Hybrider Krieg gegen die eigenen Bürger
Die Innenminister machten auf ihrer Konferenz in Dresden Wahlkampf mit der Angst, statt sich für eigene Unfähigkeit zu entschuldigen
Bund und Länder wollen im Kampf gegen Terrorismus enger zusammenrücken, beschlossen die Innenminister wieder einmal. Dass dabei die Bürger über den Tisch gezogen werden, sagten sie nicht. Drei Tage saßen die Innenminister aus Bund und Ländern in Dresden beisammen. Man hätte sich gewünscht, dass sie gemeinsam vor die Presse treten, um zu sagen: »Angesichts der vielen Pannen und Versäumnisse bitten wir um Entschuldigung. Wir haben unser Versprechen, Schaden vom deutschen Volke abzuwenden, nicht gehalten.« Doch nichts von alledem. Im Gegenteil, die Versager von Union und SPD stilisierten sich zu »Supermen« und machten Wahlkampf. Verantwortlich dafür, dass die Innere Sicherheit so bedroht werde, sind letztlich jene Bürger, die nicht noch mehr Rechte für noch weniger Sicherheit abgeben wollten.
Wie gewohnt verlangten die Minister noch mehr Kompetenzen. Wie in den 70er Jahren will man ein »Musterpolizeigesetz« erarbeiten, das für bundesweite Standards sorgen soll. Auch beschloss man, so Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), die Gefährder- und Gefährdungsbewertung »auf neue Füße zu stellen«. Wer oder was hat die Zuständigen daran bislang gehindert? Nur ihre eigene Unfähigkeit.
Ebenso fischig ist das mit der Sicherheit bei Großereignissen à la »Rock am Ring«. Man will demnächst jede Zugangsberechtigung etwa für Aufbauhelfer mit einem Lichtbild versehen. Welch innovative Idee!
Andere Forderungen haben es in sich. Sie sind fast eine Art hybrider Krieg gegen die eigenen Bürger. Man sei sich einig, dass Ermittler auf Messenger-Dienste wie WhatsApp zugreifen müssen, sagte de Maizière. Bei SMS dürfe man das ja auch. Äpfel und Birnen ... Im Kern geht es ihm darum, auf Verdacht Spionagesoftware beispielsweise in Smartphones einzuspielen, um die Kommunikation abzufangen, bevor sie verschlüsselt wird. Eine entsprechende Software werde entwickelt, behauptet man – und vergisst zu erwähnen, dass der Verfassungsschutz bereits seit 2013 probeweise und seit 2016 regulär die NSA-Spionage-Software XkeyScor nutzt, die WhatsApp lesen kann.
Messenger-Dienste seien Verständigungsplattformen für Islamisten, sagen die Innenminister. Anis Amri, der Berliner Weihnachtsmarktmörder, wird angeführt. Dass der Messenger nutzte, weiß man, weil man seine Nachrichten mitgelesen hat. Und? Abgesehen davon, dass die Terroristen – auch die im rechten Spektrum – andere Möglichkeiten der Kommunikation finden: Messenger sind so kompliziert verschlüsselt, um die Nutzer vor Cyber-Kriminellen zu schützen. Genau diesen Schutz will der Staat jetzt hacken dürfen, indem er Schwachstellen in Betriebssystemen nutzt. War die jüngste InternetErpresser-Attacke »WannaCry« nicht Warnung genug? Da nutzten Verbrecher eine solche von US-Geheimdiensten entdeckte Hintertür aus.
Einige Vorstöße insbesondere aus Bayern wurden in Dresden abgelehnt. Vorerst. Doch wozu gibt es eine »Musterpolizeigesetz« und diverse Protokollnotizen beim Ministertreffen? Beispiel: Schleierfahndung. Bremen, Berlin und Nordrhein-Westfalen sperren sich. Noch. Bayern, wo es diese verdachtsunabhängigen Kontrollen seit 23 Jahren gibt, preist die Methode als Wundermittel gerade gegen Terrorismus. Dumm nur, dass die islamistischen Attentäter und deren Logistiker, die im vergangenen Jahr kreuz und quer durch Deutschland und EU-Europa unterwegs waren, von diesem Schleier unberührt blieben. Zufall kann auch nicht alles.
Vorerst vom Tisch ist die Geheimdienstüberwachung von Kindern. Die in Bayern selbstverständlich ist, weil es dort keine gesetzliche Altersbegrenzung gibt. Wie notwendig das staatliche Stalken von Minderjährigen ist, versuchte man mit dem Fall Safira S. zu belegen. Sie war in Hannover mit einem Messer auf einen Polizisten losgegangen. Im Alter von elf Jahren soll sie sich radikalisiert haben. Doch das Beispiel geht nach hinten los. Zum Zeitpunkt der Tat war Safira S. 15 Jahre alt und hätte nach dem niedersächsischen Verfassungsschutzgesetz überwacht werden können. Man hatte sogar eines ihrer Handys sichergestellt und ausgewertet. Der Rest war irgendetwas zwischen Unfähigkeit und Überlastung.