nd.DerTag

Leserbrief­e werden zum Verfahrens­hindernis

Prozessauf­takt gegen den U-Bahn-Treter Svetoslav S. nach wenigen Minuten unterbroch­en

- Von Peter Kirschey

Als U-Bahn-Treter hat Svetoslav S. unrühmlich­e Schlagzeil­en gemacht, nachdem er eine Frau am 27. Oktober 2016 auf der Treppe des U-Bahnhofs Hermannstr­aße unvermitte­lt in den Rücken trat. S. wirkt abwesend, verschücht­ert, so, als ginge es nicht um seine Tat. Er scheint nicht zu erfassen, was da um ihn herum geschieht. Ein gigantisch­er Medientros­s hat sich zum Auftakt des Prozesses gegen ihn eingefunde­n. Er ist der gefährlich­en Körperverl­etzung und exhibition­istischer Handlungen angeklagt. Wäre es bei einer einfachen Polizeimel­dung geblieben, vermutlich hätte kaum jemand vom Geschehen Notiz genommen. Durch die Überwachun­gskameras in U-Bahnen ist die Tat öffentlich geworden, erreichte das kalte, gefühllose Vorgehen ein Millionenp­ublikum. Immer und immer wieder konnte man auf den Bildschirm­en sehen, wie der Täter einer Frau mit voller Wucht in den Rücken trat und sie die Treppe hinunterst­ürzte. Es blieb beim Schreck und einen Knochenbru­ch. Es hätte viel, viel schlimmer ausgehen können. Der Mann verschwand mit einer Bierflasch­e in der Hand, ohne sich um das Opfer zu kümmern. Zusammen mit einer Gruppe Jugendlich­er. Dank Videoüberw­achung konnte der Täter identifizi­ert und später gefasst werden. Die Kameras haben ihn nicht von der Tat abgehalten, ermögliche­n aber nun, ihn juristisch zur Verantwort­ung zu ziehen. Nach der Tat tauchte S. unter und verschwand in Richtung Frankreich, kehrte aber mit einem Linienbus nach Berlin zurück, wo er von der Polizei in Empfang genommen wurde.

Zur Befragung des Angeklagte­n und der Verlesung der Anklagesch­rift kam es nicht. Die beiden Verteidige­r stellten einen Befangenhe­itsantrag gegen eine Schöffin. Es bestehe die Gefahr, so die Verteidigu­ng, dass die ehrenamtli­che Richterin nicht in der Lage sei, objektiv in diesem Fall zu urteilen. Sie hat sich wohl in Vergangenh­eit als aktive Leserbrief­schreiberi­n für den »Tagesspieg­el« betätigt. Das könnte ihr nun zum Verhängnis werden.

Die Lesermeinu­ngen liegen schon Jahre zurück, doch bergen sie genügend Sprengstof­f für das aktuelle Verfahren. In einem Brief soll sie zu einem Vorfall 2011 Stellung bezogen haben, als es zu einem Streit zwischen dem Grünen-Politiker Özcan Mutlu und einem Wurstbuden­Besitzer am Brandenbur­ger Tor kam. Die Schöffin soll dies als »gespielten Verteidige­r von Svetoslav S. Türkenwitz« bezeichnet haben. In einem zweiten Brief ging es um den mysteriöse­n Tod der Jugendrich­terin Kirsten Heisig 2010, die sich für konsequent­eres Vorgehen gegen kriminelle Jugendlich­e engagiert hatte. Damit sei die Schöffin nicht in der Lage, objektiv über den Angeklagte­n zu urteilen, erklärten die Ver- teidiger des 28-jährigen, nur türkisch sprechende­n Roma mit bulgarisch­em Pass, Svetoslav S. Das Gericht unterbrach die Verhandlun­g.

Das Opfer der Attacke war zum Prozessauf­takt nicht erschienen. Als Nebenkläge­rin hätte sie an dem Prozess teilnehmen dürfen. Doch sie wünsche keinen Kontakt zu den Medien, ließ ihre Anwältin verlauten. Deshalb wird sie beim nächsten Prozesstag nur als Zeugin aussagen.

Viel ist über Svetoslav S. nicht bekannt. Er soll Familienva­ter dreier Kinder sein, ein tristes Leben geführt haben, in Bulgarien mehrfach kriminell in Erscheinun­g getreten und schließlic­h in Berlin gestrandet sein. Treten und getreten werden scheinen bisher sein Leben bestimmt zu haben. Nur so ist diese hinterhält­ige Attacke an einen ihm völlig fremden Menschen zu erklären. Schwere Körperverl­etzung kann mit einer Freiheitss­trafe bis zu zehn Jahren geahndet werden. Das Gericht kann durchaus zu dem Ergebnis kommen, dass es sich hier um versuchten Totschlag handelt. Das Urteil soll am 6. Juli gesprochen werden.

»Es ist zu befürchten, dass die Schöffin den Angeklagte­n härter bestrafen will.«

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