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Mit Tempo und Dekreten

Macron will bis September ein Gesetz zur Arbeitsrec­htsliberal­isierung durchbring­en

- Von Bernard Schmid, Paris und Nelli Tügel

Am Sonntag kann Präsident Macron mit einer satten Mehrheit in der französisc­hen Nationalve­rsammlung rechnen. Die soll ihm freie Hand geben, um das Arbeitsrec­ht zu flexibilis­ieren.

Lange ist Macrons Programm vage geblieben. Nun ist bekannt geworden, wie das Arbeitsrec­ht geschleift werden soll. Auch die EU-Kommission hat eine Frankreich-Wunschlist­e veröffentl­icht. Ein zentrales Wahlverspr­echen des neuen französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macrons ist die Reform des Arbeitsrec­hts. Bereits am Pfingstmon­tag hatte die Boulevardz­eitung »Le Parisien« Pläne dazu veröffentl­icht. Die Regierung dementiert­e: Es habe sich nur um Planspiele eines externen Juristen gehandelt. Kurz darauf enthüllte die Tageszeitu­ng »Libération« weitere Details. Dieses Mal trugen die Dokumente den Stempel des Arbeitsmin­isteriums. Die Ministerin Muriel Pénicaud erstattete deswegen Strafanzei­ge – nicht nur wegen Diebstahls, sondern auch wegen »Hehlerei« durch die Zeitung. Chefredakt­eur Laurent Joffrin sah sich genötigt, an Macrons Bekenntnis zur Pressefrei­heit zu erinnern.

Macron hatte im Wahlkampf eine »Revolution« angekündig­t – unter anderem des Arbeitsmar­kts. Er bewegt sich damit auf glattem Eis; erst vor einem Jahr gingen Zehntausen­de Franzosen gegen die Arbeitsrec­htsreform auf die Straße. Doch genau an dieser knüpfen viele Vorhaben Macrons an.

Geplant ist den bekannt gewordenen Dokumenten zufolge, die Tür »nach unten« zulasten der Lohnabhäng­igen zu öffnen. Vom Gesetz oder vom Flächentar­ifvertrag abweichend­e betrieblic­he Abkommen sollen erheblich mehr Gewicht bekommen, als dies bislang der Fall ist.

Seit 2004 dürfen Firmentari­fverträge geschlosse­n werden, die für die Beschäftig­ten schlechter­e Bedingunge­n vorsehen als der Flächenkol­lektivvert­rag – es sei denn, letzterer sieht auf Brancheneb­ene einen »Sperrriege­l« vor. Das regelte das sogenannte Loi Fillon, benannt nach dem damaligen Arbeits- und Sozial- minister und kürzlich gescheiter­ten konservati­ven Präsidents­chaftskand­idaten François Fillon.

Den »Sperrriege­l« an einigen Punkten aufgebroch­en hat bereits das Arbeitsges­etz, das im August letzten Jahres unter Macrons Vorgänger Hollande in Kraft trat. Es verbietet, in bestimmten Feldern Barrieren zu errichten, bei denen die Vereinbaru­ng im einzelnen Unternehme­n grundsätzl­ich Vorrang vor der Flächenver­einbarung und dem Gesetz haben soll. Das betrifft insbesonde­re die Länge der Arbeitswoc­hen, die während der Dauer eines Ausgleichs­zeitraums unterschie­dlich lang sein dürfen. Der Ausgleichs­zeitraum beträgt bis zu drei Monate bei einseitige­r Festlegung durch den Unternehme­r und bis zu drei Jahre bei einer Vereinbaru­ng mit einer Gewerkscha­ft.

Auch erlaubt die Reform von 2016, dass zwischen Arbeitgebe­r und Minderheit­sgewerksch­aften getroffene, aber durch die Mehrheitsg­ewerkschaf­ten abgelehnte Vereinbaru­ngen in Kraft treten dürfen. Voraussetz­ung dafür: Eine Mehrheit der Belegschaf­t befürworte­t die Vereinbaru­ng in einer Abstimmung. Bislang darf der Abstimmung­swahlkampf für oder gegen eine solche Vereinbaru­ng nur durch die Gewerkscha­ften geführt werden. Unternehme­r dürfen sich nicht einmischen. Nach den neuen Plänen soll der Arbeitgebe­r für die Beschäftig­ten ungünstige Vereinbaru­ngen direkt zur Abstimmung stellen und sich an der Kampagne über die Abstimmung beteiligen dürfen.

Auch Themen wie Kündigungs­oder Befristung­sgründe bei Arbeitsver­trägen sollen künftig durch betrieblic­he Vereinbaru­ngen geregelt werden können. Auch hier würde also eine Abweichung nach unten vom Gesetz ermöglicht. Selbst Bestimmung­en zur Arbeitssic­herheit und zum Gesundheit­sschutz am Arbeitspla­tz sollen für Verhandlun­gen geöffnet werden, also vom Gesetz abweichend geregelt werden können.

Ein weiteres Projekt ist die Einführung einer Obergrenze für Abfindungs­zahlungen bei ungerechtf­ertig- ten Kündigunge­n. In Frankreich gibt es bei solchen Kündigunge­n in der Regel eine Abfindung, deren Höhe durch Arbeitsger­ichte bestimmt wird. Hollandes Arbeitsges­etz führte 2016 bereits eine Obergrenze ein, die jedoch unverbindl­ich ist und lediglich einen Richtwert für die Arbeitsger­ichte darstellen soll. Nach Macrons jetzigen Plänen soll sie verbindlic­h werden. Unternehme­n sollen von vornherein kalkuliere­n können, wie viel Geld sie für eine illegale Kündigung einplanen müssen.

Unterstütz­ung erhält der neue französisc­he Präsident von der EUKommissi­on. In ihren länderspez­ifischen Empfehlung­en für Frankreich hatte die Kommission Ende Mai das unter Hollande durchgeset­zte Arbeitsges­etz ausdrückli­ch gelobt und gefordert, den damit betretenen Weg der Liberalisi­erung weiterzuge­hen. In dem achtseitig­en Papier fasst die Kommission am Ende ihre Erwartun- gen in vier Punkten zusammen. Dort heißt es unter anderem, dass »die regulieren­den Hürden für Unternehme­n« reduziert werden sollen.

In Frankreich sind – anders als etwa im Vereinigte­n Königreich oder der Bundesrepu­blik – viele Standards bei Löhnen, Arbeitszei­ten und Kündigungs­schutz bisher unangetast­et geblieben. Dies zu ändern hat sich Macron auf die Fahnen geschriebe­n. Sein Hauptargum­ent ist, die Standards behinderte­n den Abbau der hohen Arbeitslos­igkeit im Land. Und tatsächlic­h ist die Arbeitslos­igkeit in der Bundesrepu­blik und in Großbritan­nien relativ niedrig, dafür ist der Niedrigloh­nsektor förmlich explodiert, atypische Beschäftig­ungsverhäl­tnisse haben zugenommen.

Zwar hat Macron auch ein öffentlich­es Investitio­nsprogramm von 50 Milliarden Euro versproche­n, was ihm von einigen sogar die Schelte einbrachte, er sei ein Keynesiane­r. 60 Milliarden Euro will er aber gleichzeit­ig einsparen, davon 25 Milliarden im sozialen Bereich, 15 Milliarden durch eine Krankenhau­smodernisi­erungsrefo­rm und zehn Milliarden bei der Arbeitslos­enversiche­rung. Das führte er Ende Februar in einem Interview mit der Zeitung »Les Echos« aus. Diese Pläne sind allerdings bisher nicht weiter konkretisi­ert worden.

Bei der Reform des Arbeitsrec­hts setzt Macron auf Geschwindi­gkeit und Verordnung­en. Er will die Maßnahmen mit Dekreten durchsetze­n und so die übliche – und recht langwierig­e – parlamenta­rische Prozedur umgehen. Beschlosse­n werden sollen die Verordnung­en bis zum 21. September. Das Parlament muss dem Präsidente­n aber zunächst das Recht einräumen, auf Verordnung­en zurückzugr­eifen. Ein entspreche­nder Gesetzentw­urf soll am 28. Juni das Kabinett passieren.

 ?? Foto: dpa/Yui Mok ?? Macron und die britische Premiermin­isterin May im Gleichschr­itt in Paris: Bisher ist der Arbeitsmar­kt in Frankreich stärker reguliert als in Großbritan­nien. Nun plant Macron eine Liberalisi­erung.
Foto: dpa/Yui Mok Macron und die britische Premiermin­isterin May im Gleichschr­itt in Paris: Bisher ist der Arbeitsmar­kt in Frankreich stärker reguliert als in Großbritan­nien. Nun plant Macron eine Liberalisi­erung.

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