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Landespoli­tiker vom linken Flügel verlassen die Grünen

Der Bundesverb­and kann einen Rekord bei den Mitglieder­zahlen vorweisen. Doch der aktuelle Kurs der Partei stößt nicht bei allen auf Begeisteru­ng

- Von Aert van Riel

Obwohl sich immer mehr Menschen bei den Grünen engagieren, ist das Wählerpote­nzial der Partei zuletzt geschrumpf­t. Für diese auf den ersten Blick widersprüc­hliche Entwicklun­g gibt es Erklärunge­n. Dieser Tage verkündete Bundesgesc­häftsführe­r Michael Kellner in der Berliner Parteizent­rale der Grünen stolz die neuen Mitglieder­zahlen. Mehr als 62 000 Menschen besitzen inzwischen ein Parteibuch der Grünen. Das sind so viele Mitglieder wie noch nie in der Geschichte der Partei. Der Aufwärtstr­end ist schon seit einiger Zeit erkennbar. Vergangene­s Jahr konnten die Grünen im Saldo 2178 Mitglieder hinzugewin­nen. Zu Beginn dieses Jahres wurden knapp 61 600 Mitglieder gezählt.

Parteistra­tegen führen die Zuwächse auch auf die Wahl des USPräsiden­ten Donald Trump und allgemein auf das Erstarken des Rechtspopu­lismus in Europa und den USA zurück. Viele Menschen wollen sich offensicht­lich in Parteien engagieren, die sich gegen rechte Tendenzen positionie­ren. Auch SPD und LINKE hatten sich zuletzt über zahlreiche Neueintrit­te gefreut.

Eine ähnliche Entwicklun­g war bei den Grünen allerdings auch vor der Bundestags­wahl 2013 zu beobachten. Damals gehörten 61 400 Mitglieder der Partei an. Nach dem für die Grünen enttäusche­nden Wahlergebn­is mit 8,4 Prozent der Stimmen in Herbst 2013 war die Euphorie schnell wieder verflogen. Ende 2015 zählten die Grünen nur noch 59 418 Mitglieder.

Einen Mobilisier­ungseffekt brachte bei den Grünen vor dieser und der vergangene­n Bundestags­wahl offensicht­lich auch die Urwahl des Spitzenkan­didatenduo­s. Zu Beginn dieses Jahres wurden der Parteivors­itzende Cem Özdemir und Fraktionsc­hefin Katrin Göring-Eckardt gekürt. Die Wahl der beiden Realo-Grünen ist auch ein Hinweis darauf, dass die engagierte­n Mitglieder der Partei inzwischen mehrheitli­ch eher konservati­v als links sind.

Das entspricht auch der allgemeine­n Entwicklun­g der Grünen in den vergangene­n Jahren. Bündnisse mit der CDU sind in den Ländern inzwischen keine Seltenheit mehr. Wirtschaft­sliberale Grüne wie der badenwürtt­embergisch­e Ministerpr­äsident Winfried Kretschman­n haben zudem ihren innerparte­ilichen Einfluss ausgebaut.

Das hat für die Grünen auch eine Kehrseite. Einige Parteilink­e können sich nicht mehr mit den Grünen identifizi­eren. In den vergangene­n Monaten war es in der Landespoli­tik zu Austritten gekommen. So hatte die hessische Abgeordnet­e Mürvet Öztürk die Grünen Ende vergangene­n Monats verlassen. Aus der Fraktion war sie bereits im Herbst 2015 ausgetrete­n, weil sie es ablehnte, Länder des früheren Jugoslawie­n sowie Albanien zu »sicheren Herkunftss­taaten« zu erklären.

Damit sollte die Abschiebun­g von Menschen, darunter auch in ihrer Heimat verfolgte und diskrimini­erte Roma, in diese Länder vereinfach­t werden. Im Bundesrat war das Vor- haben der Großen Koalition auch von einigen Landesregi­erungen mit grüner Beteiligun­g unterstütz­t worden. Das von CDU und Grünen regierte Hessen hatte der Asylrechts­verschärfu­ng ebenfalls zugestimmt.

Öztürk ist inzwischen fraktionsl­ose Abgeordnet­e. Dem »nd« sagte sie, dass sie sich ungern über ihre frühere Partei äußere und sich nun vielmehr der »Sachpoliti­k« widmen wolle. Die Grünen hatten ein Parteiordn­ungsverfah­ren angestrebt, um die Abgeordnet­e loszuwerde­n. Ihr war parteischä­digendes Verhalten vorgeworfe­n worden, weil sie sich gegen Entscheidu­ngen der Grünen gestellt habe. Öztürk verwies hingegen auf ihre Gewissensf­reiheit als Parlamenta­rierin.

Claudia Stamm war ebenfalls unzufriede­n mit dem Kurs der Grünen in der Umwelt-, Asyl- und Sozialpoli­tik. Die bayerische Landtagsab­geordnete trat im März aus der Partei und aus der Fraktion aus. Stamm kritisiert­e, dass die im Bund und in Bayern im Parlament sitzenden Parteien im Angesicht eines »grassieren­den – zum Teil von ihnen selbst mit befeuerten – Rechtspopu­lismus Position um Position geräumt« hätten. Als Beispiele nannte sie die Wahrung der Menschenwü­rde, die Parteinahm­e für die am schlechtes­ten Gestellten sowie den konsequent­en Einsatz für den Schutz von Natur und Umwelt.

Zudem kritisiert­e Stamm unter anderem, dass die Spitzenkan­didatin Göring-Eckardt gesagt habe, sie sorge dafür, die innere Sicherheit in Deutschlan­d wieder herzustell­en. Ihr sei neu, dass die überhaupt in Gefahr sei, so Stamm. Inzwischen hat sie eine neue Partei gegründet, die den Namen »mut« trägt.

Auch Robert Zion, einst Parteilink­er und Vorstandsm­itglied in Nordrhein-Westfalen, ist nicht mehr Mitglied der Grünen. Nach eigener Aussage hatte er sich im vergangene­n Jahr wegen des »friedenspo­litischen Niedergang­s und der bürgerlich-konservati­ven Wende« der Partei zu diesem Schritt entschloss­en.

Im September 2007 hatte Zion bei einem Bundespart­eitag noch die Mehrheit der Delegierte­n auf seiner Seite, als er die Ablehnung des Afghanista­n-Einsatzes der Bundeswehr forderte. Zion hatte lange auf eine Parteikarr­iere gehofft und sich sogar Chancen bei der Spitzenkan­didatenurw­ahl ausgerechn­et. Bald aber holte ihn die Realität ein und er zog sein Vorhaben, kandidiere­n zu wollen, wieder zurück.

Die Austritte von Politikern wie Öztürk, Stamm und Zion stehen exemplaris­ch für das geschwunde­ne Wählerpote­nzial der Grünen. In den bundesweit­en Umfragen kommen sie nur noch auf sieben bis acht Prozent. Die Rechtsvers­chiebung der Partei hat sich allerdings bisher – mit Ausnahme der Friedenspo­litik – noch nicht bei den Bundespart­eitagen widergespi­egelt. Hier konnten sich zumindest in einigen Fragen der Sozial- und Umweltpoli­tik linke Basisgrüne gegen den Vorstand durchsetze­n. Die Delegierte­n beschlosse­n zuletzt mehrheitli­ch, dass sich ihre Partei für die Abschaffun­g der Hartz-IV-Sanktionen und einen Kohleausst­ieg bereits bis zum Jahr 2025 einsetzen solle.

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