondieren und die Interpretation fahl schimmernde Lichtpunkte aufscheinen ließ.
Dem Festival bezüglich exzellenter Orchesterkultur und innovativer Programmdramaturgie angemessen – so erlebte man das Gastspiel des London Philharmonic Orchestra unter Vladimir Jurowski. Von Michail Glinkas »Erinnerungen an eine Sommernacht in Madrid« über Sergej Prokofjews selten gebotenes Cellokonzert op. 58 (phänomenaler Solist: Steven Isserlis) bis hin zu Dmitri Schostakowitschs Schwanengesang seiner zwischen Licht und Schatten pendelnden
15. Sinfonie reichte die Programmpalette.
Wie viele lichte Naturepisoden und hymnische Momente begegnen uns in Bedrich Smetanas »Mein Vaterland«! Naheliegend, den sinfonischen Zyklus zu präsentieren. Zumal mit der Tschechischen Philharmonie und Petr Altrichter für diese Literatur höchst kompetente Gäste zur Stelle waren.
In welchem Maß die hervorragende Akustik des neuen Konzertsaals im Kulturpalast die ambitionierten Programme der Dresdner Philharmonie befördert, zeigten auch die Konzerte dieses Hausorchesters. Chefdirigent Michael Sanderling konfrontierte Schostakowitschs 12. Sinfonie »Das Jahr 1917« mit Mozarts d-Moll-Klavierkonzert KV 466 (vorzüglicher Solist: Herbert Schuch).
Auch mit Marek Janowski, dem ehemaligen philharmonischen Chef, gab es ein Wiedersehen bei zwei Programmformaten. Vermochte der Maestro in einer Matinee mit dem Philharmonischen Kammerorchester bei Igor Strawinskys neoklassizistischem »Concerto in re« und Arnold Schönbergs »Verklärter Nacht« die transparente Gestaltungsfähigkeit des Ensembles zu betonen, so hatte er mit Gustav Mahlers gewaltiger 6. Sinfonie, der »Tragischen«, im großen Philharmonischen Konzert ein schwergewichtiges Werk zu stemmen, das mit seiner monumentalen Orchesterarchitektur zugleich ein Prüfstein für die sensible Akustik des Saales war. Wie die Musiker im Kopfsatz inmitten der unaufhaltsam vorwärtsstrebenden Marschimpulse gleichwohl eine pastorale Idylle als Vision eines freien Menschseins gestalteten, war faszinierend. Ein Zukunftstraum angesichts der zur Entstehungszeit des Werkes um 1903/04 bereits sich abzeichnenden gesellschaftlichen Kataklysmen.
Ehrensache, dass auch die Sächsische Staatskapelle, geleitet von Da- niel Harding, im Festspielreigen einen markanten Akzent setzte. Im Zentrum ihres Konzertes standen Mahlers »Kindertotenlieder«, die der Tragik der Texte Friedrich Rückerts eine Hoffnungsvision entgegenstellen. Der hervorragende Bariton Matthias Goerne deutete den schmerzli- chen Ausdruck der Gesänge feinsinnig aus. Kaum ein Opus von größerem Kontrast hierzu möglich als Antonín Dvořáks 8. Sinfonie. Welch facettenreichen Bogen, sich spannend vom pastoralen Auftakt bis hin zum majestätischen Finale, gestaltete da das Meisterorchester.
Bei der Orientierung der Festspiele auf kompositorische Lichtgestalten fiel der Blick auch auf Hanns Eisler und dessen Kantate »Die Mutter«. Eine signifikante Unternehmung in Kooperation mit der Dresdner Singakademie, die an den 100. Jahrestag der Oktoberrevolution erinnerte. Bertolt Brechts Dramatisierung von Gorkis Roman »Die Mutter« erlebte 1932 in Berlin ihre Uraufführung. Eine Chronik der russischen Revolution, in deren Mittelpunkt die Arbeiterwitwe Pelagea Wlassowa steht. Zunächst ihren Sohn Pawel vor jeglicher politischer Agitation bewahrend, reift sie schließlich an dessen Seite zur aktiven Kampfgefährtin heran, und sie setzt das Vermächtnis des Sohnes auch nach dessen Tötung fort.
Eislers Bühnenmusik, bedeutsames Dokument für den mitreißenden Gestus seiner »Kampfmusik«-Phase, vermochte durch ihre Schlichtheit, andererseits durch höchste Kunstfertigkeit zu beeindrucken. Die Kantatenfassung des Werkes, die das dramatische Geschehen durch Dialoge und Berichte ersetzt, beschränkt sich im Gegensatz zur Orchesterversion der Bühnenfassung auf zwei begleitende Klaviere. Erstmals 1935/36 in New York vorgestellt, lag sie nun der Dresdner Aufführung zugrunde.
Nicht eine Klangillustration hatte Eisler im Sinn, vielmehr wollte er die Handlung durch jeweils eingeschobene Vokalsätze kommentieren. Es fasziniert immer wieder, wie nahtlos in manchen Vokalsätzen (etwa »Lob des Kommunismus«) Rezitativ und Arie zu einer Einheit verschmelzen, dabei Eislers Vortragsanweisung »freundlich« Ausdruck verleihend. Während im »Lob eines Revolutionärs« Solo, Instrumentalzwischenspiele und Chorpartien sich von der Deklamation bis zum Marschlied steigern. Ein höchst engagiertes Ensemble hatte Dirigent Ekkehard Klemm um sich versammelt – die Mezzosopranistin Elisabeth Holmer, den Bariton Georg Streuber und den Sprecher Olaf Bär sowie die Dresdner Singakademie und die Pianisten Michael Schütze und Alberto Menjon.
Die Festspiele laden noch bis zum Sonntag zu weiteren Veranstaltungen ein. Den Schlusspunkt setzt die konzertante Aufführung von Beethovens »Leonore« mit dem Dresdner Festspielorchester unter Ivor Bolton.
Bei der Orientierung auf kompositorische Lichtgestalten fiel der Blick auch auf Hanns Eisler und dessen Kantate »Die Mutter«.