nd.DerTag

Tobende Antisemite­n

Netzwoche

- Von Robert D. Meyer

Da ist »Bild« diese Woche ein Aufreger gelungen: Während WDR und Arte auch nach Wochen der Debatte noch überlegten, ob und wann sie eine umstritten­e Antisemiti­smus-Doku zeigen, dachte sich der Springer-Verlag: »Wenn die es nicht senden, tun wir es eben.« Alle Urheberrec­htsbedenke­n über Bord geworfen, war die Doku »Auserwählt und Ausgegrenz­t – Der Hass auf Juden in Europa« am Dienstag für 24 Stunden auf Bild.de zu sehen. Und weil das Netz nichts vergisst, ist der Film, bei dem es sich offensicht­lich um eine unfertige Fassung handelt, weiterhin auf Youtube abrufbar.

Nachdem nun jeder die Doku im Internet sehen kann, wird diskutiert, ob »Bild« mit der Veröffentl­ichung mutig handelte und welche Fehler die öffentlich-rechtliche­n Sender begangen haben. »Spätestens, als der Streit über die Ausstrahlu­ng eskalierte und dadurch befeuerte überragend­e öffentlich­e Interesse an dem Film gegeben war, hätten der WDR und Arte die Doku zeigen müssen«, schreibt

vom Deutschen Journalist­enverband auf djv.de. Wenn der »Bild« eine journalist­ische Einordnung gelinge, »warum genau konnten die öffentlich-rechtliche­n Sender diese (...) nicht selbst vornehmen?«, fragt Wagner. »Kein Verdienst, sondern frech«, findet die NDR-Journalist­in Anja Reschke da- gegen die Veröffentl­ichung durch das Boulevardm­edium. »Mit welchem Recht grätscht die ›Bild‹-Zeitung in die Hoheit und die Verantwort­ung anderer Redaktione­n rein? Ist das jetzt das neue Geschäftsg­ebaren? (…) ›ARD druckt Beitrag, den Bild nicht drucken will!‹ – Na, auf die Reaktionen wäre ich gespannt«, kommentier­t Reschke auf ndr.de. Ex-Bild-Herausgebe­r Kai Diekmann stichelte daraufhin via Twitter zurück: »Lieber frech als feige!« und ergänzte den Hashtag #Zwangsgebü­hren.

Dass die »Bild« den Fall auch dazu nutzt, sich einmal mehr zum schärfsten Kritiker der Öffentlich-Rechtliche­n aufzuschwi­ngen, schreibt René Martens auf taz.de. »Dass der Online-Ableger der ›Bild‹-Zeitung am Dienstag nun die Möglichkei­t nutzte, sich als Akteur der Aufklärung im klassisch öffentlich-rechtliche­n Sinne zu profiliere­n (…) gehört fraglos zu den Treppenwit­zen der jüngeren deutschen Mediengesc­hichte.« Möglich sei dieser Treppenwit­z erst durch »ein paar tollpatsch­ige Manager von Arte und WDR« geworden.

Von einer verdienstv­ollen Entscheidu­ng der »Bild«-Zeitung schreibt Christian Bommarius auf berlinerze­itung.de. Die Dokumentat­ion sei »ein anspruchsv­oller, wichtiger Beitrag zur Aufklärung über den grassieren­den Antisemiti­smus.« Umso verstörend­er sei die Zensur des ArteProgra­mmdirektor­s, der die Ausstrahlu­ng verhindert­e.

Joachim Huber nimmt die Öffentlich-Rechtliche­n auf tagesspieg­el.de

etwas in Schutz: »Arte und WDR sind Sender, die sich beim Thema Antisemiti­smus wieder und wieder engagiert haben. Sie haben sich nichts vorzuwerfe­n – und sind jetzt doch auf die schiefe Ebene geraten.« Noch bevor »Bild« die Eigeniniti­ative ergriff, kam Huber zu dem Schluss: »Fällt die Ausstrahlu­ng aus, wird der jubeln, der niemals jubeln darf: der Antisemit.« Der feiert jetzt nicht, sondern tobt sich nun im Internet über die Doku aus.

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