»Unsere Parteitage sind zuweilen unberechenbar«
Der Basisgrüne Karl-Wilhelm Koch will schärfere Bedingungen für eine Regierungsbeteiligung seiner Partei im Bund durchsetzen
Herr Koch, Sie haben einen Antrag an die Bundesdelegiertenkonferenz der Grünen an diesem Wochenende gestellt, in dem es um einen Zehn-Punkte-Plan für grünes Regieren geht. Wie groß ist die Resonanz?
Die Resonanz ist, wie von mir erwartet, relativ beträchtlich. Das betrifft vor allem den sogenannten linken Flügel der Partei, dem ich mich auch selbst zurechne, obwohl ich die Flügelarithmetik inzwischen als etwas überholt ansehe. Es existieren aber eben die entsprechenden MailVerteiler und die sonstigen Kontakte. Die Unterstützung aus dem Reformerlager ist hingegen überschaubar.
Haben Sie auch von Parteiprominenten Unterstützung erhalten? Die von uns bisher dokumentierten Unterstützer sind alle Basismitglieder. Aber zumindest hat auch niemand kritisiert, dass ich es gewagt hätte, einen eigenen Plan zu erarbeiten, nachdem die 20 Parteigrößen, darunter die Spitzenkandidaten Cem Özdemir und Katrin GöringEckardt, bereits einen Zehn-PunktePlan vorgestellt haben.
Gehen Sie trotzdem davon aus, dass Ihr Antrag Chancen auf Erfolg hat? Auf Parteitagen der Grünen ist noch immer vieles möglich. Die Partei ist manchmal unberechenbar. Ich war zum Beispiel dabei, als wir in Göttingen im Jahr 2007 den Antrag gegen den Bundeswehreinsatz in Afghanistan gewonnen haben. Damit hatte damals keiner gerechnet. Wenn Sie mich als Mathematiker fragen, dann würde ich meine jetzigen Chancen allerdings nicht überbewerten.
Wollen Sie mit Ihrem Plan Lücken füllen, die Cem Özdemir und Katrin Göring-Eckardt in ihrem ZehnPunkte-Plan gelassen haben, etwa bei der Abschaffung der Hartz-IVSanktionen?
Lücken zu füllen war einer der Ansätze. Ein zweiter Ansatz war, noch einmal knackig die Positionen der Grünen auf den Punkt zu bringen und klar zu formulieren, was bei uns auf der Agenda steht und dass wir bei einer Regierungsbeteiligung auch einen Großteil unserer Forderungen durchsetzen wollen. Sonst werden wir nicht in eine Regierung eintreten. Diese Aussage habe ich im Plan unserer Parteispitzen vermisst.
Treibt Sie also die Sorge um, dass die Grünen ab Herbst im Bund mit der CDU zusammen regieren könnten?
Nein, diese Sorge habe ich nicht. In der CDU gibt es einen relativ hohen Anteil vernünftiger Politiker, die ich sehr schätze. Mich treibt eher die Sorge um, dass wir mit der CSU koalieren könnten. Bei diesem Gedanken wird mir sogar übel. Denn in dieser Partei meinen viele, die AfD noch rechts überholen zu können.
Könnten denn mit der CDU Inhalte der Grünen umgesetzt werden? Zum Beispiel in der Umweltpolitik? Gerade in der Umweltfrage gibt es in der CDU eine ganze Reihe von vernünftigen Leuten. Wenn Frau Merkel nicht den Zwängen in ihrer Partei ausgesetzt wäre, dann hätten wir wirklich eine Klimakanzlerin, die diesen Namen auch verdient hätte. Denn als Physikerin hat sie schon lange verstanden, wo die Reise hingeht. Sie hat allerdings in den letzten Jahren alle gesetzten Klimaziele verfehlt.
Ihre Forderungen entsprechen den Beschlüssen, welche die Grünen bei der Bundesdelegiertenkonferenz in Münster im Herbst vergangenen Jahres gefasst haben, die aber von der Parteiführung nun nicht nach vorne gestellt wurden. Haben Sie noch den Eindruck, dass bei den Grünen die »Basis Boss« ist, wie es in einem Slogan der Partei heißt? (Lacht, danach beredtes Schweigen)
Was sollten aus Ihrer Sicht die wichtigsten Punkte der Grünen in dem nun anstehenden Wahlkampf sein? Ich finde, dass wir zum Beispiel die Atompolitik wieder stärker nach vorne stellen sollten. Das kommt in dem Plan unserer Führung überhaupt nicht vor, obwohl es sich dabei um einen unserer Eckfeiler und neben der Gewaltfreiheit, der Emanzipation und dem Sozialen um eines unserer Hauptthemenfelder seit der Gründung handelt. Wir haben nach wie vor ein großes Atomproblem. In den Nachbarstaaten existieren Pannenreaktoren, die von Deutschland aus beliefert werden und die uns jeden Tag um die Ohren fliegen können. Zudem gibt es Schrottreaktoren in Gundremmingen, immerhin Typ Fu- kushima, die noch bis zum Jahr 2022 laufen sollen. Bei diesem Thema dürfen wir uns als Grüne nicht wegducken.
Sie setzen sich ebenso wie viele andere Basisgrüne im Unterschied zu Ihrer Parteiführung, die das Jahr 2037 anpeilt, für einen schnelleren Ausstieg aus der Kohleenergie bis 2025 ein. Ist dieses Szenario realistisch?
Wenn wir das Szenario, wie wir es in Münster beschlossen haben, also den Kohleausstieg bis zum Jahr 2025, nicht umsetzen sollten, dann wird Deutschland die Klimaziele definitiv nicht erreichen. Sie werden dann um 50 Prozent oder noch schlimmer verfehlt. Wie soll das Klima gerettet werden, wenn wir Deutsche nicht Geld in die Hand nehmen, um das durchzusetzen? Die Kosten werden entstehen, weil es Rechtsansprüche der Betreiber gibt, die abgegolten werden müssen. Zudem müssen wir uns um Arbeitsplätze für die betroffenen Menschen kümmern, zum Beispiel in den Braunkohlerevieren in Ostdeutschland. 10, 20 oder 50 Milliarden Euro wären hier gut investiertes Geld, weil wir es für die Zukunft unserer Kinder und unserer Enkel ausgeben würden.