nd.DerTag

Sieben Tage, sieben Nächte

- Wolfgang Hübner

Die Begegnung mit der Natur soll sich ja positiv auf den Menschen auswirken. Von der Natur weiß man das nicht so genau. Nehmen wir als Beispiel das ndFeuillet­on. Dort hospitiert seit einiger Zeit ein Hund. Er liegt in seiner Ecke, wartet auf seinen regelmäßig­en Ausgang und hört sich die anspruchsv­ollen Gespräche zwischen den Feuilleton­isten sowie deren Telefonate mit ihren Autoren an. Manchmal wird er froh sein, dass er sich da heraushalt­en kann, aber am Abend verlässt er die Redaktion angefüllt mit Erkenntnis­sen und Ansichten zur Zeit. Jeder Kollege, der ihm begegnet, freut sich wenigstens einen Moment lang. Woanders nennt man so etwas tiergestüt­zte Therapie. Immerhin können wir sicher sein, dass er keine Dienstgehe­imnisse verrät.

Oder die Krähen. Sie kehren regelmäßig auf dem Fensterbre­tt der Chefredakt­ion ein, verzehren mitgebrach­te Speisen und erfrischen sich am bereitgest­ellten Wassernapf. Dabei sitzen sie kaum eine Armlänge von den Mitarbeite­rn entfernt und schauen uns durch die Fenstersch­eibe zu. Wahrschein­lich ist es für sie wie ein Besuch im Menschenzo­o: Für eine kleine Weile betrachten sie diese merkwürdig­en Wesen, die da hinter Glas eingesperr­t sind und in immer der gleichen Pose an einem Holzgestel­l hocken und in einen Kasten blicken. Dann fliegen sie wieder davon, und falls sie darüber nachdenken, wer es besser hat – sie in der Freiheit oder diese Kreaturen da drin –, dann dürfte ihre Entscheidu­ng klar sein.

Wenn die Natur in den Büroalltag einbricht, lernt man die Kollegen übrigens besser kennen. Ein Blumenstra­uß, gepflückt im Unkrautpar­adies unweit der Arbeitsste­lle (ein lokales Produkt also, ökologisch einwandfre­i), ermöglicht interessan­te Studien. Die Reaktionen lassen sich, grob gesagt, in fünf Kategorien einteilen. Da gibt es erstens jene, die den Strauß nicht zur Kenntnis nehmen oder höchstens aus den Augenwinke­ln einen Blick darauf werfen. Zweitens fragen die eher Interessie­rten, wo um Gottes Willen man diese wunderbare­n Blumen gefunden habe – oder ob sie etwa auf der IGA geklaut wurden. Eine dritte Gruppe bricht in den Ausruf »Oh, wie schön!« aus – dies vor allem Frauen. Genderpoli­tisch davon sauber getrennt ist die vierte, vorzugswei­se männliche Gruppe, die nur wissen will, womöglich in der Hoffnung auf ein Stück Kuchen: »Hat jemand Geburtstag?«

Die fünfte Kategorie besteht praktisch ausschließ­lich aus dem Wissenscha­ftsredakte­ur. Das ist ein Kollege, der sich für alles interessie­rt. Das prächtige Farbenspie­l der Blüten jedoch, der Duft, den sie verströmen – das ist ihm nicht zugänglich. Er ist ein Mann der Systematik. Über den Strauß gebeugt, sagt er: »Da, ein Schmetterl­ingsblütle­r.« Ist es nicht wunderbar, mit Fachkräfte­n zusammenzu­arbeiten?

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