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Das französisc­he Parlament

Rolle und Befugnisse der französisc­hen Nationalve­rsammlung

- Von Fabian Erik Schlüter, Paris AFP

Die Nationalve­rsammlung, die am Sonntag neu gewählt wird, ist das zentrale Gesetzgebu­ngsorgan in Frankreich. Die 577 Abgeordnet­en werden nach dem Mehrheitsw­ahlrecht für fünf Jahre bestimmt. Sie beschließe­n im Palais Bourbon am Ufer der Seine neue Gesetze. Die Gesetzesin­itiative liegt bei der Regierung, der Nationalve­rsammlung und dem Senat, der zweiten Parlaments­kammer. Das Abgeordnet­enhaus hat allerdings deutlich mehr Einfluss als das Oberhaus: Bei Gesetzesvo­rlagen haben die Abgeordnet­en das letzte Wort und können das Votum der Senatoren überstimme­n.

Gleichwohl hat die Nationalve­rsammlung eine schwächere Stellung als beispielsw­eise der deutsche Bundestag. Die französisc­he Verfassung von 1958 stattet den Präsidente­n mit umfassende­n Vollmachte­n aus. Der Staatschef als eigentlich­es Haupt der Exekutive ist dem Parlament keine Rechenscha­ft schuldig und kann nur bei schweren Verfehlung­en mit Zweidritte­lmehrheit abgesetzt werden. Er kann die Nationalve­rsammlung auflösen.

Hintergrun­d des auf den Präsidente­n zugeschnit­tenen Staatsgefü­ges sind die Krisenzeit­en nach dem Zweiten Weltkrieg, in denen Frankreich jahrelang keine stabile Regierungs­mehrheit kannte. Republikgr­ünder Charles de Gaulle übertrug deswegen das Recht, den Premiermin­ister zu bestimmen, von den Volksvertr­etern auf den Präsidente­n.

Der Premier braucht gleichwohl den Rückhalt der Nationalve­rsammlung, also eine parlamenta­rische Mehrheit. Die Regierung muss zurücktret­en, wenn die Mehrheit der Abgeordnet­en einem Misstrauen­santrag zustimmt. In der Vergangenh­eit kam es wiederholt vor, dass der Präsident in der Nationalve­rsammlung keine Mehrheit hatte. Der Premiermin­ister kam dann aus einem anderen politische­n Lager. Eine solche »Kohabitati­on«, eine Art »Zwangsehe«, gab es zuletzt von 1997 bis 2002.

Seit 2002 finden Wahlen zum Präsidente­namt und zur Nationalve­rsammlung kurz hintereina­nder statt. Seitdem bekam jeder neue Staatschef auch eine Mehrheit in der Nationalve­rsammlung. Bei wackeligen Mehrheiten hat die Regierung ein starkes Druckmitte­l: Sie kann eine Gesetzesvo­rlage mit der Vertrauens­frage verbinden. Über diesen parlamenta­rischen Sonderweg brachte Emmanuel Macrons Vorgänger François Hollande zwei umstritten­e Reformproj­ekte durch die Nationalve­rsammlung.

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