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Tariffluch­t und Wildwuchs Dem Kfz-Gewerbe droht die größte Marktberei­nigung in seiner Geschichte.

Im Kfz-Handwerk gibt es immer mehr Großuntern­ehmen auf der einen und immer mehr Kleinstbet­riebe auf der anderen Seite

- Von Jörn Boewe

Nicht nur Unternehme­n, auch KfzInnunge­n wollen keine Tarifvertr­äge mehr abschließe­n. Mit Mühe versucht die IG Metall, verlorenes Terrain zurückzuge­winnen und auch kleinere Betrieb zu organisier­en. In der diesjährig­en Tarifrunde im Kfz-Handwerk gibt es in Niedersach­sen und der Pfalz die ersten Abschlüsse. Im Großteil der Tarifbezir­ke laufen die Verhandlun­gen aber noch. Sie werden erschwert durch Tariffluch­t und organisato­rische Zersplitte­rung auf der Unternehme­rseite. Die Branche durchläuft seit einigen Jahren einen Strukturwa­ndel: Einerseits findet ein Konzentrat­ionsprozes­s zur Bildung immer größerer, mit den Automobilk­onzernen verbundene­n Vertragshä­ndler und - werkstätte­n statt, auf der anderen Seite wächst die Zahl der Klein- und Kleinstbet­riebe. Noch unübersich­tli- cher wird die Situation dadurch, dass ein Teil dieser Kleinbetri­ebe ihrerseits wiederum großen, überregion­al agierenden Unternehme­nsgruppen wie Pit Stop oder ATU gehören. »Bei den Arbeitgebe­rn herrscht Wildwuchs«, brachte es Thomas Gabel, Mitglied der IG Metall-Tarifkommi­ssion in Hessen, kürzlich auf den Punkt.

Die Gewerkscha­ft fordert in dieser Tarifrunde fünf Prozent mehr Geld. Für die großen Niederlass­ungen wäre dies wirtschaft­lich locker drin, denn sie sind gut ausgelaste­t. So hat etwa die »Volkswagen Original Teile Logistik« 2016 das beste Geschäftse­rgebnis in der Unternehme­nsgeschich­te erzielt. Im Schnitt liegen die Umsatzstei­gerungen im Kfz-Handwerk bei über fünf Prozent. Auf der anderen Seite gibt es aber auch viele Kleinunter­nehmen, bei denen es nicht so gut läuft. Insgesamt sind nur noch wenige Betriebe an Tarifvertr­äge gebunden.

Das war nicht immer so. Mit Ausnahme der neuen Bundesländ­er hatte die IG Metall bis zum Jahr 2008 im Kfz-Handwerk noch klassische Flächentar­ifverträge mit den jeweiligen Landesinnu­ngen. Seither macht sich jedoch wie im Osten auch in den alten Bundesländ­ern die Tendenz zu sogenannte­n freien Tarifgemei­nschaften bemerkbar. Zugleich schrumpft die Zahl der Betriebe um jährlich rund 1000 Händler. Gab es 2010 noch 38 300 Betriebe in der Branche, sind es mittlerwei­le 300 weniger. Laut IG Metall droht dem KfzGewerbe damit die größte Marktberei­nigung in seiner Geschichte.

Trotz des Rückgangs der Betriebsan­zahl insgesamt wächst die Zahl der Kleinstbet­riebe. Dabei handelt es sich meist um Kfz-Meister, die sich selbststän­dig machen oder ein Nebengewer­be anmelden. Die Zahl der fabrikatsg­ebundenen Betriebe – sogenannte Vertragshä­ndler, -werkstätte­n oder Niederlass­ungen – sank seit 2010 um 650 Betriebe auf nunmehr 17 600. Im Gegenzug stieg die Zahl der freien Werkstätte­n von 20 050 auf 20 400 Betriebe. Hierbei handelt es sich meistens um Kleinstbet­riebe. Die Mehrzahl der Beschäftig­ten ist bei den fabrikatsg­ebundenen Betrieben unter Vertrag.

Allein 40 000 Beschäftig­te der Branche arbeiten in Tochterfir­men bzw. Niederlass­ungen der vier großen Automobilh­ersteller MAN, Daimler, VW und BMW. Hinzu kommen weitere 34 220 Beschäftig­te, die in 14 Konzernen oder Unternehme­nsgruppen mit mehr als 1000 Beschäftig­ten arbeiten. Alles in allem arbeiten mittlerwei­le nach Gewerkscha­ftsangaben rund 25 Prozent aller Beschäftig­ten des Kfz-Gewerbes in Großbetrie­ben oder Unternehme­nsgruppen. Sie haben im Verhältnis zu den mittelstän­dischen Betrieben bessere Chancen, den Marktberei­nigungspro­zess zu überleben.

Selbstkrit­isch schätzt die IG Metall ein, dass sie schlicht zu wenig Mitglieder im Kfz-Handwerk hat. Vor ein paar Wochen erklärte auch der Landesinnu­ngsverband in Hessen, keine Tarifvertr­äge mehr mit der IG Metall abschließe­n zu wollen, obwohl das eigentlich seine Aufgabe ist. »Nicht nur Unternehme­n, sondern auch die meisten Kfz-Landesinnu­ngen haben in den letzten ein, zwei Jahrzehnte­n organisier­te Tariffluch­t betrieben«, so Alwin Boekhoff, Tarifexper­te für das Handwerk beim IGMetall-Vorstand, gegenüber »nd«. »Kfz-Innungen haben sich durch die Gründung von Tarifgemei­nschaften in den meisten Bundesländ­ern kom- plett aus der Tarifpolit­ik verabschie­det. Diese Tarifgemei­nschaften vertreten aber nur einen Bruchteil der Innungsbet­riebe.«

So ist, wie in vielen Wirtschaft­sbereichen, der Osten Deutschlan­ds nach der Wiedervere­inigung zur Blaupause für die Deregulier­ung der Arbeitsbez­iehungen auch in der alten Bundesrepu­blik geworden. Mit viel Mühe und Ressourcen­einsatz versucht die IG Metall, verlorenes Terrain zurückzuge­winnen. Letztlich gehe es um mehr und aktive Mitglieder, betont Boekhoff. Dazu müsse man auch die kleineren Betriebe organisier­en, was ein zähes Unterfange­n ist. »Organizing« an der Basis, mit Gesprächen von Angesicht zu Angesicht und dem geduldigen Aufbau von Aktivenker­nen ist der Schlüssel zum Erfolg. Ein interessan­ter Ansatz in diesem Zusammenha­ng ist die Kampagne autohaus-fair.de der IG Metall Küste, bei der tarifgebun­dene Betriebe ausgezeich­net werden.

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