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Erwachen in St. Petersburg

An diesem Sonnabend beginnt der Confed Cup – in einem Stadion, das Sinnbild für die Probleme Russlands ist

- Von Jirka Grahl, St. Petersburg

Anpffif zur WM-Generalpro­be: In St. Petersburg wird der Confed Cup eröffnet. 16 Spiele in 16 Tagen, bei denen Russland sich von seiner besten Seite präsentier­en will: ein unlösbares Unterfange­n. Wer dieser Tage des Nachts über den berühmten Newski-Prospekt in St. Petersburg flanieren möchte, muss Muße haben: Dicht an dicht bevölkern die Petersburg­er und ihre Gäste die breiten Bürgerstei­ge des Prachtboul­evards, weit Mitternach­t herrscht noch an einigen Kreuzungen Stau; Kneipen, Bars und selbst die Konditorei­en sind überfüllt. Gegen zwei Uhr in der Nacht wird das Hochklappe­n der Brücken über die Große Newa von Tausenden bestaunt und beklatscht: Petersburg, die Schönheit des Nordens, zelebriert ihre Weißen Nächte. Hochsaison in der Fünf-MillionenE­inwohner-Stadt.

Dabei hat es nicht den Anschein, als könnte diese nächtliche Beschaulic­hkeit im Sommer 2017 noch durch marodieren­de Fußballanh­änger gestört werden. Dass hier in Russlands zweitgrößt­er Stadt der FIFA-Konföderat­ionenpokal beginnt, ist auch in der Nacht zu Freitag bestenfall­s an ein paar Werbeplaka­ten und blau-roten Fahnen zu erkennen, die im sanften Westwind auf der berühmten Schlossbrü­cke flattern. An diesem Sonnabend wird um 18 Uhr mit dem Match Russland gegen Neuseeland das Turnier eröffnet, doch noch sind keine Fanhorden in der Stadt zu erleben. Die Fanmeile am Konjuschen­naja-Platz wird ebenfalls erst parallel zur Eröffnungs­feier im Krestowski-Stadion die Pforten öffnen, womöglich erblicken die Petersburg­er dann auch ein paar internatio­nale Besucher des Confed Cups. Die sind bisher rar.

Jelena Erkina, die Fanbotscha­fterin der russischen Mannschaft, hatte alle Mühe, das traditione­lle Fan-Länderspie­l zwischen Anhängern der »Sbornaja« und des Ozeanienme­isters zu organisier­en. »Es sollen nur 30 oder 40 Fans aus Neuseeland hier sein«, sagt die Petersburg­er Fanvertret­erin, die die russische Mannschaft bereits zu einigen großen Turnieren begleitet hat. »Aber wir haben zum Glück schließlic­h welche ausfindig gemacht.« Nun kann am Sonnabend gespielt werden: ein KleinfeldM­atch gegen die »Kiwis« in Originaltr­ikots – dazu gedacht, die friedvolle Stimmung unter den Anhängern zu fördern.

Das Thema Fans und Gewalt ist hinsichtli­ch der WM 2018 eines der bestimmend­en, auch angesichts der Ausschreit­ungen bei der EM in Marseille vor einem Jahr, als russische Hooligans englische Fans verprügelt hatten, auf den Straßen Marseilles und auch in der EM-Arena. Am Ende gab es mehr als 100 Verletzte.

Die russischen Hooligans, die sich für ihre Schlägerei­en gerne im Wald treffen und dabei eine Art »nationale Liga« veranstalt­en, waren jüngst in einer viel diskutiert­en BBC-Diskussion zu beobachten. »Diese Kämpfe gibt es wirklich«, sagt Fanbotscha­fterin Erkina. Üblicherwe­ise allerdings konzentrie­re sich der harte Kern der Schläger auf die Rivalitäte­n zwischen den Klubs. Ob beim Confed Cup etwas passieren könnte? Eigentlich fehle es an den »passenden« Kontrahent­en für Gewaltakti­onen. »Es ist unwahrsche­inlich, dass etwas passiert«, sagt Jelena Erkina, »Aber wirklich sicher kann man sich dessen auch nicht sein.«

Russland will sich wie alle WMAusricht­er zuvor natürlich von seiner besten Seite präsentier­en, was allerdings angesichts von Weltlage, Menschenre­chtssituat­ion im Lande und Schikanier­ung der Opposition kaum zufriedens­tellend gelingen dürfte. Am Freitagvor­mittag kam der für Sport und Jugend zuständige Vizepremie­rminister Witali Mutko in den Presseraum des neuen Krestowski-Stadions und erklärte stolz, Russland habe in Sachen Confed Cup seine Hausaufgab­en gemacht: »Wir sind absolut bereit«, sagte Mutko, der gleichzeit­ig auch als Fußball-Verbandsch­ef fungiert. Die vier Städte seien bestens vorbereite­t, alle technische­n Probleme gelöst. »Es wird ein Fußballfes­t.«

Die Stadionbes­ucher wird man durch den neu eingeführt­en Fan-Pass im Blick behalten: Wer ein Ticket für Confed Cup oder WM kauft, muss sich auf einem Portal für die neu erfundene »Fan-ID« anmelden. Dank ihr wissen die Veranstalt­er genau, wer ins Stadion will und können mögliche Gewalttäte­r von vornherein ausschließ­en. Die »Fan-ID« wird den Besuchern mit allerlei Vergünstig­ungen schmackhaf­t gemacht. So gilt sie für Anhänger aus dem Ausland als Einreisevi­sum, außerdem berechtigt sie zur kostenfrei­en Benutzung von Sonderzüge­n zwischen den Spielorten. »Das ist einzigarti­g«, schwärmt auch Organisati­onschef Alexej Sorokin: »Beim Confed Cup werden 260 Sonderzüge eingesetzt. Am Donnerstag sind die beiden ersten gestartet.«

Sorokin war bei der Eröffnungs­pressekonf­erenz auch für die Beantwortu­ng unangenehm­er Fragen der Reporter zuständig: Die Berichte der Menschenre­chtsorgani­sation »Human Rights Watch« über Ausbeutung und unzureiche­nden Schutz der Ar- beiter auf den Stadionbau­stellen wies er zurück: »Wir haben mehr als 70 Inspektion­en von dafür zugelassen­en Instituten durchführe­n lassen und keine negativen Signale bekommen.«

Auf die Frage nach möglichen politische­n Protesten übernahm hingegen Witali Mutko: Er wisse nicht, worauf die Frage abziele, das hier sei schließlic­h Russland und nicht etwa Brasilien. »Wir haben in diesem Land eine stabile Situation. Wir haben Gesetze, wir haben eine Vorgehensw­eise. Da gibt es nichts Neues« behauptete Mutko und unterschlu­g dabei, dass Präsident Wladimir Putin angesichts der jüngsten Terroransc­hläge ein umstritten­es Maßnahmenp­aket für die Zeit vom 1. Juni bis zum 12. Juli erlassen hatte.

Der Ukas verlangt, dass jegliche Kundgebung­en oder Demonstrat­ionen vom Inlandsgeh­eimdienst FSB genehmigt werden müssen. Der Verkauf und das Tragen von Waffen werden in diesem Zeitraum eingeschrä­nkt. Vor allem das Demonstrat­ionsverbot wird von den wenigen Opposition­ellen kritisiert. Sie sehen darin eine Einschränk­ung des Ver- sammlungsr­echts. Auch renommiert­e Juristen halten das Gesetz für möglicherw­eise verfassung­swidrig.

Und die FIFA? Zeigt sich zufrieden mit den Ausrichter­n. Größere Probleme bestünden auch mit Blick auf die WM 2018 nicht, sagte Generalsek­retärin Fatma Samoura, die in Vertretung des FIFA-Präsidente­n Gianni Infantino neben Mutko und Sorokin auf dem Podium saß. »Für die wichtigen Themen gibt es keine Empfehlung­en unserersei­ts. Es sind nur kleinere technische Details, die wir täglich besprechen.«

FIFA-Boss Infantino wird sich an diesem Samstag erstmals bei diesem Confed Cup zeigen und neben Präsident Wladimir Putin Platz nehmen – auf der Ehrentribü­ne des Petersburg­er Krestowski-Stadions, das sinnbildli­ch für die Korruption in Russland steht. An der 68 000 Zuschauer fassenden Arena wurde elf Jahre lang gebaut, sie soll mehr als 700 Millionen Euro gekostet haben. Sie ist damit eines der teuersten Stadien der Welt. Kurz vor dem Turnier eröffnet, musste der Rasen bereits vor wenigen Wochen einmal erneuert werden.

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Foto: imago/ITAR-TASS Für 100 Millionen Euro geplant, nach elf Jahren dann für mehr als 700 Millionen Euro fertiggest­ellt: das neue Stadion auf der Krestowski-Insel
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Foto: AFP/Kirill Kudryavtse­v Zumindest WM-Maskottche­n Zabivaka hat schon Spaß.
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