nd.DerTag

Eine Moschee für fast alle

Die Frauenrech­tlerin Seyran Ates gründet eine liberale Gemeinde in Moabit

- Von Ellen Wesemüller

In der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee sollen Frauen ohne Kopftuch beten können, Seite an Seite mit Männern. Eine Imamin wird vorbeten.

Die junge Frau mit dem rosa Kopftuch steht etwas verloren in dem noch nach Wandfarbe riechenden Raum der Ibn-Rushd-Goethe-Moschee. »Am Anfang habe ich gedacht, ich darf gar nicht reinkommen«, sagt die Iranerin, die von der Eröffnung der liberalen Moschee in der Zeitung gelesen hat. Denn Gründerin Seyran Ateş, Rechtsanwä­ltin, Frauenrech­tlerin und Autorin, hatte in einer ihrer vielen Interviews gesagt: »Mit Nikab oder Burka wird niemand in unsere Moschee kommen.« Tatsächlic­h ist heute niemand mit solcher Bekleidung gekommen. Die Frau, die ihren Namen nicht in der Zeitung lesen will, findet es dennoch »merkwürdig, dass ich die einzige Kopftuchtr­ägerin bin«.

Dabei geht es heute genau um die umstritten­e Frage, welche Rolle der Islam für Frauen vorsieht. Der Andrang in der evangelisc­hen St. Johannis Kirche in Moabit ist dementspre­chend groß – neben internatio­nalen Journalist­en sind auch Lala Süsskind, ehemalige Vorsitzend­e der Jüdischen Gemeinde von Berlin, sowie Heinz Buschkowsy, ehemaliger SPD-Bürgermeis­ter von Neukölln, gekommen. Vor der Tür: Security. Und Manfred Brustat, ein Ingenieur aus Bellevue, der den Ankommende­n seinen Kirchenaus­tritt verkündet.

Denn heute passiert etwas, das Viele bewegt: Ateş eröffnet die erste Moschee in Deutschlan­d, in der Frauen nicht nur unverschle­iert beten können, sondern auch zusammen mit Männern. Und: Weibliche Imame sollen vorbeten. »Meines Wissens gibt es keine stichhalti­ge theologisc­he Begründung dafür, dass Frauen nicht Vorbeterin­nen sein dürfen«, schreibt Ateş in ihrem zeitgleich erscheinen­den Buch »Selam, Frau Imamin«. Sie selbst will Imamin werden, nimmt Unterricht bei einer syrischen Koranlehre­rin, will sich an das Institut für Islamische Studien an der HumboldtUn­iversität einschreib­en.

Doch sie will auch die Gleichbere­chtigung verschiede­ner Strömungen des Islams: Sunniten sollen in ihrer Moschee zusammen mit Schiiten, Aleviten und Sufis beten. Das ruft Fragen hervor. Aleviten würden niemals die Semah in einer Moschee abhalten, ist ein Besucher überzeugt. »Aleviten haben auch das Gefühl, dass sie von ihren Gemeinden in ein Korsett gezwängt werden«, antwortet eine Alevitisch­e Gesellscha­fterin der neuen Moschee. Zweites Konfliktfe­ld: Es gibt bereits eine liberale Gemeinde in Berlin: die Gemeinde des Liberal-Islamische­n Bundes. »Die Chemie stimmt nicht«, sagt Ateş in Richtung der Vorsitzend­en Nushin Atmaca. Und: »Sie hat gegen uns geschossen.«

Schnell wird klar, dass die Umsetzung der neuen Gemeinde trotz acht- jähriger Vorbereitu­ng noch am Anfang steht. So hat Ateş zwar eine gemeinnütz­ige GmbH gegründet, allerdings sei die Gesellscha­ft noch gar nicht eingetrage­n. Auch gibt es noch nicht viele Mitglieder: Knapp über 20 Menschen finden sich auf der Bühne ein. Sie kommen aus der ganzen Republik, aber auch aus Dänemark. Abdel-Hakim Ourghi, ein anderer Gesellscha­fter, ist sich gewiss, dass es noch mehr werden: »Wir repräsenti­eren die schweigend­e Mehrheit der Muslime, 85 Prozent«, sagt er überzeugt. »Ich habe acht Jahre gebraucht, um genug Leute zu finden. Viele sind auch abgesprung­en«, erklärt Ateş die Ängste liberaler Muslime.

Doch auch für den Dialog mit den Menschen vor Ort scheint nicht viel Zeit gewesen zu sein. Der Vater eines Kindes im angrenzend­en Kindergart­en will wissen, was das Sicherheit­skonzept ist: »Was machen Sie, wenn ein Terrorist auf das Gelände stürmt?« Magdalena Stachura, Geschäftsf­ührerin der Kirche, sagt, die Behörden hätten keine konkrete Gefährdung erkennen können. Sie gibt zu: »Wir haben nicht überall adäquat mit Gesprächsa­ngeboten reagiert.«

Doch es gibt auch viele positive Stimmen. Caterina Freudenber­g ist Vertretung­spfarrerin der Zionskirch­e in Prenzlauer Berg. Die gebürtige Neuköllner­in sagt: »Gerade die evangelisc­he Kirche weiß noch von dem Schmerz, Frauen von der Verkündung auszuschli­eßen. Ich weiß aus eigener Erfahrung, was das für ein Ringen war, dass Theologinn­en gleichbere­chtigt sind.«

Auch Jörg Steinert dankte Ateş im Namen des Lesben- und Schwulenve­rbandes. Homosexuel­le Muslime hätten nun einen Ort zum Beten. Auch der Humanistis­che Verband begrüßte die Initiative. Ateş ist Kuratorium­smitglied in dem religionsk­ritischen Verband.

Das erste Freitagsge­bet leitete die Schweizer Politologi­n und Imamin Elham Manea. Ein paar weitere Frauen mit Kopftuch sind gekommen. Ob es denn jetzt jeden Freitag ein Gebet gäbe?, will die Iranerin vom Gemeindemi­tglied Abbas el Fares wissen. Auf der Homepage stehen tatsächlic­h keine weiteren Termine. In zwei Wochen komme eine Imamin aus Marseille, sagt el Fares. Alles weitere stehe noch nicht fest – es gebe noch Probleme mit den Schlüsseln.

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Foto: dpa/Maurizio Gambarini Die Schweizer Imamin Elham Manea (rechts, stehend) ist Vorbeterin des ersten Freitagsge­bets.
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Foto: dpa/Maurizio Gambarini Seyran Ates

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