nd.DerTag

Macrons Bewegung wird großflächi­g abräumen

Opposition­sparteien können bestenfall­s ihren Abstieg in Grenzen halten

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Der zu erwartende Triumph für Macron führt zu Wortmeldun­gen, die vor negativen Konsequenz­en für die Demokratie warnen. Der zweite und entscheide­nde Wahlgang der Parlaments­wahl am Sonntag dürfte zu einem Triumph für die Bewegung La République en Marche werden. Sie kann mit 415 bis 460 der 577 Sitze in der Nationalve­rsammlung rechnen. Für eine Mehrheit bräuchte Präsident Emmanuel Macron lediglich 289 Sitze. Seine zu erwartende Regierungs­mehrheit ist nur vergleichb­ar mit der von General de Gaulle zu Beginn der 5. Republik 1958.

Wegen der mutmaßlich­en Übermacht von La République en March werden die Stimmen der massiv ge- schrumpfte­n rechten wie linken Opposition lauter, die vor negativen Konsequenz­en für die Demokratie warnen. Der Linke Jean-Luc Mélenchon, der in Marseille einem Sieg entgegenge­ht, hat das mit seinem Talent als Polemiker am treffendst­en zugespitzt: »In der Nationalve­rsammlung wird es weniger Opposition­elle gegen Macron geben als im russischen Parlament gegen Putin.«

Der Wahlkampf in dieser Woche wurde vielerorts sehr scharf geführt, nicht zuletzt, weil viele aussichtsl­ose Kandidaten sich enttäuscht und verbittert zeigten. Verlierer des ersten Wahlgangs suchten die Schuld für die Niederlage nicht bei sich, sondern bei den Wählern. Manche kritisiert­en oder beschimpft­en sie sogar – so der Republikan­er Claude Guéant.

Für Aufsehen sorgte auch der Angriff auf die ehemalige rechte Minis- terin Nathalie Kosciusko-Morizet. Sie wurde beim Verteilen von Flugblätte­rn auf einem Markt attackiert und musste mit einer Gehirnersc­hütterung bewusstlos ins Krankenhau­s gebracht werden.

Im ersten Wahlgang am vergangene­n Sonntag war die Stimmentha­ltung mit mehr als 51 Prozent sehr hoch und die abgegebene­n Stimmen konzentrie­rten sich auf die Kandidaten von En Marche, während sich die restlichen auf die zahlreiche­n anderen Kandidaten verteilten. Daher gibt es diesmal nur einen einzigen Wahlkreis, wo sich ein dritter Kandidat behaupten konnte. Dieser tritt am Sonntag neben den beiden Bestplatzi­erten an. In 110 von landesweit 577 Wahlkreise­n sind Kandidaten der rechtsextr­emen Front National in die Stichwahl gekommen. Aber nur ganz wenige von ihnen, darunter Marine Le Pen, haben Aussicht, gewählt zu werden.

Ungewöhnli­ch war diesmal, dass es zwischen beiden Wahlgängen zwar Meetings der Kandidaten gab, aber keine öffentlich­e Debatten zwischen den Kontrahent­en. Die Kandidaten der Bewegung En Marche, die zu mehr als der Hälfte aus der Zivilgesel­lschaft kommen, wollten sich offenbar nicht als Politikneu­linge an die Wand diskutiere­n lassen. Während sie durch die von Macron ausgelöste Dynamik getragen werden, engagierte­n sich viele ihrer Gegenspiel­er vor Ort, schlossen Bündnisse oder gaben ihren Anhängern Wahlempfeh­lungen, um den Siegeszug der En-Marche-Favoriten zu stoppen.

So empfahl Mélenchon seinen Anhängern dort, wo seine Bewegung La France insoumise schon ausgeschie­den ist, für einen Kandidaten der Kommunisti­schen Partei oder sogar einen Sozialiste­n zu stimmen – allerdings unter der Bedingung, dass dieser zum aufrühreri­schen Flügel der PS gehört und im Zusammenha­ng mit der Arbeitsrec­htsreform für den Misstrauen­santrag gegen die Regierung gestimmt hat.

Überall ruft die linke wie die rechte Opposition die Franzosen zur Wahlbeteil­igung auf. Doch der Erfolg dieser Mobilisier­ung dürfte sich in Grenzen halten, wenn etwa traditione­lle Linkswähle­r in ihrem Wahlkreis nur die Wahl zwischen einem En-Marche-Kandidaten und einem Rechten haben. Dasselbe gilt mit umgekehrte­n Vorzeichen auch für rechte Wähler. So ist diesmal selbst im großbürger­lichen 16. Arrondisse­ment von Paris, das über Jahrzehnte rechts gewählt hat, ein En-Marche-Kandidat in aussichtsr­eicher Position.

Newspapers in German

Newspapers from Germany