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Ein paar Kilo mehr können von Vorteil sein

Schwimmwel­tmeister Marco Koch sieht das Nachwuchsp­roblem und die Debatte über sein Gewicht nicht so eng

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Marco Koch ist einer der wenigen verblieben­den Weltklasse­athleten im Deutschen Schwimm-Verband (DSV). Bei den Deutschen Meistersch­aften in Berlin versucht der 27-Jährige in diesen Tagen, die WM-Norm zu knacken, was ihm als Dritter über seine Nebenstrec­ke 100 Meter Brust am Donnerstag nicht gelang. Der Darmstädte­r sprach mit Andreas Morbach über blinden Ehrgeiz, sein Körpergewi­cht, das Nachwuchsp­roblem und seine Pläne bis Olympia 2020.

Das Niveau beim Nachwuchs ist derzeit so niedrig, dass der DSV Ende des Monats kein Team zur Jugend-EM nach Israel schicken wird. Wie erleben Sie die Situation in Ihrem Darmstädte­r Trainingsa­lltag? Es kann schon sein, dass es an der Basis gerade klemmt. Aber wenn ich die jungen Schwimmer zum Beispiel mit mir im selben Alter vergleiche: Da sind schon einige, die ungefähr die gleichen Zeiten schwimmen wie ich mit 17 oder 18. In dem speziellen Punkt sehe ich das also nicht so eng.

Das ursprüngli­che Ziel des Verbandes, bis Olympia 2020 wieder zurück in der Weltspitze zu sein, muss angesichts der aktuellen Lage wohl schon jetzt um vier Jahre nach hinten verschoben werden.

Vielleicht können wir bis zu den Spielen in Tokio nicht in der Breite das erreichen, was sich alle vorgestell­t haben. Trotzdem denke ich, dass wir einige Sportler haben, die auf jeden Fall in der Weltspitze mitmischen können – und auch einige haben, die in den nächsten drei Jahren womöglich noch nachrücken. Aber wahrschein­lich sind es dann immer noch zu wenige, damit es richtig auffällt. Mir würde es deshalb erst mal reichen, wenn wir einfach ein paar mehr hätten, die vorne mitmischen.

Mussten Sie nach der Enttäuschu­ng von Rio, als Sie als einer der Favoriten über 200 Meter Brust nur Siebter wurden, lange mit sich kämpfen, um weiterzuma­chen?

Nee, eigentlich ging das ziemlich schnell. Ich habe immer noch Lust darauf, es macht mir immer noch Spaß, das ist das Allerwicht­igste. Ich bin auch direkt nach Olympia wieder in die Weltcups eingestieg­en, habe keine Sommerpaus­e gemacht und hatte dann ja auch einen sehr erfolgreic­hen Jahresabsc­hluss bei der KurzbahnWM. Noch drei Jahre bis Olympia sind natürlich lang und schwierig zu planen, aber momentan bin ich voll auf Kurs Richtung Tokio. Es ist alles darauf ausgelegt, dass es bis 2020 oder vielleicht noch etwas länger geht.

Vor den Spielen in Rio litten Sie unter Problemen mit der Schulter und dem Pfeiffersc­hen Drüsenfieb­er, das erst spät diagnostiz­iert wurde. Welche Konsequenz­en haben diese Erfahrunge­n für Ihr Verhalten vor künftigen Höhepunkte­n? Nach Rio habe ich angefangen, ein Mal pro Woche Yoga zu machen. Um ein bisschen Ausgleich zu haben und an meinen Defiziten zu arbeiten – damit das mit den Verletzung­en vielleicht auch etwas weniger wird. Bei Dingen wie dem Drüsenfieb­er ist es anders: Ich kann ja nicht immer darauf achten, bloß nicht mit anderen Leuten in Berührung zu kommen.

Steckte hinter der verschlepp­ten Krankheit übertriebe­ner Ehrgeiz? Beim Drüsenfieb­er waren wir alle nicht richtig im Bilde. Wir haben einfach darüber hinwegtrai­niert, fast sechs Wochen lang. Ich dachte immer: Ab und zu geht’s ja ganz gut. Dann fühlte ich mich wieder fünf Tage schlapp, aber danach ging’s auch wieder für einen Tag. Jetzt weiß ich, wie es sich theoretisc­h anfühlen kann, werde also das nächste Mal vorsichtig­er sein und früher zum Arzt gehen. Im Endeffekt ist es ja kein Teufelswer­k, sondern nur eine Blutabnahm­e. Es war einfach viel zu spät im letzten Jahr. Vielleicht auch, weil wir es nicht wahrhaben wollten, dass da was ist.

Ein Kritikpunk­t waren auch einige überflüssi­ge Kilo auf Ihren Rippen. Ich denke, das kann man auf jeden Fall vernachläs­sigen. Ich habe nach Rio zwei Wochen gar nicht trainiert, war auch noch mal im Krankenhau­s – weil ich Probleme mit Schwindel hatte. Aus dem Krankenhau­sbett bin ich beim Weltcup in Berlin direkt ins Wasser gesprungen und eine Zeit geschwomme­n, mit der ich auch bei der Kurzbahn-WM gewonnen hätte. Da soll mir jemand sagen, dass ich in Rio zu schwer war! Bei meinem WM-Sieg in Kazan im Jahr davor war ich sogar noch mal zwei, drei Kilo schwerer und schlechter in Form als in Rio. Und nur einen Tick schneller, aber eben ohne Drüsenfieb­er. Deswegen denke ich: Würden wir noch in Anzügen schwimmen, hätte nie jemand etwas zu dem Thema gesagt. Weil man es einfach nicht so sehen würde. Ich habe mir vielleicht einfach die falsche Sportart ausgesucht (lacht).

Welche wäre denn passender? Irgendeine, wo ich mich mehr verstecken kann. Ich habe oft mit Mark Warnecke (gewann mit 35 WM-Gold über 50 Meter Brust, praktizier­t heute als Arzt, d. Red.) darüber gesprochen, dass viele aus dem Ruderachte­r, wenn sie ihr T-Shirt ausziehen, schon auch noch eine Schicht darüber haben. Im Training ist das natürlich auch ein Vorteil, wenn man viele Reserven hat, gut regenerier­t und einfach sehr belastbar ist.

Sie gelten als großer Tüftler, haben mit Yoga angefangen. Gibt es noch andere neue Testfelder?

Dieses Jahr mache ich weniger Wettkämpfe, trainiere viel zu Hause und arbeite intensiv an meiner Kraft. Nicht schlimm, wenn es in diesem Sommer noch nicht richtig schnell wird. In den nächsten zwei Jahren wollen wir ein bisschen was ausprobier­en – und dann haben wir es hoffentlic­h für Tokio.

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