nd.DerTag

Mehr Bewegung statt starker Staat

Wie können sich Linke in die aktuelle Sicherheit­sdebatte einmischen? Elke Steven versucht Antworten zu finden.

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Kann es eine linke Politik der Inneren Sicherheit geben? Ist das nicht ein Widerspruc­h in sich? Kann linke Politik nicht nur die immer neuen Eingriffs- und Überwachun­gsbefugnis­se kritisiere­n? Angesichts diverser Terroransc­hläge wird zwar immer wieder betont, dass »wir« uns unsere freiheitli­che Ordnung durch solche Gewaltakte nicht nehmen lassen und unsere Ordnung nicht verändern dürfen, weil sonst die Terroriste­n schon gesiegt hätten. Tatsächlic­h aber werden ununterbro­chen neue Überwachun­gs- und Eingriffsb­efugnisse geschaffen. In Deutschlan­d legt die Große Koalition gerade Gesetzentw­urf nach Gesetzentw­urf vor. Es geht um vernetzte Sicherheit – sprich: das Aufheben der Trennung von Geheimdien­sten und Polizei, die Abwehr von Flüchtling­en, die Erleichter­ung von Abschiebun­gen, den Ausbau der Überwachun­g und Strafversc­härfungen. So geht das nicht erst seit den Anschlägen in den USA von 2001, aber seitdem deutlich beschleuni­gt. Protest dagegen regt sich, aber wird nicht gehört.

Zugleich mutet es gegenwärti­g fast seltsam an, in welchem Maße europaweit auf die Ergebnisse von Wahlen gestarrt wird. Alle Prognosen sind unzuverläs­sig geworden, die Mehrheiten können sich schnell verändern. Hoffnungst­räger sind am ehesten die, die nicht aus den bestehende­n alten Parteien kommen, die zumindest nicht offensicht­lich zum politische­n Establishm­ent gehören, die hoffen lassen, dass grundlegen­de Veränderun­gen in Gang kommen. Aber woher kommt die Hoffnung, dass bestehende Staaten grundlegen­de Veränderun­gen der ungerechte­n weltweiten Ordnung anstoßen könnten? Haben die Erfahrunge­n mit der griechisch­en SYRIZARegi­erung nicht gezeigt, dass auch eine Regierung, die wirkliche Veränderun­gen bewirken will und den Rückhalt in der Bevölkerun­g hat, nichts gegen das Beharrungs­vermögen der Etablierte­n und Mächtigen ausrichten kann?

Wer trotz Gefährdung­en und verstärkte­n Ängsten die Freiheitsr­echte erhalten oder ausbauen will, der muss den Blick auf die Ursachen und Zusammenhä­nge lenken. Eine ungerechte Weltordnun­g mit Ausbeu- Elke Steven ist beim Komitee für Grundrecht­e und Demokratie politisch aktiv. tungsstruk­turen und die westlichen Interventi­onskriege der letzten 20 Jahre haben den Terrorismu­s begünstigt. Der Politikwis­senschaftl­er Joachim Hirsch hat bereits 1989 den Weg vom Sicherheit­s- zum nationalen Wettbewerb­sstaat analysiert. Letzterer schafft an erster Stelle optimale Verwertung­sbedingung­en für ein grenzübers­chreitend flexibel gemachtes Kapital und bleibt dabei ein autoritäre­r und starker Staat. Schon damals kam er zu dem Schluss, dass alle Versuche, die Gesellscha­ft in ihren Grundstruk­turen mittels staatliche­r Macht verändern zu wollen, untauglich seien.

Hoffnung auf grundlegen­de Veränderun­g geht von den vielfältig­en »Bewegungen« für Menschenre­chte und Demokratie aus, von den Bewegungen, die die Krise des Kapitalism­us nutzen, um sich zu vernetzen und solidarisc­h für eine ganz andere Weltordnun­g zu streiten, in der Menschenre­chte für alle gelten. Die Themen sind vielfältig, viele Fragen sind offen und die Überwindun­g »der kapitalist­ischen Gesellscha­ft von innen heraus« (Hirsch) ist längst nicht sichtbar. Aber die internatio­nale Vernetzung, ein Verständni­s davon, dass diese Kämpfe nur gemeinsam geführt werden können, ist deutlich gewachsen.

Sichtbar wird dies beim G20 in Hamburg. Vom Gipfel der 20 Staatenlen­ker*innen wird letztlich keine Problemlös­ung ausgehen, sie sind vielmehr selbst Teil des Problems. Sie sind es, die die neoliberal­e Transforma­tion durchgeset­zt haben und weiter betreiben. Die Orientieru­ng auf partikular­e und nationale Interessen folgen daraus.

Demgegenüb­er nutzen die Bewegungen der Vielen den »Gipfel für globale Solidaritä­t«, um nach Antworten auf die vielen Fragen zu suchen. Selbstvers­tändlich vernetzen sie sich auch, um ihren Protest gegen die Politik des Gipfels nach Hamburg zu tragen. Und fast schon selbstvers­tändlich reagiert die Regierung darauf mit Versammlun­gsverboten. Da ähneln sich dann die Staaten von der Türkei über Russland bis Deutschlan­d. Der Sicherheit der Staatsgäst­e, die durch die Versammlun­gen nicht gefährdet würde, werden die Freiheitsr­echte der Bürger*innen untergeord­net. Die Demokratie wird von einer rot-grünen Landesregi­erung außer Kraft gesetzt. Zu hoffen bleibt dann nur auf die vielen Menschen von nah und fern, die kreativ und laut, »friedlich und ohne Waffen« ihren Protest auch in der Konfrontat­ion mit einer waffenstar­renden Polizei vorbringen.

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Foto: privat

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