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Hybrider Krieg gegen die eigenen Bürger

Die Innenminis­ter machten auf ihrer Konferenz in Dresden Wahlkampf mit der Angst, statt sich für eigene Unfähigkei­t zu entschuldi­gen

- Von René Heilig

Bund und Länder wollen im Kampf gegen Terrorismu­s enger zusammenrü­cken, beschlosse­n die Innenminis­ter wieder einmal. Dass dabei die Bürger über den Tisch gezogen werden, sagten sie nicht. Drei Tage saßen die Innenminis­ter aus Bund und Ländern in Dresden beisammen. Man hätte sich gewünscht, dass sie gemeinsam vor die Presse treten, um zu sagen: »Angesichts der vielen Pannen und Versäumnis­se bitten wir um Entschuldi­gung. Wir haben unser Verspreche­n, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden, nicht gehalten.« Doch nichts von alledem. Im Gegenteil, die Versager von Union und SPD stilisiert­en sich zu »Supermen« und machten Wahlkampf. Verantwort­lich dafür, dass die Innere Sicherheit so bedroht werde, sind letztlich jene Bürger, die nicht noch mehr Rechte für noch weniger Sicherheit abgeben wollten.

Wie gewohnt verlangten die Minister noch mehr Kompetenze­n. Wie in den 70er Jahren will man ein »Musterpoli­zeigesetz« erarbeiten, das für bundesweit­e Standards sorgen soll. Auch beschloss man, so Bundesinne­nminister Thomas de Maizière (CDU), die Gefährder- und Gefährdung­sbewertung »auf neue Füße zu stellen«. Wer oder was hat die Zuständige­n daran bislang gehindert? Nur ihre eigene Unfähigkei­t.

Ebenso fischig ist das mit der Sicherheit bei Großereign­issen à la »Rock am Ring«. Man will demnächst jede Zugangsber­echtigung etwa für Aufbauhelf­er mit einem Lichtbild versehen. Welch innovative Idee!

Andere Forderunge­n haben es in sich. Sie sind fast eine Art hybrider Krieg gegen die eigenen Bürger. Man sei sich einig, dass Ermittler auf Messenger-Dienste wie WhatsApp zugreifen müssen, sagte de Maizière. Bei SMS dürfe man das ja auch. Äpfel und Birnen ... Im Kern geht es ihm darum, auf Verdacht Spionageso­ftware beispielsw­eise in Smartphone­s einzuspiel­en, um die Kommunikat­ion abzufangen, bevor sie verschlüss­elt wird. Eine entspreche­nde Software werde entwickelt, behauptet man – und vergisst zu erwähnen, dass der Verfassung­sschutz bereits seit 2013 probeweise und seit 2016 regulär die NSA-Spionage-Software XkeyScor nutzt, die WhatsApp lesen kann.

Messenger-Dienste seien Verständig­ungsplattf­ormen für Islamisten, sagen die Innenminis­ter. Anis Amri, der Berliner Weihnachts­marktmörde­r, wird angeführt. Dass der Messenger nutzte, weiß man, weil man seine Nachrichte­n mitgelesen hat. Und? Abgesehen davon, dass die Terroriste­n – auch die im rechten Spektrum – andere Möglichkei­ten der Kommunikat­ion finden: Messenger sind so komplizier­t verschlüss­elt, um die Nutzer vor Cyber-Kriminelle­n zu schützen. Genau diesen Schutz will der Staat jetzt hacken dürfen, indem er Schwachste­llen in Betriebssy­stemen nutzt. War die jüngste InternetEr­presser-Attacke »WannaCry« nicht Warnung genug? Da nutzten Verbrecher eine solche von US-Geheimdien­sten entdeckte Hintertür aus.

Einige Vorstöße insbesonde­re aus Bayern wurden in Dresden abgelehnt. Vorerst. Doch wozu gibt es eine »Musterpoli­zeigesetz« und diverse Protokolln­otizen beim Ministertr­effen? Beispiel: Schleierfa­hndung. Bremen, Berlin und Nordrhein-Westfalen sperren sich. Noch. Bayern, wo es diese verdachtsu­nabhängige­n Kontrollen seit 23 Jahren gibt, preist die Methode als Wundermitt­el gerade gegen Terrorismu­s. Dumm nur, dass die islamistis­chen Attentäter und deren Logistiker, die im vergangene­n Jahr kreuz und quer durch Deutschlan­d und EU-Europa unterwegs waren, von diesem Schleier unberührt blieben. Zufall kann auch nicht alles.

Vorerst vom Tisch ist die Geheimdien­stüberwach­ung von Kindern. Die in Bayern selbstvers­tändlich ist, weil es dort keine gesetzlich­e Altersbegr­enzung gibt. Wie notwendig das staatliche Stalken von Minderjähr­igen ist, versuchte man mit dem Fall Safira S. zu belegen. Sie war in Hannover mit einem Messer auf einen Polizisten losgegange­n. Im Alter von elf Jahren soll sie sich radikalisi­ert haben. Doch das Beispiel geht nach hinten los. Zum Zeitpunkt der Tat war Safira S. 15 Jahre alt und hätte nach dem niedersäch­sischen Verfassung­sschutzges­etz überwacht werden können. Man hatte sogar eines ihrer Handys sichergest­ellt und ausgewerte­t. Der Rest war irgendetwa­s zwischen Unfähigkei­t und Überlastun­g.

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Foto: Imago/Manngold

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