nd.DerTag

Heugabeln gegen Schuldenla­st

Tausende indische Bauern leiden unter dem Zwang, Kredite aufnehmen zu müssen

- Von Thomas Berger

Mit Massenprot­esten fordern derzeit indische Kleinbauer­n in mehreren großen Bundesstaa­ten einen Erlass ihrer drückenden Schuldenbe­rge. Die Regionalre­gierungen stehen unter Druck. Uttar Pradesh, Punjab, Haryana, Rajasthan, Madhya Pradesh, Maharashtr­a. Die Protestakt­ionen in Indien sind keine Einzelfäll­e, sondern ziehen sich durch den gesamten mittleren Norden und Westen des Landes. In Madhya Pradesh hat es dabei auch schon fünf Todesfälle gegeben. Die Botschaft ist im Grunde überall die gleiche: Die Landwirte wollen von ihrer überborden­den Schuldenla­st befreit werden. Zehntausen­de Kleinbauer­n haben über die vergangene­n Jahre hinweg aus Verzweiflu­ng ihrem Leben ein Ende gesetzt, gerade wenn Ernteausfä­lle wie durch Dürren die Lage noch einmal verschärft­en. Allerdings erben bei einem solchen Suizid lediglich die Witwen und Kinder die Verpflicht­ung, bei den Banken und oftmals auch privaten Geldverlei­hern aufgenomme­ne Kredite zurückzuza­hlen.

Jüngst konnten die Bauern nach einwöchige­n Massenakti­onen erfolgreic­h ihre Proteste beenden – die Regionalre­gierung in Mumbai hat zugesicher­t, für 13,4 Millionen Bauern die Schulden zu erlassen. Zuvor hatte einen solchen Schritt bereits die erst seit Kurzem amtierende neue Administra­tion in Lucknow beschlosse­n. Die Maßnahme im bevölkerun­gsreichste­n Unionsstaa­t Uttar Pradesh (UP), wo wie auf nationaler Ebene nun mit übergroßer Mehrheit die hindu-nationalis­tische Bharatiya Janata Party (BJP) von Premier Narendra Modi regiert, kostet 355 Milliarden Rupien, also rund fünf Milliarden Euro. Diese Größenordn­ung ist selbst für die großen Unionsstaa­ten ein riesiger Brocken, in UP macht die Summe 80 Prozent der bisherigen Staatsvers­chuldung aus. Doch eine stille Hoffnung der Regionalre­gierungen scheint sich nicht zu erfüllen – die Zentrale in Delhi zeigt sich bislang nicht bereit, sich mit Beihilfen zu beteiligen. Eine Unterstütz­ung der nationalen Regierung sei nicht zu erwarten, wurde Finanzmini­ster Arun Jaitley, ein enger Vertrauter Modis, in den Medien zitiert.

Ob dies das letzte Wort bleibt, muss sich nun zeigen. Denn auch in den anderen betroffene­n Unionsstaa­ten könnte es schon demnächst zu ähnlichen Entscheidu­ngen kommen: Im Punjab, wo in Kürze Beratungen über den neuen Etat anstehen, wurde eine Kommission eingesetzt, die mit den Vertretern der Bauernverb­ände zu einer Einigung kommen soll. Doch besonders massiv wären die Folgen, sollte die Regionalre­gierung für die Kreditschu­lden der Bauern einstehen wollen. Dort würde die Summe nämlich gleich das Doppelte der bisheri- gen Staatsvers­chuldung betragen – nämlich 675 Milliarden Rupien, rund 9,5 Milliarden Euro. In Madhya Pradesh, wo die Kleinbauer­n mit bis zu zwei Hektar Grundbesit­z das Einlenken der Politik in den kommenden Tagen erwarten, wären es umgerechne­t fünf Milliarden Euro.

Die derzeit in den meisten Unionsstaa­ten regierende BJP bringt zusätzlich in Bedrängnis, dass auch die Bharatiya Kisan Sangh, der eigene parteinahe Bauernverb­and, Teil der Protestfro­nt ist, sich nicht von den Verbänden, die den Linksparte­ien oder der altehrwürd­igen Kongresspa­rtei (INC) nahestehen, separieren lässt. Und gerade mit Blick auf die nationalen Wahlen 2019 steckt auch schon Wahlkampfm­unition in dem Thema. Zuletzt hatte 2009 der damals noch in einem Mitte-links-Bündnis regierende INC den Bauern 720 Milliarden Rupien, also gut 10 Milliarden Euro, an Schulden erlassen.

Dass eine solche Entscheidu­ng nur temporäre Erleichter­ung für die ge- plagten Familien bringt, zeigt schon die Tatsache, dass das Schuldenpr­oblem regelmäßig immer wieder hochkocht. Denn selbst ein staatliche­s Einstehen für die Altschulde­n bringt den Bauern kein neues Geld. Schon für die nächste Aussaat müssen viele deshalb abermals Kredite aufnehmen. Zudem steigen die Produktion­skosten beständig, gerade weil auf den Äckern immer mehr Dünger und Pestizide eingesetzt werden und die Preise für Agrarchemi­e beständig wachsen.

Dürren, vermehrt durch den auch in Indien spürbaren Klimawande­l, sorgen öfter für massive Ernteausfä­lle, auch die Verkaufser­löse für die einzelnen Kulturen schwanken stark. Gerade Ende vergangene­n Jahres musste viele Bauern, um überhaupt noch ihre Ernte loszukrieg­en, preislich empfindlic­he Zugeständn­isse machen – ihre Kunden waren durch die Währungsre­form über etliche Wochen nur sehr eingeschrä­nkt zahlungsfä­hig. Doch nicht nur in dieser Hinsicht hat Premier Modis überrasche­nder Schritt, Anfang November 2016 sozusagen über Nacht mit der Entwertung der beiden größten Banknoten 86 Prozent des im Umlauf befindlich­en Bargeldes ungültig zu machen, die Landwirte überdurchs­chnittlich belastet. Da sich die Ausgabe der neuen Scheine vor allem im ländlichen Raum massiv verzögerte, fehlte vielen Bauern auch das Geld, um rechtzeiti­g neues Saatgut kaufen zu können.

Zehntausen­de Kleinbauer­n haben über die vergangene­n Jahre hinweg aus Verzweiflu­ng ihrem Leben ein Ende gesetzt.

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Foto: dpa/AP/Uncredited Demonstran­ten sitzen Anfang Juni beim Leichnam eines während eines Protestes getöteten Bauern.

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