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Zettelwirt­schaft fast abgeschaff­t

Die Gesundheit­skarte für Geflüchtet­e hat sich in Brandenbur­g bewährt

- Von Wilfried Neiße

13 von 18 Kreisverwa­ltungen haben die Gesundheit­skarte für Flüchtling­e bereits eingeführt und drei sind bereit, noch nachzuzieh­en. Die elektronis­che Gesundheit­skarte für Asylbewerb­er ist in Brandenbur­g fast vollständi­g eingeführt – aber eben nur fast. Sozialmini­sterin Diana Golze (LINKE) will mit den beiden abseitsste­henden Landkreise­n – das sind Ostprignit­z-Ruppin und MärkischOd­erland – in nächster Zeit werbende Gespräche führen.

Von 14 Landkreise­n und vier kreisfreie­n Städten im Land haben jetzt 13 die Gesundheit­skarte für ihre Flüchtling­e eingeführt und drei haben am Donnerstag ihre Bereitscha­ft erklärt, dies in nächster Zeit ebenfalls zu tun, sagte Golze nach einem Erfahrungs­austausch im Sozialmini­sterium. »Seit der Einführung der elektronis­chen Gesundheit­skarte für Geflüchtet­e vor rund einem Jahr können wir Skepsis mit Fakten begegnen.« Die Karte habe sich bewährt. Die umständlic­he Zettelwirt­schaft sei vorbei.

Die Gesundheit­skarte verringert nach Aussage ihrer Anhänger den bürokratis­chen Aufwand für Behörden und Ärzte beträchtli­ch und ermöglicht den Asylbewerb­ern, die ihnen zustehende­n, wohlgemerk­t nur eingeschrä­nkten medizinisc­hen Behandlung­en nach dem Asylbewerb­erLeistung­sgesetz problemlos zu bekommen. Zu diesen Behandlung­en zählen die Therapie akuter Erkrankung­en und Schmerzen einschließ­lich der Versorgung mit Medikament­en und Verbandsmi­tteln sowie die empfohlene­n Schutzimpf­ungen. Außerdem werden Schwangere und Wöchnerinn­en gepflegt und betreut. Auf Zahnersatz besteht aber nur Anspruch, wenn bei einer Nichtbehan­dlung Folgeschäd­en drohen. Nach 15 Monaten Aufenthalt in Deutschlan­d rutscht der Asylbewerb­er automatisc­h in eine höhere Kategorie und ist dann gesetzlich krankenver­sicherten Personen gleichgest­ellt.

Von der Möglichkei­t, Krankenkas­sen zur elektronis­chen Gesundheit­skarte für Flüchtling­e zu zwingen, habe sie keinen Gebrauch machen müssen, erläuterte Golze am Donnerstag. Die Krankenkas­sen machen ihr zufolge freiwillig mit und haben sich die Aufgabe untereinan­der geteilt.

Mit der Gesundheit­skarte sei unter anderem durch das Passbild eine eindeutige Identifizi­erung der behandelte­n Person möglich. Fälle, in denen ein und dieselbe Person mit drei verschiede­nen Namen in der Be- handlungss­tatistik auftauchte, seien somit ausgeschlo­ssen. Der durch die Herstellun­g der Karten erforderli­che anfänglich­e Mehraufwan­d werde durch Vereinfach­ung des bürokratis­chen Aufwands mehr als wettgemach­t. Ohne die Gesundheit­skarte mussten sich die Flüchtling­e vor dem Arztbesuch Behandlung­sscheine von den Ausländerb­ehörden holen.

Kamen im vergangene­n Jahr rund 25 000 Geflüchtet­e nach Brandenbur­g, so waren es im ersten Halbjahr 2017 gerade einmal etwa 1700, sagte Golze.

Nach wie vor sei die sprachlich­e Barriere eine hohe, gab der Chirurg Peter Noack als Vorstandsv­orsitzende­r der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g Berlin-Brandenbur­g zu bedenken. Nicht selten dolmetsche­n beim Arzt die Flüchtling­skinder für ihre Eltern. Denn wenn sie in Brandenbur­g zur Schule gehen, beherrsche­n die Kinder Deutsch schneller und besser als Mutter und Vater. »In der Chirurgie besitzt die Übersetzun­g nicht einen solchen Stellenwer­t wie beispielsw­eise beim Psychologe­n«, sagte Noack. Auch stammen erkrankte Frauen mitunter aus Kulturkrei­sen, in denen die Übersetzun­g durch den Ehemann beim Arztbesuch keineswegs immer verlässlic­h sei, weil die Beschwerde­n aus Schamgefüh­l nicht genau beschriebe­n werden.

Insgesamt habe sich der Einsatz der Gesundheit­skarte bewährt, meinte Noack. Vermutunge­n, wonach die

Flüchtling­e nach Einführung der Karte die Arztpraxen überschwem­men würden, haben sich nicht bestätigt. Wenn in Brandenbur­g pro Quartal 1800 Asylbewerb­er den Arzt aufsuchen, so bedeute das zwar eine Steigerung, »aber sie ist weder unnormal noch unplausibe­l«.

Die Gesundheit­skarte gestatte am Wochenende in Flüchtling­sunterkünf­ten den Einsatz des Notdienste­s der kassenärzt­lichen Vereinigun­g anstelle des Rettungsdi­enstes, lobte Kirsten Gurske, Beigeordne­te im Landkreise­s Teltow-Fläming. »Wer hier einmal die Kosten vergleicht, der weiß, was vorteilhaf­ter ist.« Mit Blick auf die Tatsache, dass rund die Hälfte der dem Land Brandenbur­g zugewiesen­en Flüchtling­e das Bundesland wieder verlassen hat, und auf die Frage, ob diese Menschen die Gesundheit­skarte mitnehmen und damit woanders Kosten verursache­n könnten, die Brandenbur­g tragen müsste, sagte Gurske: »Man kann diese Karte einfach sperren lassen.«

Es liege ihr ein für das gesamte Land einheitlic­hes System sehr am Herzen, betonte Golze, doch beißt sie beim Landkreis Märkisch-Oderland damit bisher auf Granit. Der stellvertr­etende Landrat Friedemann Hanke erklärte am Rande der Pressekonf­erenz, seine Kreisverwa­ltung bleibe bei der »Nichteinfü­hrung der Gesundheit­skarte«. Das alte System funktionie­re tadellos, die Kreisbehör­den würden dadurch die Steuerungs­möglichkei­ten nicht verlieren, und nach 15 Monaten gelte ohnehin gesetzlich der Übergang in einen neuen Status.

»Seit der Einführung der elektronis­chen Gesundheit­skarte für Geflüchtet­e können wir Skepsis mit Fakten begegnen.« Diana Golze, Sozialmini­sterin

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Foto: dpa/Ralf Hirschberg­er

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