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Ja, hart sind die Zeiten

- Karlen Vesper

Es ist unüblich, einen Preis nach lebenden Personen zu benennen, das kennt man nur von Monarchien und Diktaturen (Stalinorde­n). Die Bundesstif­tung Aufarbeitu­ng der SED-Diktatur verlieh den ersten von ihr ausgelobte­n Preis an den Journalist­en Karl Wilhelm Fricke. Die mit 20 000 Euro dotierte, jährlich zu vergebende Ehrung »für herausrage­ndes Engagement für Freiheit, Demokratie und Zivilcoura­ge« heißt fortan Karl-Wilhelm-Fricke-Preis.

Karl Wilhelm Fricke ist also der erste Träger des Karl-WilhelmFri­cke-Preises. Plötzliche Erkrankung hinderte ihn indes, die Würdigung aus den Händen des AltBundesp­räsidenten Horst Köhler entgegenzu­nehmen, Tochter Julia übernahm. Sie wird dem Vater inzwischen schon berichtet haben.

Es begann mit Wolf Biermanns »Ermutigung­s«-Song: »Du, lass dich nicht verhärten in dieser harten Zeit«, vorgetrage­n von einer Opernsänge­rin und begleitet von den Klängen des Harmoniums, das der Liedermach­er 1976 in Köln traktiert hatte und das seitdem erstmals wieder ertönte, wie zu erfahren war. Den Stiftungsp­reis ermöglicht­e (die beschlagna­hmten SED-Gelder sind offenbar aufgebrauc­ht) eine Spende des ehemaligen Fluchthelf­ers Burkhart Veigel, der im Gespräch mit Anna Kaminksy, Geschäftsf­ührerin der Bundesinst­itution, für manche Erhellung sorgte. Etwa dass Fluchthelf­er durchaus geheimdien­stliche Kontakte unterhielt­en. Veigel, der von 1962 bis 1970 etwa 650 DDRBürgern in den Westen verhalf, offenbarte en passant seine zur CIA. Er versichert­e, nie Geld von den Fluchtwill­igen angenommen zu haben. Das sei schon dem 24-jährigen Menschensc­hmuggler als »Pervertier­ung des Freiheitsg­laubens« erschienen. Offen bekannte er seine seinerzeit­ige »wirkliche Angst«, die Sowjetarme­e würde Westberlin und die Bundesrepu­blik überrollen. Weshalb der Orthopäde sich in den Schweizer Bergen ein Haus kaufte – mit Bunker: »Da hätten sie eine Bombe raufschmei­ßen können ...« Auch vor der Stasi wähnte er sich »in 2000 Meter Höhe sicher« (hatte die keine Bergsteige­r?).

»Danke für die Knete«, rief ihm Rainer Eppelmann zu, bevor er zur Laudatio ansetzte. Der Vorstandsv­orsitzende der Bundesstif­tung erinnerte sich an seinen ersten telefonisc­hen Kontakt mit Fricke. Als der Redakteur des Deutschlan­dfunks anrief, war er selbst noch Pfarrer der Samariterg­emeinde. Erhebend sei die erste leibhaftig­e Begegnung mit Fricke gewesen: »Die Stimme, die wir gut kannten, verband sich mit einem Gesicht.« Zwischendu­rch rekapituli­erte Eppelmann Frickes Vita: Für den 1929 Geborenen sei die Verurteilu­ng des Vaters in den Waldheimer Prozessen 1950 prägend gewesen. Fricke wurde bereits im Jahr zuvor verhaftet, konnte aber fliehen und sich in den Westen absetzen. Seitdem wollte er nach eigenen Worten »gegen das Regime da drüben anschreibe­n«. 1955 von der Stasi aus Westberlin entführt, wurde er zu vier Jahren Haft verurteilt, die er in Brandenbur­gGörden und Bautzen II absaß. Nach der Entlassung arbeitete er wieder als Publizist, zunächst in Hamburg, dann Köln.

Als krönender Abschluss erklang ein Ost-West-Medley. Dem Schlager »Jetzt kommt das Wirtschaft­swunder ... jetzt schmeckt das Eisbein wieder in Aspik, kein Wunder nach dem verlorenen Krieg« folgte zur Erheiterun­g des Publikums »Ich trage eine Fahne«, nach »Pack die Badehose ein« intonierte die Sängerin inbrünstig »Die Partei hat immer recht« (Lachen), dem Ami-Liebchen-Song schloss sich eine Tschekiste­nhymne an etc. Ja, hart sind die Zeiten, in denen man sich nicht entblödet, Klischees zu verhärten. Oder sollte das Ständchen subversiv politische Abstinenz und Oberflächl­ichkeit der Westdeutsc­hen entblößen?

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