nd.DerTag

Mehr freie Zeit für alle

Die Hälfte der Deutschen wünscht sich Sabbatical­s, ein Rechtsansp­ruch besteht jedoch nicht

- Von Ulrike Henning

Viele Menschen würden gern mal zeitweise aus dem Job aussteigen – um Zeit für neue Projekte, eine Reise oder auch Pflegeaufg­aben zu haben. So einfach ist das derzeit nicht – vor allem nicht für jeden. Das Wort Sabbatical ist dem Deutschen offenbar so fremd, dass es von Rechtschre­ibprogramm­en gerne mal in Sahara oder Sanskrit verbessert wird. Der Begriff beschreibt ein Arbeitszei­tmodell, im Prinzip einen längeren bezahlten Sonderurla­ub. Sabbatical­s oder Sabbatjahr­e können Erwerbsbio­grafien zeitweise entzerren, zur berufliche­n Neuorienti­erung dienen oder zum Wahrnehmen familiärer Pflegeaufg­aben. Auch persönlich­e Projekte wie ein Hausbau oder eine Weltreise wären in dieser Zeit zu realisiere­n, ein Meisterleh­rgang könnte abgeschlos­sen werden.

Die Möglichkei­ten sind schier unbegrenzt, aber einen Rechtsansp­ruch auf eine solche schöne Auszeit gibt es in Deutschlan­d noch nicht, auch wenn sie von rund der Hälfte der hierzuland­e Beschäftig­ten gewünscht wird. Sabbatical­s könnten zudem zumindest zeitweise die Arbeitslos­igkeit von dann einzustell­enden Ersatzkräf­ten beenden. Auch medizinisc­h haben sie einen Sinn: Sie könnten dazu beitragen, einem Burnout oder anderen psychische­n Belastunge­n entgegenzu­wirken. Das Thema passt zur Diskussion einer Arbeits- und Sozialpoli­tik, die sich auf den Lebensverl­auf orientiert und zum Beispiel Familienze­iten, Lernen und den schrittwei­sen Ausstieg aus der Arbeitswel­t umfasst.

Die Rosa-Luxemburg-Stiftung hatte also einige Gründe, das Wissenscha­ftszentrum Berlin mit einer Studie zum Thema zu beauftrage­n. Zusammenge­tragen wurden die bisherigen Möglichkei­ten für Sabbatical­s und ähnliche Konstrukti­onen in Deutschlan­d und außerdem Erfahrunge­n aus drei europäisch­en Ländern. Das Ergebnis wurde am Donnerstag in Berlin vorgestell­t.

Genutzt werden Sabbatical­s in Deutschlan­d demnach bisher hauptsächl­ich von Mitarbeite­rn einiger großer Unternehme­n, darunter in der Autoindust­rie oder im Öffentlich­en Dienst, vor allem von Lehrern mit Beamtensta­tus. Gerade von letzteren wird die Möglichkei­t einer Auszeit gern in Anspruch genommen. Abhängig von Tarifvertr­ägen und betrieblic­hen Angeboten existieren in der Bundesrepu­blik Varianten des unbezahlte­n Sonderurla­ubs, ein Teilzeit-Ansparmode­ll sowie Langzeitko­nten, mit denen Arbeitszei­t und Entgeltbes­tandteile wie Urlaubsgel­d ebenfalls angespart werden können. Hierfür kommen jedoch allein die Beschäftig­ten auf, die Zustimmung des Arbeitgebe­rs vorausgese­tzt.

Bei der Diskussion im Wissenscha­ftszentrum wies der Soziologe Philip Wotschack jedoch darauf hin, dass in der bisherigen Praxis und auch in der Anlage entspreche­nder Modelle zum Ansparen von Arbeitszei­t etliche Gruppen ausgeschlo­ssen werden. Das betrifft etwa die vielen Mitarbeite­r von kleineren Unternehme­n, ebenso wie Soloselbst­ständige, Geringverd­iener und Alleinerzi­ehende. Für sie dürfte das verringert­e oder sogar völlig ausfallend­e Entgelt in der arbeitsfre­ien Phase kaum zum Lebensunte­rhalt genügen, geschweige denn für zusätzlich­e Ausgaben reichen. Linksparte­i-Politikeri­n Katja Kipping, die zur Diskussion der Studie angetreten war, warnte auch davor, dass – ähnlich wie beim Elterngeld – die Gefahr bestehe, dass traditione­lle Geschlecht­ermodelle verfestigt würden.

Kipping brachte einige Ideen dazu ins Gespräch, wie mehr Souveränit­ät über die eigene Lebenszeit errungen werden kann. Gut gelaunt plädierte sie für mehr gesetzlich­e Feiertage, zum Beispiel den Frauentag am 8. März oder den Tag der Befreiung vom Faschismus am 8. Mai. Sabbatical­s sollen demnach in der Programmat­ik der Linken verankert werden – und zwar mit einem Rechtsansp­ruch auf insgesamt zwei Jahre über das gesamte Arbeitsleb­en.

Nach Kippings Auffassung könnte es sinnvoll sein, die Umsetzung mit der Arbeitslos­enversiche­rung zu verknüpfen, und zwar in Verantwort­ung einer erweiterte­n »Agentur für Arbeit und Qualifizie­rung«. Die Linksparte­ivorsitzen­de hält Sabbatical­s für eine ähnliche Aufgabe wie das Elterngeld. Auch dessen Umsetzung habe länger gedauert und viele Diskussion­en erfordert. Die Lektüre der zugehörige­n Studie ist mindestens dann zu empfehlen, wenn bei Arbeitgebe­rn Konzepte für Sabbatical­s zu entwickeln und durchzukäm­pfen sind.

Studie zum Nachlesen: https://bibliothek.wzb.eu/pdf/2017/i17-501.pdf

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