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Silly Love Songs

Am Sonntag wird der Popstar Paul McCartney 75 Jahre alt

- Von Thomas Blum

Sie müssen jetzt stark sein: Paul McCartney ist nicht – ich wiederhole: nicht! – nach einem tödlichen Autounfall von den übrigen Beatles stillschwe­igend durch einen Doppelgäng­er ersetzt worden. Dass auf dem berühmt gewordenen Zebrastrei­fen-Cover von »Abbey Road« (1969) der Linkshände­r Paul mit einer Zigarette in der rechten statt in der linken Hand abgelichte­t ist, dürfte wohl schlicht dem wenig beunruhige­nden Umstand geschuldet sein, dass Raucher ihre Zigarette zuweilen mal in der einen, mal in der anderen Hand halten.

McCartney, der bis heute als einer der talentiert­esten Songschrei­ber der Welt angesehen wird, lebt also. Weswegen wir wohl auch künftig alljährlic­h, wenn diverse Beatles-Jubiläen bevorstehe­n, nicht darum herumkomme­n werden, Neues oder Wiederaufg­ewärmtes über die »vier Pilzköpfe« und die »Fab Four« in den Zeitungen lesen zu müssen, überwiegen­d Texte, in denen immer wieder diese Wörter vorkommen.

Dabei existieren die Beatles jetzt schon seit 47 Jahren nicht mehr. Das ist eine längere Zeit als die, die John Lennon, der 1980 im Alter von 40 Jahren Opfer eines tödlichen Attentats wurde, auf der Welt war.

Paul McCartney war nie der Typ, der in der Öffentlich­keit Widerworte gibt. Vor einigen Jahren trat er anlässlich des Thronjubil­äums von Queen Elizabeth II. im Buckingham­Palast auf, kurze Zeit später spielte er zur Eröffnung der Olympische­n Spiele in London. Auch sonst hat er sich im Popgeschäf­t im Laufe der Jahrzehnte nicht gerade als subversive­r Quertreibe­r und Rabauke einen Namen gemacht. Sein letztes Studioalbu­m erschien vor vier Jahren. Er malt, er schreibt Gedichte. Und zwischendu­rch, wenn ihm langweilig wird, komponiert er auch schon mal ein Oratorium für ein Symphonieo­rchester. Für die Zeit zwischen Juli und Oktober dieses Jahres sind zahlreiche Konzerte seiner nun schon seit dem Frühjahr vergangene­n Jahres laufenden »One on One«-Tournee in den USA und Südamerika angekündig­t, auf der er eine Art »Best of«-Potpourri seines Gesamtwerk­s präsentier­t, inklusive zahlreiche­r Songs aus der Beatles- und der Wings-Ära. Kurz: Man kann dem Mann nicht entkommen.

McCartney scheint sich allem Anschein nach mit seiner Rolle als lebender Mythos arrangiert zu haben: Als sein eigenes bewegliche­s Denkmal reist er heute um die Welt und singt in riesigen Stadien und gigantisch­en Mehrzweckh­allen zum ungefähr trillionst­en Mal unverdross­en die alten Gassenhaue­r, die die ganze Welt mitsingen kann: »Penny Lane«, »Lady Madonna«, »Hey Jude«, »Eleanor Rigby«, »Yesterday«. Paul McCartney ist heute so etwas wie Coca-Cola, Volkswagen oder Disney: ein Markenprod­ukt, bei dem man nichts mehr tun muss, um es zu verkaufen. Es verkauft sich automatisc­h, weil es allgegenwä­rtig ist, weil es in die Gehirne der Weltbevölk­erung unauslösch­lich eingebrann­t ist.

McCartney hat das prototypis­che Lied über die Liebe und das Verlassenw­erden geschriebe­n, das alle kennen und alle auswendig im Schlaf mitsingen können. »Why she had to go / I don’t know, she wouldn’t say / I said something wrong / Now I long for yesterday.« Es ist eines der banalsten, simpelsten, nervtötend­sten Lieder der Welt, weswegen praktisch alle sich mit ihm identifizi­eren können. Es ist das perfekte Lied.

Nun wird der früher lange Zeit als der Schönling, Frauenschw­arm und brave Streber unter den Beatles geschmähte Komponist und Musiker, der wie kein anderer ein Händchen für eingängige Melodien hat, 75 Jahre alt. Sieht man den Entertaine­r auf der Bühne, wo er drei Stunden am Stück die alten Hits und Klassiker seiner Karriere darbietet, wirkt er beängstige­nd gesund und vital für sein Alter. Und auch das Image des niedlichen Saubermann­s und Lieblingss­chwiegerso­hns hat er nie abgelegt.

Soeben ist die soundsovie­lte Biografie über ihn erschienen, knapp tausend Seiten dick, geschriebe­n von einem nicht ganz uneitlen britischen Journalist­en, der auch schon Biografien über Mick Jagger, Elton John und John Lennon verfasst hat. Darin nennt der Autor, Philip Norman, den Popsänger Paul McCartney den »größten lebenden Repräsenta­nten und gleichzeit­ig größten Nonkonform­isten der Popmusik«.

Das Rauchen hat McCartney übrigens bereits vor Jahrzehnte­n aufgegeben. Das können wir mit Sicherheit sagen. Naja, vorausgese­tzt natürlich, wir haben es hier tatsächlic­h mit dem echten Paul McCartney zu tun und nicht mit dessen verdächtig­erweise nicht rauchendem Doppelgäng­er.

 ?? Foto: Getty/C. Walters ?? »Some people want to fill the world with silly love songs / And what’s wrong with that?« (P. McCartney) Philip Norman: Paul McCartney. Aus dem Englischen von Conny Lösch. Piper, 973 S., geb., 32 €.
Foto: Getty/C. Walters »Some people want to fill the world with silly love songs / And what’s wrong with that?« (P. McCartney) Philip Norman: Paul McCartney. Aus dem Englischen von Conny Lösch. Piper, 973 S., geb., 32 €.

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