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Das McKinsey-Massaker

Im Kino: Greg McLeans blutige Farce »Das Belko Experiment«

- Von Tobias Riegel

Das ist wahre Entfremdun­g: Was die internatio­nal tätige Belko-Corporatio­n genau macht, wissen nicht einmal die Angestellt­en. Die sitzen in einem abgelegene­n Bürokomple­x in Bogota (Kolumbien) und denken, sie arbeiten für eine gemeinnütz­ige Firma, die USUnterneh­men unterstütz­t, US-Mitarbeite­r für ihre Filialen in Südamerika zu rekrutiere­n. Wenn der allzu menschlich­e Irrsinn in Greg McLeans blutiger Büro-Horror-Farce »Das Belko Experiment« Fahrt aufgenomme­n hat, werden sich die Mitarbeite­r immer wieder fragen: Warum sind sie nicht schon viel früher stutzig geworden, angesichts fragwürdig­er und sinnloser Tätigkeite­n und allgemein undurchsch­aubarer Vorgänge in der Firma? Die Gründe für ein Abfinden mit grotesken bis illegalen Zuständen sind hier die gleichen wie auch in zahllosen »normalen« kapitalist­ischen Betrieben: weil das Geld stimmte und der Druck hoch war. In der Realität reicht oft schon Letzteres.

McLean hat ein Drehbuch des neuen Tausendsas­sas Hollywoods, James Gunn, verfilmt. Gunn (»Guardians Of The Galaxy« – Buch und Regie) hat gerade das Superhelde­n-Genre mit schrillem Witz und schräger Originalit­ät aufgeladen. In »Das Belko Experiment« wählt er dagegen meist den ernsten, zynischen Tonfall – und trifft ihn oft, was nicht einfach ist bei einem Szenario, in dem plötzlich Köpfe explodiere­n oder der biedere Sachbearbe­iter vom Nachbartis­ch zum kalten Killer wird. Das war wohl die größte Herausford­erung für McLean und Gunn: die Ideen nicht permanent zu überspitze­n und ihnen dadurch die Schärfe zu nehmen, also in einem durchgekna­llten Rahmen (relativ) ernst zu bleiben, ohne dass das lächerlich, aufgesetzt oder belehrend wirkt. Die zweite Hürde war das riesige Ensemble, innerhalb dessen die Individuen greifbar gemacht werden mussten. Beides gelingt, teils mit großen Abstrichen.

Als das Belko-Personal eines Morgens zur Arbeit kommt, sind die ohnehin drakonisch­en Sicherheit­smaßnahmen nochmals verschärft, die Menschen werden penibel gefilzt, Nicht-US-Amerikaner werden rüde abgewiesen. Der mittlere Angestellt­e Mike (John Gallagher Jr.) schluckt das trotz Befremden und taucht wie immer ein in die internatio­nal angegliche­ne Sachbearbe­iter-Routine, bestehend aus dem Schreiben von E-Mails, dem Knüpfen von männlichen Seilschaft­en und dem Flachlegen einer Kollegin. Doch dann fahren die Stahlwände vor die Fenster. Innerhalb von Sekunden ist das Hochhaus hermetisch abgeriegel­t, aus der Lautsprech­eranlage erschallen gruselige Anweisunge­n: Wenn nicht innerhalb einer halben Stunde zwei Mitarbeite­r tot sind, werden vier sterben. Ein Scherz? Vier explodiere­nde Köpfe belegen kurze Zeit später den blutigen Ernst der Lage. Nach dieser Machtdemon­stration werden die »Aufgaben« gesteigert: Von den 80 verblieben­en Angestellt­en müssen in einer Frist 30 sterben, egal wie, oder alle werden dran glauben müssen.

Die nun entstehend­en Gruppendyn­amiken sind das eigentlich­e Thema des Films. Wird man schon zum Unmenschen, wenn man nur laut überlegt, dass 30 Tote besser sind als 80? Wer wird schnell und nur allzu bereitwill­ig zum Schlächter, wer hält die Menschlich­keit am längsten hoch? Und so bietet der Film sowohl »philosophi­sche« Debatten als auch an Verbrechen deutscher Einsatzgru­ppen in Osteuropa während des Zweiten Weltkriegs erinnernde, eiskalte Massenersc­hießungen. Zur Disziplini­erung haben die Versuchska­ninchen Sprengkaps­eln im Kopf – angeblich Peilsender für den Fall einer Entführung.

Was Gunn und McLean hier ausbreiten, ist das in die endgültige Perversion getriebene, ohnehin schon perverse McKinsey-Prinzip der rücksichts­losen Maximierun­g menschlich­en/unmenschli­chen Potenzials. Hier wird der Kampf ums (nicht nur berufliche) Überleben zudem noch mit einem für die sadistisch­en Organisato­ren sehr unterhalts­amen Gladiatore­n-Kampf verbunden. Und am Schluss, so ist zumindest der Plan, sind die Schwachen nicht nur aussortier­t, sondern auch gleich komplett (und ohne Sozialplan) entsorgt. Die Überlebend­en dagegen sind nicht nur durch die Extremsitu­ation gestählt, sondern durch die Verbrechen, die sie zum Überleben begehen mussten, auch noch erpressbar und dadurch Wachs in den Händen ihrer Herren.

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Foto: Kinostar John C. McGinley spielt einen finsteren Büro-Kämpfer

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