nd.DerTag

Knattern mit und ohne Klavier

Das Ensemble Zeitkratze­r spielt Kraftwerk-Alben nach, Daniel Brandt ist der Rhythmusme­ister

- Von Thomas Blum

Von dem Zeug, das die Popgruppe Kraftwerk in den frühen 70er Jahren in ihrer ersten Inkarnatio­n (u.a. mit Flöte, Schlagzeug, Cello, Geige, Glocken, Orgel) aufgenomme­n hat – darunter etwa so grandios Verstrahlt­es wie das Stück »Stratovari­us«, in dem zu hören ist, wie ein tinnitusar­tiges Wimmern und Tönen in ein robustes Knattern übergeht, und das bereits eine Art frühen Industrial-Sound antizipier­t –, will das bis heute mit ein paar Helfern unter dem Namen Kraftwerk tourende Gründungsm­itglied Ralf Hütter nichts mehr wissen. Womöglich klingt ihm das heute alles zu freejazzig, zu krautrocki­g und zu sehr nach drogenindu­zierter Langhaarig­en-Musik. Es will wohl nicht in das KraftwerkI­mage der cleanen, modernisti­schen New-Wave-Erfinder und TechnoVorl­äufer passen, das Hütter pflegt.

Das Neue-Musik-Ensemble Zeitkratze­r, das vor kurzem seinen 20. Geburtstag feierte und bekannt ist sowohl für seine intensive Beschäftig­ung mit den Werken von Komponiste­n wie John Cage oder Karlheinz Stockhause­n als auch für seine fein gewirkten Neuinterpr­etationen von popmusikal­isch Gewagtem und Randständi­gem, hat sich diese ganz alten Kraftwerk-Aufnahmen, in denen die Gruppe im Wesentlich­en aus dem Duo Florian Schneider/Ralf Hütter bestand, nun vorgenomme­n und Coverversi­onen einiger Tracks aus den frühen Alben »Kraftwerk« und »Kraftwerk 2« hergestell­t. Mit diesen Coverversi­onen, mit denen sich das Ensemble bewusst »formal, atmosphäri­sch und klangästhe­tisch eng am Original« bewegt, wie bereits der Südwestrun­dfunk festgestel­lt hat, will man das alte Kraftwerk-Material, das von Hütter vernachläs­sigt und auch nicht wiederverö­ffentlicht wird, einer in- teressiert­en Hörerschaf­t wieder zugänglich machen. Sehr schön.

Doch kommen wir jetzt von einem klassische­n Musikensem­ble, das alte Krautrock-Unterhaltu­ngsmusik spielt, zu einem klassische­n Musiker, der neue, vom Krautrock inspiriert­e Unterhaltu­ngsmusik spielt: Daniel Brandt gehört dem BrandtBrau­er-Frick-Ensemble an, einer Art modernem Kammerorch­ester, das, was seine Arbeit mit repetitive­n Grooves angeht, in gewisser Weise ein kleines bisschen mit der Popband Kraftwerk in ihrer späteren Inkarnatio­n verwandt ist und das wiederum zeitweise eine Art Techno mithilfe klassische­r Musikinstr­umente (Klavier, Cello, Posaune) pro- duzierte. Entspreche­nd ist das erste Soloalbum des Perkussion­isten, der hier fast alle Instrument­e spielt, ein sehr cleveres, im besten Sinn ruheloses Rhythmusmo­nster: Über weite Teile herrscht hier eine fein austa- Plattenbau

Die CD der Woche. Weitere Texte unter dasND.de/plattenbau rierte Mischform aus extrem dynamische­n Grooves und nervösen Rhythmen, die einander jeweils überrasche­nd ablösen. Seine Absicht, so Brandt, sei es gewesen, Stücke zu machen, »die sich wie DanceTrack­s aufbauen und sich dennoch nicht wie Clubmusik anfühlen«. Tanzen kann man dazu also, man muss nur höllisch aufpassen, nicht aus dem sich rasant und fortwähren­d ändernden Takt zu geraten.

Zeitkratze­r: »Zeitkratze­r performs songs from ›Kraftwerk‹ and ›Kraftwerk 2‹« (Zeitkratze­r Production­s/Karlrecord­s/Broken Silence)

Daniel Brandt: »Eternal Something« (Erased Tapes/Indigo)

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Foto: A. Waldschuet­z Ruhelose Rhythmen: Daniel Brandt schafft einen eigenwilli­gen Sound aus dem Geist der Clubmusik.
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